Harry Piel sitzt am Nil. Gerhard Henschel

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Harry Piel sitzt am Nil - Gerhard Henschel

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      Gerhard Henschel

      Harry Piel sitzt am Nil

      Über Schmähkritik und Unflätigkeit im öffentlichen Raum

      FUEGO

      - Über dieses Buch -

      Ein Deutschrapper brüstet sich damit, dass er auf Bettler pisse und »mehr Teenies weggeknallt« habe als Anders Breivik, auf RTL wirft der Juror eines Talentwettbewerbs regelmäSSig mit FäkalausdrÜcken um sich, und unter freiem Himmel kommen einem Menschen in T-Shirts entgegen, auf denen Sachen stehen wie »Dicke Männer ficken besser« oder »Wer bläst, wird auch geleckt!«

      Wo hört er auf, der Spaß? Was darf die Satire? Was sollte sie lieber lassen? Wo verlaufen inzwischen die Grenzen des schlechten Geschmacks? Weshalb ist Robert Gernhardts Kragenbär, der sich munter einen nach dem andern runterholt, im Gegensatz zum Latrinenhumor der Comedians nicht obszön, sondern schön?

      Gerhard Henschel geht in seinem Buch auf alte und neue Skandale ein, auf quotensteigernde Zoten, ordinäre Gemeinheiten und wahrhaft große Werke der schweinischen Kunst.

      Seiner Polemik gegen den türkischen Präsidenten Recep Erdoğan schickte der Komiker Jan Böhmermann in seiner ZDF-Sendung Neo Magazin Royale eine distanzierende Bemerkung voraus: »Was jetzt kommt, das darf man nicht machen.« Und dann unterstellte er ihm in gereimter Form, daß er übel rieche, Mädchen schlage, geschlechtlich mit Ziegen verkehre, Kinderpornos schaue, eine »dumme Sau« mit »Schrumpelklöten« sei und zudem »schwul, pervers, verlaust und zoophil«, und daß er an Gangbangpartys teilnehme, »bis der Schwanz beim Pinkeln brennt«. Böhmermanns Annahme, er sei durch die vorangestellte Distanzierungsformel vor straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen seiner beleidigenden Worte geschützt, zeugt von einer fast kindlichen Naivität. Wenn es so einfach wäre, könnte sich in ähnlich gelagerten Fällen jedermann auf diese Weise einen rechtsfreien Raum verschaffen.

      Dem türkischen Präsidenten, der bereits auf milden Spott mimosenhaft empfindlich zu reagieren pflegt, hat Böhmermann leichtfertigerweise einen Trumpf in die Hand gespielt. Satirikern bietet Erdoğan viele Angriffsflächen, doch es gab keinen Grund für einen Schlag unter die Gürtellinie. Das ZDF hat den Beitrag schamhaft aus der Mediathek entfernt, und während nun die Köpfe der involvierten Juristen und Politiker rauchen, mehren sich die Solidaritätsadressen aus Böhmermanns Kollegenkreisen. Oliver Welke von der heute-show erkennt in dem Gedicht ein Experiment der Selbsterfahrung (»Ich kann mir vorstellen, daß Böhmermann seine Grenzen ausloten wollte. Das ist legitim«), der Komiker Dieter Hallervorden singt, daß Erdoğan ein Terrorist sei, »der auf freien Geist nur scheißt«, der Kabarettist Wolfgang Krebs teilt mit, er stehe »voll auf der Seite Böhmermanns« (»Lachen über Satire ist Katharsis, ein reinigender Prozess«), und auch Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende des Springerkonzerns, hat in einem offenen Brief erklärt, daß er die Schmähkritik für »gelungen« halte (»Ein Kunstwerk. Wie jede große Satire«). Er habe »laut gelacht«.

      Ob er das auch getan hätte, wenn er selbst das Ziel des Angriffs gewesen wäre? »Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner, / selbst ein Schweinefurz riecht schöner« – es ist ein weitgefasster Kunstbegriff, mit dem Döpfner hier operiert, wenn er solchen Versen den Rang einer großen Satire zuspricht. Die Tendenz und das Bauprinzip gehen auf Reimgebilde zurück, die der Kindermund schon vor Jahrzehnten geprägt hat: »Harry Piel sitzt am Nil, / wäscht sein’ Stiel mit Persil.« Der Schauspieler Harry Piel mußte allerdings nicht damit rechnen, in einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt in dieser Form angegangen zu werden.

