Zur Zukunft eines bedingungslosen Grundeinkommens. Christian Greis
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Hier taucht, weit entfernt vom heutigen Diskurs, die Idee eines Grundeinkommens zum ersten Mal auf (vgl. Morus 2019, S. 54−77). Ist jene bei Morus noch eine Randnotiz seines utopischen Romans, so gehört das Grundeinkommen beim amerikanischen Philosophen Thomas Paine und beim englischen Autor Thomas Spence Ende des 18. Jahrhunderts bereits zu einer zentralen Idee in ihren Werken. Bei Paine sollten Einnahmen aus Bodenrenten jedem Menschen bei seiner Volljährigkeit ein Startkapital gewährleisten, um sich eine wirtschaftliche Zukunft in der Gesellschaft aufzubauen. Paine (2019, S. 78−112) versteht dieses einmalige Einkommen als Menschenrecht, das der Menschheit als geteiltes Anrecht auf die Erde zusteht. Bei Spence werden die Gedanken Paines radikalisiert und in ein zusätzliches politisches Programm zur Vergemeinschaftung des Grundbesitzes eingebettet. Spence sieht darüber hinaus eine regelmäßige und lebenslängliche Zahlungsleistung für alle Menschen als Grundlage für die Verpachtung von Böden als angebracht an (vgl. Spence 2019, S. 99−112). Damit ist Spence der erste moderne Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE), sein Grundgedanke kommt den heutigen Konzepten dieses Prinzips sehr nahe.
Jener Grundgedanke hat sich bis heute aber noch stark weiterentwickelt, differenziert und vielfach gewandelt. So schlägt die Stunde für die Theorien des bedingungslosen Grundeinkommens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Idee gewinnt erst zu Ende des 20., Anfang des 21. Jahrhunderts immer mehr an Form und Aussagekraft. Wobei sich in der Geschichte des Grundeinkommens nie nur ein einziges Konzept herauskristallisierte, sondern unterschiedliche Konzepte und auch Begründungen nebeneinander bestehen. Es haben sich auch Vertreter*innen unterschiedlichster Disziplinen mit dem Grundeinkommen auseinandergesetzt. So ist der Soziologe Ralf Dahrendorf ebenso ein Vertreter des Grundeinkommens, wie der Philosoph André Gorz, der Aktionskünstler Joseph Beuys, der Sozialpsychologe Erich Fromm oder der Ökonom Milton Friedman (vgl. Kovce/Priddat 2019). Vor allem scheint auch in der gegenwärtigen Soziologie das Interesse am bedingungslosen Grundeinkommen als sozialpolitische Maßnahme gegen ein erodierendes Sozialsystem zu steigen. So haben sich auch Ulrich Beck, Sascha Liebermann, Stephan Lessenich, Oskar Negt, Claus Offe und Hartmut Rosa, um nur einige Soziologen zu nennen, für das bedingungslose Grundeinkommen ausgesprochen bzw. es als Alternative für das bestehende Sozialsystem untersucht.
Was macht aber das Grundeinkommen für die Soziologie so interessant? Soziologische Theorien, die sich mit der derzeitigen Sozialstruktur, den neuen Arbeitsverhältnissen im flexiblen Kapitalismus, mit dem Abbau des Sozialstaates oder der Alterung der Gesellschaft beschäftigen, kommen mehrfach zur Erkenntnis, dass die Ressourcen des Sozialstaates nicht mehr in der Lage sein werden, den zukünftigen gesellschaftlichen Wandel und die zunehmende Ungleichheit zu kompensieren. Die Konsequenz ist, dass die Soziologie sich auch mit neuen Sozialmodellen beschäftigt, um den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden, dazu zählt auch das Grundeinkommen. Zudem, so betont vor allem der Soziologe Hartmut Rosa, hat die Beschleunigung zu einem entfremdeten Weltverhältnis der Menschen geführt. Technischer Fortschritt, Beschleunigung des sozialen Wandels und des Lebenstempos verlangen nach einem Sozialmodell der Entschleunigung, das eine »gelingende Weltanverwandlung durch Resonanz« ermöglicht. Hier sieht er vor allem das bedingungslose Grundeinkommen in Verbindung mit möglichen anderen sozialpolitischen Maßnahmen als Faktor, der eine resonante Anverwandlung der Welt durch existenzielle Sicherheit für die gesamte Gesellschaft ermöglicht und somit den Druck der Beschleunigungsspirale abfedert (vgl. Rosa 2016, S. 707−739).
