Schrebergarten Blues. Jost Baum
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»Du kannst die Bücher mitnehmen, wenn du gleich gehst!« rief sie ihm aus der Küche zu.
»Das war deutlich«, grinste Eddie, erhob sich mühsam wie ein Tattergreis und nahm den Bücherstapel unter den Arm.
»Übrigens, Opa Rudi hat gestern abend mit dem Hungerstreik begonnen … Ach ja, ehe ich es vergesse, du mußt mir das Zeug heute abend wiederbringen, die Leihfrist ist abgelaufen.«
»Mal sehen,« brummelte Eddie. Er wußte beim besten Willen nicht, ob er sich bei ihr noch einmal blicken lassen würde. Carla nickte nur, als er sich verabschiedete.
Eddie fröstelte, als er auf die Straße trat. Der Himmel war milchig grau, und die Sonne, die sich hinter dem Dunstschleier versteckte, hatte noch nicht genug Kraft, um ihn zu wärmen. Die Frau ist eiskalt, wie eine Tiefkühltruhe. Schade, daß sie mich so schnell rausgeschmissen hat. Ich hätte wirklich gerne noch ein wenig in ihrer Wäsche gewühlt und die Marke ihrer Anti-Baby-Pille erfahren, dachte Eddie grimmig, als er die Autotür aufschloß. Er kam sich jetzt plötzlich vor wie einer dieser Voyeure, die auf dem Bahnhofsklo herumstrichen und Löcher in die dünnen Wände der Damentoiletten bohrten. Manchmal hätte er sogar das getan, um wenigstens für Sekunden die Illusion von Nähe zu erhaschen. Um sich abzulenken, schaltete er das Autoradio ein. Aus dem Lautsprecher quoll Countrymusik. Es war genau das Richtige, um sich zu versichern, daß die Dinge noch an ihrem Platz waren und die Welt für ihn doch noch ganz passabel eingerichtet sei. Wenig später saß er in seinem Büro und blätterte in einem der Bücher, die Carla ihm mitgegeben hatte. Er tat dies eher aus einem schlechten Gewissen dem Mädchen gegenüber, als aus wirklichem Interesse. Allerdings war das Handbuch für den Golflaien so flott geschrieben, daß er sich schon nach paar Seiten festbiß und in einigen Kapiteln aufmerksamer schmökerte. Dann ließ er sich mit Dr. Müller verbinden und vereinbarte einen Termin für den frühen Nachmittag. Zuvor wollte er sich jedoch mit Rudi treffen, damit er mit ihm alle Argumente, die er gesammelt hatte, noch einmal durchsprechen konnte. Die Fotos, die Rehnagel vor einigen Tagen von der Kleingartenanlage geschossen hatte, waren alles andere als geeignet, Sympathien für den Erhalt der Parzellen zu wecken. Der Fotograf schien das ebenfalls bemerkt zu haben und war deshalb sofort bereit, seine Archivarbeit zu unterbrechen, um mit Jablonski an den Stausee zu fahren.
Unterwegs erzählte Rehnagel, daß er sich mit dem Sportredakteur nun endgültig verkracht habe, da dieser seine Fotos als zu gestellt und nicht aus dem Leben gegriffen betrachtete. Im Stillen mußte Jablonski dem Sportredakteur leider recht geben, obwohl er den schleimigen und unterwürfigen Hüser nicht ausstehen konnte.
Der Parkplatz an der Seeuferpromenade glich einem Jahrmarkt. Ein paar blasse, harmlose Typen in Jeans, Windjacken und Ökotretern hatten einen Tapeziertisch mit Greenpeaceplakaten behängt, auf denen tote Robbenbabies, plattgefahrene Karnickel und andere Viecher Mitleid heischten. Nebenan verkaufte ein Mädchen, das aussah, als sei sie einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche entlaufen, Aufkleber mit Friedenstäubchen und sinnigen Sprüchen wie: Frauen nehmen Frauen mit, oder: Rettet die Wale. Am Stand des Kleingartenvereins drängelten sich mehrere zünftig ausgerüstete Spaziergänger in Knickerbockern und Bergstiefeln, die vermutlich alle seit Jahrzehnten Mitglieder des »Sauerländischen Gebirgsvereins« waren, und trugen sich in eine Unterschriftenliste ein. Alle waren gekommen, um ein paar kleine Geschäfte abzuschließen, ihren Hund Gassi zu führen, auf die mißliche Lage der Bruthennen hinzuweisen und nebenbei zu erfahren, was es Neues an Opa Rudis Streikfront gab.
