Fluchtpunkt Hollywood. Gundolf S. Freyermuth

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Fluchtpunkt Hollywood - Gundolf S. Freyermuth

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Ende 1941, als Falkenberg nach New York kommt, ändert sich die Situation. Der Kriegseintritt der USA lässt die alteingesessenen Yorkviller eine radikale patriotische Wendung vollziehen: hin zu dem Land, dessen Staatsbürgerschaft sie besitzen.

      »Waren Sie damals schon Amerikaner?«, frage ich, während das Taxi sich Meter für Meter durch den Mittagsverkehr vorwärts schiebt, von der 76. Straße West durch den Central Park zur 86. Straße Ost.

      Falkenberg schüttelt den Kopf. »Nein, das wurde ich erst 1944.«

      »Bekamen sie als Noch-Deutscher während des Krieges Probleme? »

      »Nicht wirklich. Zwar musste ich als angeblich feindlicher Ausländer es der Polizei melden, wenn ich verreisen wollte. Wollte ich aber nicht.«

      »Und im Alltag, wenn man Sie an Ihrem Akzent als Deutscher erkannte?«

      »Ach, im Grunde spricht in New York kein Mensch richtig Englisch. Es ist eine Stadt für Einwanderer, und man hatte auch während des Krieges keinerlei Schwierigkeiten mit irgendeinem Akzent.«

      Das Taxi hält an einer belebten Geschäftsstraße. Fast ein wenig versteckt hängen hier mitten in New York ein paar deutschsprachige Reklameschilder. Sie werben für ein »Wurst Haus«, ein »Bremen House« oder für die »Kleine Konditorei«, den berühmten Emigrantentreff, der in zahllosen Memoiren und Exil-Romanen erwähnt wird. Von dem alten Yorkville scheint nicht mehr viel übrig. Die germanische Enklave verliert ständig an Boden. Ihre Kundschaft stirbt schlicht aus.

      Falkenberg sieht sich kurz um.

      »Ich war schon lange nicht mehr hier.«

      Das Lokal, das wir nach einigem Zögern betreten, bietet eine Mischung aus vergilbtem Dreißiger-Jahre-Look und Altentagesstätte. Gemütliche Tristesse, triste Gemütlichkeit. Die Speisekarte ist zweisprachig und offeriert ausschließlich »Hausmannskost«.

      Mitten in Manhattan, in Sichtweite der Skyscraper, wirkt die urdeutsche Umgebung geradezu unheimlich unzeitig, gespenstisch alt. Wie sonst nur in der DDR ist hier das Vorkriegsreich konserviert. Es ist, als stiegen wir in die Verliese einer Vergangenheit, deren Reize und Schrecken ich nur aus den Erzählungen meiner Eltern und Großeltern kenne.

      »Was war das für ein Gefühl, wenn Sie in den Nachrichten gehört haben, Berlin, Ihre Geburtsstadt, die Stadt Ihrer Jugend, wird angegriffen, zerbombt?«

      »Wissen Sie, man war emotional so involviert, dass man ....« Zum ersten Mal fehlen Falkenberg für Sekunden die Worte. »Also«, sagt er mit einem Ruck, »man hatte einfach keine rationalen Attitüden mehr. Es war so, dass man am liebsten... Jeder hätte gern ein Maschinengewehr genommen und wär' durch deutsche Straßen und hätte ein paar Leute niedergeknallt. Wir wussten eben doch ...«

      Die Kellnerin kommt, gewandet in eine Mischung aus Dirndl und Krankenschwesterntracht, und nimmt die Bestellungen auf. Falkenberg scheint froh über die Unterbrechung.

      »Mein Schwager wurde im KZ Oranienburg ermordet«, fährt er dann fort, wie um die Wut zu erklären, die nach so langer Zeit eben wieder in ihm aufgestiegen ist, »und meine Mutter haben sie 1942 nach Theresienstadt verschleppt. Mein Vater war ja schon tot.«

      Fast sagt er es erleichtert. Sein leerer Blick sieht mich nicht, und doch spüre ich ihn wie ein Gewicht auf meinem Körper.

      »Meine Mutter«, sagt er schließlich, »konnte dann 1944 freigekauft werden – 1000 Dollar pro Jude.«

      Es klingt bitter, fast verzweifelt. Die Schmach dieses Menschenhandels ist unvergessen.

