Mein Name sei Berlin. Группа авторов

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genau, denn in der Hauptstadt der Deutschen stimmt sein Diktum noch immer uneingeschränkt.

      Deshalb haben die berüchtigten Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) für ihre Angestellten Benimmkurse organisiert, um ihnen immerhin das allernötigste Rüstzeug im Umgang mit der Kundschaft an die Hand zu geben – mit dem Ergebnis, daß in der U-Bahn im Anschluß an die nach wie vor geknurrte Mahnung »Zurückbleiben!« – die aber eher wie »Zöörrlll!« klingt – ab und an ein wie zwischen den Zähnen mühsam und unwirsch ausgewürgtes »Bitte!« ertönt, dem deutlich anzuhören ist, wie sehr der BVG-Mann seine Mitmenschen dafür haßt. Ihn so zu demütigen, daß er »bitte« sagen muß! Wenn seine Kollegen das gehört hätten! Die Schande, die Schande!

      Routiniert beherrscht wird der Kammerton B –wie Brüllen oder Berlin – auch von den Bediensteten der Post. Wer erfolgreich den Kriegs- und den Kriechdienst verweigert hat, bekommt hier seine Kaserne nachgereicht. »Dett Jeld is zaknittat!« pflaumt der Schalterbeamte, als ich ihm zwei Zwanziger für Briefmarken hinschiebe. Ja, das ist wahr: Ich hätte die Scheine vorher bügeln sollen. (Jetzt weiß man auch, warum diese herrlichen Menschen stets hinter Panzerglas sitzend ihre Arbeit verrichten; es ist nicht wegen der paar Räuber im Land.)

      Die Berliner Sparkasse buchstabiert ihr S-Initial ebenfalls wie Service; am Tag der Niederschrift dieser Kolumne sind in meiner Filiale sensationellerweise sogar zwei geöffnet, so daß man nicht, wie üblich, zu achtundzwanzigst in einer Schlange anstehen muß, sondern bloß zu vierzehnt in zweien. Was mag nur los sein, frage ich mich irritiert, ist heute Tag der Kunden? Oder hat der Filialleiter Geburtstag? Und trinken deswegen alle so gemütlich Kaffee?

      Zwanzig Minuten später darf ich etwas von meinem Geld abheben. Sagte ich: von meinem Geld? Das ist natürlich ein Irrtum – so, wie mich der Junge hinterm Schalter ansieht, ist das gar nicht mein Geld, sondern seins, seins ganz allein. »Ausweis!« kläfft er und vergleicht – als hätte er’s bei einem DDR-Grenzer gelernt – mehrfach Paßbild und die Erscheinung vor ihm, die er, der Wegelagerer mit Schlips, sichtlich mißbilligt.

      Vielleicht sollte ich doch etwas mehr Wert auf äußeren Glanz legen, denke ich noch, während er mir verbittert und fast weinend die Scheine hinzählt; beim Hinausgehen aber wird mir klar, warum die Berliner Sparkasse ist, wie sie ist: Manfred Krug macht Reklame für den Verein, Krug, der ja, vor allem mit seiner Werbung für das nach Harn schmeckende Berliner Schultheiß-Bier, die Verkörperung dessen ist, was sich die Berliner selbst großtuerisch als Herz mit Schnauze attestieren – allein, wo wäre das Herz?

      So gesehen freut mich der Regierungsumzug nach Berlin, da mache ich gerne Platz: Die Bonner Unsympathen werden individuell so abgefertigt, wie ihnen das kollektiv ohnehin zukommt.

       Wiglaf Droste (*1961 in Herford) lebt seit 1983 in Berlin. Er war Redakteur der taz und der TITANIC und hat zahlreiche Bücher veröffentlich. Aufgrund seiner satirischen Schärfe und Prägnanz wird er bisweilen als der »Tucholsky unserer Tage« bezeichnet.

Theodor Fontane(ca. 1878)

      Berliner Ton

      Der Grundzug ist ein krasser Egoismus, ein naives, vollkommen aufrichtiges Durchdrungensein von der Überlegenheit und besonderen Berechtigung der eigenen Person und des Ortes, an dem die Person das Glück hatte, geboren zu werden. Um diese beiden Eitelkeiten dreht sich alles.

       Einleitung

      Ich bin viel gereist. Der Berliner Ton hat etwas Spezifisches, wodurch er sich von jedem anderen unterscheidet, auch von den nahegelegenen Städten Dresden, Weimar, Hannover. Und dann Berlin! Zu sagen, daß dieser Ton einen guten Ruf hätte, wäre nicht in der Wahrheit. Er ist aber doch besser als sein Ruf. Es heißt auch hier: »Tout comprendre c’est tout pardonner.«

      Was einem Fremden zunächst auffällt, ist das Laut-Sprechen und das Viel-Sprechen. Warum nicht laut? Ich bin ja ich; und warum nicht viel, ich weiß ja Bescheid, ich habe ja alles gesehen, gehört, gelesen. Dies hängt mit dem Persönlichen zusammen.