      In den sechziger Jahren waren Kraftausdrücke im Fernsehen noch tabu, und nicht nur hierzulande: In seiner Autobiographie »Wo war ich noch mal?« hat der große britische Komiker John Cleese geschildert, wie in der BBC bei der Produktion der Folgen von Monty Python’s Flying Circus um jedes »damn« und »bloody« und »bastard« gerungen wurde. Ihm selbst hätten die Streichungen jedoch nichts ausgemacht, schreibt er, denn er habe Kraftausdrücke im allgemeinen nicht gemocht: »Flüche auf der Bühne sind Schummelei, weil es einfach eine saufaule Methode ist, Lacher aus einem Text rauszuholen, der nicht komisch genug für einen Lacher ist. Doch allmählich gingen mit den allgemeinen Normen auch die meinen den Bach runter. Den besten Rat, den ich je in diesem Zusammenhang bekam, erteilte mir Richard Attenborough Anfang der Siebzigerjahre: ›Verwende Anstößiges sparsam.‹ Also gestattete ich mir hie und da mal ein fucking, vielleicht vier in einer Zweistundenshow. Doch im tiefsten Inneren war ich nach wie vor überzeugt, dass wirklich gute Comedy nicht auf künstliche Stimulanzien bauen muss.«

      Im bundesrepublikanischen Fernsehen hielten derbere Töne Einzug, als 1973 Wolfgang Menges vom WDR produzierte Serie »Ein Herz und eine Seele« auf Sendung ging, mit der Kunstfigur Alfred Tetzlaff in der Hauptrolle, einem unentwegt schimpfenden Kleinbürger, der seine Frau als »dusselige Kuh« und »blöde Gans« abkanzelte, gelegentlich auch »Scheiße« und »Arschloch« sagte und immer wieder mit seinem ungeliebten Schwiegersohn aneinandergeriet: »Aber das kann ich dir sagen, du langhaarige bolschewistische Hyäne, bevor ich abkratze und dir auch nur einen Furz hinterlasse, schmeiß ich ’ne Bombe und jag die ganze Bude in die Luft!« So etwas hatte es noch nicht gegeben. Die Serie erfreute sich großer Beliebtheit, doch es gab auch Bedenken gegen diese Mischung aus realistischer Vulgarität und spaßhafter Überzeichnung eines nie zuvor in seiner komischen und grotesken Schäbigkeit gezeigten Milieus. Der Kritiker Walter Jens urteilte 1974 in der Zeit, daß es sich um eine »Popo- und Busen- und Pinkelklamotte« handele, über die er nicht lachen könne.

      Er machte es sich damit sehr leicht. Ihm genügte der nicht näher definierte Begriff »Pinkelklamotte«, um eine Serie abzutun, die für Millionen Fernsehzuschauer einen Lichtblick bildete, nachdem man sie viele Jahre lang mit zahnlosen Lustspielen, seichten Quizsendungen und Sissi-Filmen abgespeist hatte. Es war höchste Zeit für eine wahrheitsgetreuere Abbildung der Wirklichkeit. Dem damals noch immer ermittelnden Fernsehkommissar Herbert Keller wäre niemals das Wort »Scheiße« über die Lippen gekommen; das besorgte erst sein Erbe Horst Schimanski, ab 1981, und dann brachen alle Dämme, als die Privatsender die Fernsehlandschaft umpflügten und sämtliche bis dahin bekannten Grenzen des guten Geschmacks überrannten.

      Nun schwappten zum Telefonsex animierende Brüste auf den Bildschirm, die Mitglieder einer Band namens Die Doofen hielten sich Klobürsten vor den Mund und sangen »Nimm mich jetzt, auch wenn ich stinke«, und es begann der Aufstieg der Comedians, die sich von Jahr zu Jahr kühner gebärdeten und die Punchlines, die man vornehmlich von der Toilettenwand gekannt hatte, ungefiltert in die Öffentlichkeit trugen.

      2001 verhöhnte Stefan Raab in seiner Sendung TV total auf ProSieben ein sechzehnjähriges Mädchen, das sich bei einer Schönheitskonkurrenz beworben hatte: »Ja, die Lisa Loch, meine Damen und Herren! Man muß doch heute nicht Lisa Loch heißen! So was kann man doch heute notariell ändern lassen, zum Beispiel Lotti Loch, oder vielleicht war Lisa Loch ihr Künstlername, und die heißt nämlich Petra Pussy.« In seiner Sendung führte er dann das Wahlplakat einer fiktiven »Lisa-Loch-Partei« vor, auf dem ein kopulierendes Paar zu sehen war. Für diese Schandtat mußten Raab und ProSieben 70.000 € Schmerzensgeld zahlen, aber unendlich viele Aussprüche ähnlicher Art sind fröhlich belacht worden, im Ozean der Gemeinheit versunken und ungesühnt geblieben. In seiner Late-Night-Show zeigte der Entertainer Harald Schmidt dem Publikum einmal eine Aufnahme der erfrorenen Füße eines Bergsteigers und knüpfte daran den launigen Kommentar, daß dieses Bild Paul McCartney sexuell erregen müsse. Wobei der Witz darin bestand, daß McCartney mit einer beinamputierten Frau verheiratet war.

      Auf diesem Niveau bewegt sich seit 2002 auch die von RTL ausgestrahlte Sendung Deutschland sucht den Superstar, die ihre Popularität großenteils der Schadenfreude des Publikums an der Beschimpfung untalentierter Kandidaten verdankt. »Ein Kritiker läßt vor einer Million Menschen drucken, was er nicht einem einzigen anständigen Menschen ins Gesicht sagen dürfte« – diese dem Dirigenten Hans von Bülow im späten 19. Jahrhundert zugeschriebenen Worte sind überholt, seit der Schlagersänger Dieter Bohlen sich als DSDS-Juror betätigt. Koprolalie ist geradezu

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