Schrebergarten Blues. Jost Baum

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Schrebergarten Blues - Jost Baum

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die verblichene Größe einer inzwischen harmlos gewordenen Arbeiterbewegung, degenerierte Insignien einer einstmals gewaltigen Streitmacht, die, wenn sie den Hammer fallen ließ, jeden Fabrikbesitzer dazu veranlaßten, mit den Zähnen zu knirschen, dachte Eddie, als er das Tor aufstieß.

      Es waren höchstens zehn Schritte bis zu der Gartenlaube aus diesen rissigen, mit Teerfarbe gestrichenen Brettern, die für ein paar Mark in jedem Baumarkt zu kriegen waren. Der Schuppen stand zwischen einem frisch gejäteten Gemüsebeet und einer wie mit dem Lineal ausgemessenen rechtwinkligen Rasenfläche, auf der eine vergammelte Hollywoodschaukel still vor sich hinrostete. Rudi Vollmer, knorrig und kräftig wie ein Baumstamm, fuhr mit einer schnellen Handbewegung über sein verschwitztes, stoppelbärtiges Gesicht und die grauweißen, kurzgeschnittenen Haare, bevor er sich federnd wie ein Jüngling aus dem Gartenstuhl erhob, um Eddie die schwielige Pranke zu reichen.

      Jablonski mußte unwillkürlich lächeln, als er Rudi musterte. Der Rentner wirkte in seinen kurzen grünen Gummistiefeln, der verwaschenen Cordhose, die von breiten Hosenträgern gehalten wurde, und der ausgebeulten Strickjacke wie ein grau gewordener Schulbub auf dem Abenteuerspielplatz.

      »Ein Bier?« fragte Rudi, während sich Eddie auf der Schaukel niederließ.

      »Ein Bier wär nicht schlecht«, nickte Eddie, »und was zu beißen«, fügte er hinzu.

      Rudi verschwand wortlos in der Laube. Man hörte, wie eine Kühlschranktür zuschlug, das Scheppern eines Geschirrkastens und das Klappern von Tellern, die aufeinandergestapelt wurden. Bald darauf schleppte Rudi einen Campingtisch aus der Hütte und baute alles direkt vor Eddie auf. Auf dem Resopaltischchen türmten sich ein Sechserpack Bierdosen, eine Schüssel mit Kartoffelsalat und ein Frikadellenberg, so hoch wie der Mount Everest. Eddie schnappte sich ein Bier, riß die Blechlasche auf und ließ die Flüssigkeit in sich hineinplätschern. Dann widmete er sich den Frikadellen. Sie waren schwarz wie Eierkohlen und hart wie Bremsklötze. Ihm war das egal, er aß die Dinger mit wachsendem Vergnügen, nachdem er sie in eine ordentliche Portion Senf getunkt hatte.

      »Man müßte se alle umbringen«, begann der Rentner zwischen zwei Bissen und nahm einen kräftigen Schluck aus der Blechdose.

      »Spinnst du, Rudi? Gib mir lieber noch einen von deinem Aufgesetzten«, entgegnete Jablonski. Er lehnte sich zurück, streckte die Beine aus und kramte nach einer neuen Zigarette.

      »Nee wirklich, alle in einen Sack gesteckt und draufgehauen, triffste immer den Richtigen«, sagte Rudi.

      »Wovon redest du eigentlich?« erwiderte Eddie nach zwei tiefen Lungenzügen.

      »Dat weiß du do ganz genau, wo du doch vonne Presse bis. Ihr efahrt doch sowat als erstes, oder etwa nich?«

      »Mensch Rudi, jetzt erzähl doch mal von vorne, ich versteh’ kein Wort«, drängte Eddie gespannt.

      »Da müssen mer aber ers no einen drauf trinken«, verlangte der Rentner und goß die Likörgläser randvoll, ohne Jablonskis Antwort abzuwarten. Die Mittagssonne fing sich in den kleinen Gläsern und ließ den Schnaps glutrot wie einen Rubin leuchten. Sie prosteten sich zu und kippten den scharfen Aufgesetzten in einem Zug hinunter.

      »Also, die Stadt will aus unseren Gärten ’nen Golfplatz machen, un dat laß ich mir nich gefallen, da könnt ihr alle Gift drauf nehmen, un dat mein ich au so!« erregte sich Rudi, wobei sich auf seinem stoppeligen Gesicht und dem Hals rote Hitzepusteln bildeten, die ihn urplötzlich steinalt aussehen ließen.