      »Wiedergesehen habe ich sie nie«, sagt Paul Falkenberg. »Sie hatte schon das Billett. Aber in der Nacht vor der Abreise traf sie der Schlag.«

      Das soßenschwere Essen wird serviert. Aus dem halbdunklen Innenraum des Restaurants heraus wirken die Häuserfronten und der Verkehr draußen vor den Fensterscheiben wie Kulissen in einer amerikanischen TV-Serie. Die Wagen rollen lautlos, als sei der Ton ausgefallen. Deutschland ist unendlich weit weg, das macht das Sprechen leichter. Diese Entfernung, die wohltuende Distanz, war es wohl auch, die so viele Emigranten nach dem Krieg, nach dem Ende von Terror, KZs und Massenmord, in den USA bleiben ließ.

      »Da kann ich Ihnen noch eine dieser traurigen Exil-Geschichten erzählen«, beginnt Paul Falkenberg, nachdem er eine Weile schweigend gegessen hat. »Als die Nachricht vom Tode meiner Mutter kam, war gerade Lotte Andor bei uns, auch eine Emigrantin, und Lotte brach in Tränen aus. Ich sage: Lotte, was weinst du? Du hast meine Mutter doch gar nicht gekannt? Da sagt sie: Wieso ich weine? Weil du weißt, wo deine Mutter begraben ist, und ich weiß es von meiner nicht.«

      Mein Blick fällt auf eine dürre alte Frau, die vollkommen regungslos an einem der Tische im hinteren Teil des Lokals sitzt und unentwegt zu uns herüberschaut, als könne sie das Gespräch verstehen. Unwillkürlich senke ich meine Stimme.

      »Haben Sie ...«

      »Die Briefe«, spricht Falkenberg gedankenverloren vor sich hin, »die mir meine Eltern in der Nazizeit geschrieben haben, liegen in der Germania Judaica in Köln. Ich habe sie denen gegeben, weil ich nicht in der Lage bin, sie noch einmal zu lesen. Ich kann es einfach nicht, es ist ...«

      Er hält inne und folgt meinen Augen. So sehen wir beide auf die dürre alte Frau, die in diesem Augenblick wie ein nasser, wenn auch sehr leerer Sack vom Stuhl rutscht. Fast geräuschlos schlägt sie auf dem Boden auf und bleibt regungslos liegen. Zwei Kellnerinnen gehen ruhig auf sie zu, heben sie an den Armen hoch und schleifen sie durch die Tischreihen zum Ausgang.

      Als die Bedienung vorbeikommt, fragen wir, was passiert sei.

      »Te Lady«, erklärt die Kellnerin mit einer kühlen Stimme, die sich seltsam zu ihrem schweren süddeutschen Tonfall ausnimmt, »hat too much Cocktails getrunken.«

      Da taucht sie wieder auf aus den Schrecken der europäischen Vergangenheit, die ganz rauhe, aber ganz normale amerikanische Gegenwart: »Mind your own business!« Jeder kümmert sich um seine eigenen Angelegenheiten, und die bestehen bei den anderen Gästen im wesentlichen darin, möglichst viel Essen möglichst schnell zu verschlingen. Und vor allem: Keine Probleme, Mann!

      Falkenberg grinst. »Darf ich Ihnen sonst noch etwas Unangenehmes erzählen?«

      »Ja«, sage ich. »Haben Sie nach dem Krieg einmal überlegt, zurückzukehren nach Deutschland?«

      »Nein, keinen Augenblick.«

      Falkenberg schaut empört, und ich erinnere mich, ein wenig beschämt über die Selbstverständlichkeit meiner Frage, an die leichenstarrenden KZ-Filme, an die hohe Kunst der Verdrängung, die mein vernaziter Klassenlehrer in den sechziger Jahren »Vergangenheitsbewältigung« nannte und ebenso scheinheilig wie ungern in zwei, drei Schulstunden durchexerzierte.

      »Man diskutierte natürlich, ob man zurückgehen sollte. Einige hatten ja auch seltsame Schwierigkeiten hier«, sagt Falkenberg und grinst wieder. »Sehen Sie, das letzte Mal, als ich Günther Anders traf, musste ich mit ihm zum FBI wegen seiner Einbürgerung. Ich sollte über ihn Auskunft geben, also erzählte ich: Zuletzt hat Mr. Anders geschrieben über Kafka als Warner. Da fragten die mich: ›So, so, wer ist ein Warner, wer ist dieser Kafka?‹ Und da waren all die langen Gänge und vielen Büros in dem Gebäude, und ich dachte: ›Das ist Kafka.‹ Aber wie sollte man nun dem FBI erklären, wer Kafka war und wovor er gewarnt hat?«

      Noch heute kann man Falkenberg die diebische

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