Die Eigenheit dieser Abhandlung äußert sich einerseits in ihrer metatheoretischen Zugangsweise, andererseits durch die soziologische sowie sozialstrukturelle Analyse der Gesellschaft, die mit dem Grundeinkommen in Verbindung gebracht wird. Diese Blickwinkel ermöglichen es, das bedingungslose Grundeinkommen aus einer kritischen Perspektive zu analysieren. Aus der metatheoretischen Perspektive können wir bereits ablesen, dass das Grundeinkommen von seinen Anhänger*innen zwar als Sozialmodell für das 21. Jahrhundert angepriesen wird, es aber vier dominante Modelle im Diskurs um das Grundeinkommen gibt, die sich allesamt in ihrer Umsetzungsform und ihrer Finanzierungsart maßgeblich unterscheiden. In ihren Idealen sind alle BGE-Vertreter*innen gleich, sie vertreten dieselben Werte und dieselben Prinzipien, so homogen wie ihre Ideale, sind die Konzepte selbst aber gerade nicht. Damit hätten sie in ihrer Realisierung auch allesamt unterschiedliche Konsequenzen für das Sozialsystem und für die Gesellschaft. Diesbezüglich können wir bereits eine erste Diskrepanz erkennen, die uns während der gesamten Analyse begleitet. Hier kommt nun die soziologische Analyse der Gegenwartsgesellschaft zum Zug, jene gestattet es uns die Entstehung von Krisen im Sozialsystem und mit ihnen in der Erwerbsarbeit zu erforschen. Aus diesem Entstehungszusammenhang lässt sich ableiten, was ein sozialpolitisches Modell der Zukunft überhaupt leisten muss, um die bestehenden Defizite des Sozialstaats zu verbessern.
Halten daran anknüpfend die verschiedenen Konzepte eines bedingungslosen Grundeinkommens aber überhaupt, was sie versprechen? Ermöglicht die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens bestehende soziale Krisenherde zu beheben oder führt dessen Einführung im Gegenteil dazu, dass sich die soziale Lage der Bevölkerung verschlimmert? Könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen die Anforderungen, die das 21. Jahrhundert an Sozialsystem und Gesellschaft stellt, lösen? Und den sich im Erodieren befindenden Sozialstaat konstruktiv sowie nutzbringend ersetzen oder ergänzen? Um diese Fragestellung gebührend beantworten zu können, gilt es, eine soziologische Analyse des bedingungslosen Grundeinkommens durchzuführen. Das heißt, der wissenschaftliche Untersuchungsgegenstand des bedingungslosen Grundeinkommens (in der Folge auch BGE genannt) wird in einem dialektischen Dreischritt durchleuchtet. Als Dialektik wird hier im Anschluss an den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel eine dreiteilige wissenschaftliche Methode der kritischen Überprüfung von Wissen, Thesen und Argumenten verstanden. Diese Methode lässt sich in drei Stufen des Erkenntnisprozesses unterscheiden, an deren Ende durch das Gegenüberstellen von Thesen (Position) und Antithesen (Negation) eine neue Ebene der Erkenntnis eingenommen werden kann, die Synthese (Negation der Negation) genannt wird (Schwandt 2010, S. 38−43).
Auf den Sachverhalt dieser Abhandlung lässt sich die logische Methode der Dialektik nun wie folgt anwenden: In einem ersten Schritt werden unterschiedliche Umsetzungs- und Finanzierungsformen des BGE erklärt. Dazu zählen das von Götz W. Werner vertretene, durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer als Konsumsteuer finanzierte bedingungslose Grundeinkommen, das durch eine negative Einkommensteuer finanzierte Grundeinkommen, welches als erstes von Milton Friedman vertreten wurde und heute von Thomas Straubhaar repräsentiert wird, das aus Transaktionssteuern finanzierte bedingungslose Grundeinkommen, welches derzeit vom Philosophen Richard David Precht propagiert wird, sowie ein BGE, welches sich durch die Erhöhung der Einkommenssteuer und durch soziale Umverteilung auszeichnet und in verschiedenen Kreisen der Linken populär ist.
Daraufhin werden wir die derzeitigen sozialen Krisenherde und Probleme des aktuellen Sozialsystems unter die Lupe nehmen. Dabei wird vor allem auf soziologische Theorien und sozialwissenschaftliches Datenmaterial zurückgegriffen. Zu den genannten Anforderungen des Sozialsystems für das 21. Jahrhundert zählen erstens die zunehmende Spaltung und Polarisierung der Gesellschaft, die sich aus den wachsenden Einkommensunterschieden und der zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich ergeben. Zweitens der Abbau des Sozialstaates und die damit zusammenhängende Umstellung der Sozialpolitik von einer sichernden zu einer aktivierenden Herrschaftstechnik. Drittens und viertens die steigende Beschleunigung und Flexibilisierung der Gesellschaft, die auf den Abbau des Tarifrechts, der Normalarbeitsverhältnisse und der Digitalisierung zurückzuführen sind und deren teils dramatische Auswirkungen auf Sozialisation und Identitätsbildung eine Fragmentierung