      Die Geschichte des Berliner Tons zu schreiben, den Nachweis, wie er sich gebildet, das wäre ein Kapitel für sich und wäre ziemlich gleichbedeutend mit einer Kulturgeschichte unserer Stadt. Ich muß auf ein eigentliches Eingehen auf diese Materie an dieser Stelle verzichten; nur ein paar Andeutungen mögen gestattet sein. Wir sprechen nicht umsonst von »Urbanität«, die »urbs« ist Schöpferin und Trägerin der feinen Sitte, der Politesse. Berlin war aber nie eine »urbs«, es war nie eine Bürger-(Patrizier-) Republik. All das war es nur dem Namen nach. Bis in neuere Zeiten hinein war es ein mit Büros und Kasernen reich ausgestattetes Dorf großen Stils, und eines Tages, um ein Diktum Lord Byrons zu variieren, erwachte es und war eine Residenz geworden. Eine Residenz mit einem Hof, einem Reichstag und einem Heuschrecken-Proletariat. Bürger hatte es nie und hat es noch nicht. Unter dem beständigen Zufluten neuen Rohstoffes, den Behörden überliefert, immer bevormundet und vor allem in seiner ungeheuren Mehrzahl bis in die »hohen Stände« hinauf von einer nur an dieser Stelle vorkommenden Bettelarmut, haben sich die Tugenden der Politesse, der Teilnahme, der Menschenfreundlichkeit, des Wohltuns nicht ausbilden können. In unglaublichem Grade tritt das Ich für sich ein, jeden als Feind ansehend, der auf den Moment wartet, wo ich »austrete«, um sofort in die Lücke einzuspringen. Alles ist Existenzfrage. Mit einer Art von infernaler Heiterkeit stößt einer den anderen von der Beresina-Brücke, um sich das nackte Leben und drüben am anderen Ufer eine »Stellung« zu retten.

      Wie ist der Berliner Ton? Ich habe vor, ehe ich zu einer versöhnlichen Schlußbetrachtung schreite, ihn in drei Haupterscheinungsformen zu besprechen: im Haus, in der Gesellschaft und im Verkehr mit Fremden (Nicht-Berlinern).

       Berliner Hauston

      Der Ton im Hause entbehrt nicht der Liebe und Herzlichkeit, aber der Pietät. Äußerlich ganz gewiß. Es zeigt sich dies in bekannten scherzhaften Bemerkungen, die der Berliner Geist gezeigt hat. Das Verhältnis der Kinder zu Vater und Mutter gipfelt in dem bekannten Satze: »Mama, wenn du den Hut mit der Feder aufsetzt, geh ich nicht mit dir. Ich schäme mich.« Und die Mama gehorcht oder lacht, denn wenn es was gibt, was die Töchter noch übertrifft, so ist es die Mutter. Entferntere Verwandtschaftsgrade müssen sich mit einem »wir sind jetzt mit einem Onkel behaftet« begnügen. Das sind Witzworte. Gewiß. Aber man sage nicht, daß sie für die hier zu behandelnde Frage nichts bedeuten. Sie sind der Strohhalm, an dem sich erkennen läßt, wie der Wind weht.

      Noch mehr als an Pietät fehlt es an Form. Es gibt viele Häuser, in denen die Begrüßungsformen ganz fortfallen. »Es ist so langweilig« oder »Wozu?« Und damit wird das heitere und immer wieder wohltuende, freundliche »Guten Morgen« einfach gestrichen. Am meisten tritt aber das Fehlen der Form bei unseren Mittagsmahlzeiten hervor. Wer nicht im Ausland gelebt hat, wird sich dessen nicht bewußt. Nur wer lange »draußen« war, empfindet dies in aller Stärke.

      In wachsender Progression haben wir jetzt Berliner Häuser, in denen die Pflege schöner Form beginnt, aber diese Berliner Häuser sind nicht Repräsentanten des »Berliner Tons«. Wo dieser in aller Herrlichkeit existiert – und er reicht unter Umständen bis hoch hinauf –, da hat er sich seine Formlosigkeit, seine Auseinandergefallenheit bewahrt, und diese gedenke ich zu schildern. Ich greife in die Mitte hinein und schildere ein Oberlehrerhaus (hatte Theologie studiert), an dessen Tisch ich gelegentlich als Gast gesessen habe.

      Ein Junge, achtjährig, läuft durch alle Stuben und ruft: »Rasch! Essen!« Alle Stubentüren offenlassend, ist er der erste in dem bekannten »Berliner Saal«, und das mit einigen Besingflecken ausgestattete Tischtuch zurückschlagend, versteckt er sich unter dem Tisch. Im Laufe der nächsten fünf Minuten, von einigen ernsteren Nachzüglern abgesehen, erscheinen nun die Mitglieder

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