      »Ja, und?« lachte Eddie und fuhr fort, »die Stadt stellt dir doch bestimmt eine neue Parzelle zur Verfügung, oder etwa nicht? Und für dein Gartenhäuschen kriegst du eine schöne Abfindung. Mit dem Geld fliegst du nach Mallorca und machst einen drauf! Mensch, Rudi, du hast die Rente durch. Warum gibst Du keine Ruhe und machst dir ’nen schönen Lebensabend? Tun die anderen doch auch!« Mein Gott, wie kann man nur so bescheuert sein, dachte Jablonski, der sich wie ein Sozialarbeiter wider Willen vorkam.

      »Pah, Malorka, geh mich wech!« schimpfte Rudi. »Meinse, ich fahr in so’n Rentnersilo? So’n Betonklotz mit Katzenklo? Jeden Abend Schwoof aufm Hof, Ringelpietz mit Anfassen un so? Nee, weisse, dafür hab ich mich nich mein Leben lang kaputtgemacht, damit se mich na Spanien abschieben! Nee, im Ernst! Wenn die dat machen, bring ich mich um!« Rudis Augen bekamen einen fiebrigen Glanz.

      »Du, Rudi? Du hängst doch am Leben wie kein anderer«, spottete Eddie.

      »Wartet mal ab!!! Ihr werdet euch alle noch wundern!« wütete Rudi.

      »Na, was hast Du denn vor?« fragte Jablonski, der nun doch etwas besorgt schien.

      »Ers müssen mer no einen trinken, bevor ich dir dat sach!« triumphierte der Rentner, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte entschlossen die Arme vor seiner Brust.

      »Nur zu«, nickte Eddie, der froh war, daß sich die Lage wieder etwas zu entspannen schien.

      »Auf Dein Wohl, Eddie!« rief der Rentner und hob das Glas.

      »Und?« hustete Eddie, der sich an dem Schnaps verschluckt hatte. Er kam sich vor, als sei er durch Zufall in den ersten Akt einer schlechten Komödie geraten.

      »Ich sach nur eins: Hungerstreik!« ergänzte Rudi nach einer bedeutungsschwangeren Pause.

      »Im Leben nicht!« staunte Jablonski. Das hatte er nicht erwartet.

      »Doch!«

      »Du? … Na, das kann ja heiter werden!«

      »Ja, ich … und ich sach dir au, wieso!« wütete Rudi, der nun nicht mehr auf seinem Hocker zu halten war und deshalb aufstand, um eine Runde in seinem Schloßpark zu drehen.

      »Paß auf! Nich nur, dat die Stadt uns die Gärten wechnimmt. Nee, dat is noch nich alles! Wenn wir auf dem anderen Gründstück, wat uns der Heini vonne Stadt, der Müller, angeboten hat, unsere Gartenhäuschen wieder aufbauen wollen, müssen mer da Trockenklos einbauen.« Der Rentner zog mit jedem Satz immer hektischer seine Runden. Er gestikulierte mit seinen großen Pranken, als stünde er vor einem Orchestergraben oder wolle eine Horde wilder Kleingärtner zur Attacke auf die Stadt zwingen. »Eher verreck ich, bevor ich mich auf so nen Bottich setz!« schloß er erschöpft.

      »Und was hab ich damit zu tun?« fragte Eddie gelangweilt.

      »Du machst die Werbung für uns, Pressekampagne oder wie dat heißt!«

      O Gott, da vorne steht Don Quichotte, und ich soll bei seinem Ritt gegen die Windmühlen den Sancho Pansa spielen! Scheißjob, dachte Eddie entsetzt.

      »Auf den Schreck brauch ich aber noch einen Schnaps. Rudi, du bist total verrückt. Wie kommst du nur auf so einen Blödsinn?« antwortete er schließlich mit einem besorgten Blick auf den Rentner, der ihn aufgebracht anstarrte.

      Eddie fühlte sich plötzlich tausend Jahre alt. Der Alkohol war ihm zu Kopf gestiegen, daran hatten auch die versalzenen Frikadellen nichts geändert. Im Gegenteil, von diesen Dingern hatte er nur noch mehr Durst bekommen. Er hielt sich krampfhaft an seiner dritten Dose Bier fest. Er war todmüde, und die Zeit drängte. Es war bereits früher Nachmittag, und er saß hier, angetrunken und ohne die leiseste Idee für eine Story, die er täglich für den Stadtanzeiger abzuliefern hatte. Ihm schien es, als habe jemand einen Haufen Watte in seinen Schädel gepackt. Das Zwitschern der Amsel, die seit geraumer Zeit auf einem Ast eines Pflaumenbaumes hockte, donnerte in seinen Ohren wie ein tosender Wasserfall. Er setzte das Likörglas an die gespitzten Lippen und kippte das Zeug mit

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