Eddie fühlte sich mehr als unwohl beim Anblick dieser trostlosen Gestalten. Sie erinnerten ihn daran, daß die Dinge häufig selbständig ihren Lauf nahmen, so daß man ihnen schutzlos ausgeliefert war und nichts mehr daran drehen konnte. Schließlich entdeckte er auch noch Winkelmann, der auf dem Übertragungswagen hockte und einem Kameramann Anweisungen gab, unter welcher Perspektive er die Meute ablichten sollte. Für Eddie war es mal wieder einer dieser Momente, in denen er nicht übel Lust hatte, sich einen hinter die Binde zu gießen. Doch war es sicherlich nicht günstig, vor diesen Spießern die Pulle hervorzuzerren und sich so als der Lokalreporter des Bochumer Stadtanzeigers zu präsentieren, also ließ er den Schnaps wohlverwahrt an seinem Platz. Eine Entscheidung, die ihm zwar nicht leicht fiel, die er jedoch in letzter Zeit immer häufiger treffen mußte und auf die er sich in stillen Stunden sogar etwas einbildete. Er hatte sich jetzt vorgenommen, seinen Part als Rudis Impresario zu Ende zu spielen, und kletterte deshalb die schmale Eisenleiter hinauf, die zu einer Plattform auf dem Dach des Wagens führte.
Winkelmann tat sehr überrascht, seinen Kollegen an dieser Stelle wiederzutreffen. Er schien sich zu ärgern, daß es nun kein Exklusivbericht mehr sein würde, den er da produzierte.
Sogar ohne Fernglas konnte Eddie von seinem Hochsitz aus das kleine Motorboot beobachten, das mitten im Stausee vor Anker lag. Zwischen den beiden Masten war ein Tuch gespannt, auf das jemand in roter Farbe das Wort ›Hungerstreik‹ gemalt hatte.
»Fährst du mit mir zu diesem Wahnsinnigen hinüber und stellst ihm ein paar knifflige Fragen?« lachte Eddie und blickte Winkelmann erwartungsvoll an.
»Dafür brauche ich dich nicht!« antwortete Winkelmann mißmutig.
Jablonski begriff, daß er für Winkelmann zum Konkurrenten geworden war, der seine Nasenspitze schon etliche Millimeter näher als seine Mitstreiter an die Ziellinie herangeschoben hatte. Keine schlechte Ausgangsposition, wenn man bedenkt, daß ich heute morgen noch wie ein Häuflein Elend auf einer fremden Couch lag, dachte er zufrieden. Allerdings wollte er es sich nicht mit Winkelmann verderben. »Okay, geschenkt, komm schon!« lenkte er deshalb ein.
»Du gestattest aber, daß wir mein Boot nehmen, das ich vorsichtshalber schon mal zu Wasser gelassen habe, oder?« entgegnete Winkelmann gereizt, während er die Leiter hinunterstieg.
»Warum nicht?« meinte Eddie. »Ich nehm das als Gegenleistung. Ohne mich läßt dich Opa Rudi sowieso nicht an Bord«, fügte er hinzu, nachdem er in das Schlauchboot geklettert war und auf einem feuchten Brett Platz genommen hatte.
Die Erkältung steckte ihm immer noch in den Knochen, und Eddie schauderte, als eine steife Brise über den See strich, die das Wasser peitschte und das Schlauchboot schaukeln ließ. Er konnte sich nichts Ungemütlicheres vorstellen, als auf diesem lausigen Tümpel einen Hungerstreik zu zelebrieren. Hastig zündete er sich eine Zigarette an, die ihn ein wenig wärmen sollte.
Winkelmann mühte sich indessen ab, den kleinen Außenbordmotor anzuwerfen. Als das Ding endlich startete, knatterten die beiden, ohne ein Wort miteinander zu wechseln, in langsamer Fahrt auf das Boot zu, das wie ein Korken in dem aufgewühlten Wasser auf und nieder hüpfte. Niemand rührte sich, als sie in Sichtweite herangekommen waren.
»Hey Rudi, ich bin’s … nicht schießen!« rief Eddie, die Hände vor dem Mund zu einem Schalltrichter geformt. Ihm war noch rechtzeitig eingefallen, daß der Rentner seine Flinte mitnehmen wollte und womöglich auf alles ballerte, was ihm zu nahe kam. Ein beunruhigender Gedanke, in einem Gummiboot zu sitzen und als Zielscheibe für einen verrückt gewordenen Kleingärtner zu dienen, entschied Eddie und wiederholte sein Rufen. Bis auf das Tuckern des Außenborders blieb es absolut still. Keine Spur von Rudi.
Sie drehten vorsichtshalber noch zwei Ehrenrunden, bevor Winkelmann die kleine Dieselbarkasse anpeilte, den Motor stoppte und wartete, bis sie so viel Fahrt verloren hatten, daß der Schwung gerade noch ausreichte, um sie bis zur Barkasse zu treiben. Als er in