Dolmetschen als Dienst am Menschen. Группа авторов

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Dolmetschen als Dienst am Menschen - Группа авторов Translationswissenschaft

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unterbelichtet geblieben war.

      Das Thema Macht soll deshalb buchstäblich im Zentrum dieses Beitrags stehen. Der Titel „Dolmetschen. Macht. Asyl“ spielt dabei auf den eines Aufsatzes an, in dem Mira Kadrić (2012) ihre empirischen Untersuchungen zur Rekrutierung von DolmetscherInnen im österreichischen Polizeiwesen präsentiert. Das Verhältnis von Macht und Menschenrechten, insbesondere dem Recht auf Asyl, wird im gegenständlichen Fall auf diskursanalytischer Basis thematisiert. Konkret wird anhand einer Konfliktsituation im Rahmen einer Asylanhörung gezeigt, inwiefern und auf welche Weise DolmetscherInnen in ihrer institutionellen Rolle Macht ausüben können. Davor wird der theoretische Rahmen für die Beschreibung des institutionellen Bedingungsgefüges und die Analyse der Gesprächsauszüge skizziert.

      2 Machtvolles Handeln im translatorischen Bedingungsgefüge?

      Wie einleitend erwähnt, wird in der Wiener Schule der Translationswissenschaft seit den frühen 1990er Jahren ein integrativer disziplinärer Ansatz verfolgt, der stark in der funktionalen Translationstheorie (Holz-Mänttäri 1984, Vermeer 1990) verankert ist. So wurde unter anderem das Simultandolmetschen bei internationalen Fachkonferenzen (Pöchhacker 1994) und eben auch das Dolmetschen bei Gericht (Kadrić 2009) als translatorisches Handeln im Sinne von Holz-Mänttäri und Vermeer (Prunč 2012, Kap. 5) analysiert. Als besonders wertvoll erwies sich dabei die Sichtweise von der Einbettung translatorischen Expertenhandelns in ein aus der Auftragsbeziehung resultierendes Bedingungsgefüge. Allerdings wurde das Verhältnis zwischen AuftraggeberIn und TranslatorIn als prinzipiell kooperativ und bestenfalls als ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis konzipiert; Konflikte oder Machtungleichgewichte waren kaum Thema, was auch durch die Fokussierung auf Fachtexte als Gegenstand von Bestell-, Produktions- und Liefervorgängen bedingt gewesen sein mag. Beim Dolmetschen ist das Auftragsgefüge weitaus komplexer, weil nicht (nur) ein Text (bzw. „Botschaftsträger“) bestellt wird und zu liefern ist, sondern ein interaktives Handeln in einer sozialen Situation ‒ konkret: einer zwischenmenschlichen Kommunikationssituation. Über die AuftraggeberIn‒ExpertIn-Beziehung hinaus werden dadurch die Beziehungen in der Triade der Interaktionsbeteiligten (d.h. primäre Gesprächspartner und DolmetscherIn) zum Thema, und diese sind gerade im Bereich gesellschaftlicher Institutionen wie Behörden und auch Dienstleistungseinrichtungen per definitionem durch ungleiche Machtverhältnisse geprägt.

      Während institutionelle Kommunikation trotz ausgeprägter Abhängigkeitsverhältnisse auch sehr kooperativ angelegt sein kann ‒ beispielsweise im Gesundheitswesen oder in der Asylberatung, gibt es im behördlichen Kontext Interaktionskonstellationen, in denen die beiden primären Gesprächspartner deutlich unterschiedliche, ja sogar ausgesprochen konträre Interessen und Ziele verfolgen (siehe dazu Parameter 6, „shared vs. conflicting goals“, in der Typologie von Alexieva 1997/2002). Das polizeiliche Verhör eines Verdächtigen wäre dafür ein typisches Beispiel; ein weiteres, das Gegenstand dieses Beitrags ist, ist eine Anhörung im Asylverfahren, bei der die angegebenen Fluchtgründe von der Behörde auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft werden. Das Wort von „der Behörde“ deutet wiederum auf die Vielschichtigkeit des Interaktionsgefüges hin, das im Folgenden noch näher zu beschreiben sein wird. Zunächst aber sei die Skizze des theoretischen Rahmens um die Konstrukte der Rolle und Macht von Dolmetschenden ergänzt.

      Ungeachtet der kooperativen oder konfliktiven Beziehung zwischen den primären Gesprächspartnern stellt sich die Frage nach der Positionierung und den Handlungsmöglichkeiten der DolmetscherIn in der triadischen Interaktionssituation. Eine erste Antwort darauf gab der Soziologe Bruce Anderson (1976/2002), der die Position des Mittlers („man in the middle“) als Diener zweier Herren mit ihren nicht unbedingt kompatiblen Anforderungen problematisierte. Er sah Rollenkonflikte gleichsam vorprogrammiert, da die fallspezifischen Rollenanforderungen nicht im Detail festgelegt seien: „the interpreter’s role is always partially undefined“ (Anderson 1976/2002:211). Darüber hinaus sah er die Gefahr einer Überfrachtung der Dolmetscherrolle (role overload) durch situativ bedingte Leistungsanforderungen. Zugleich aber sah Anderson diese Schwächen zum Teil durch die Machtposition kompensiert, die aus der bilingualen (und wohl auch bikulturellen) Kompetenz des Dolmetschers erwächst: „Thus his position in the middle has the advantage of power inherent in all positions which control scarce resources“ (Anderson 1976/2002:212). Nützt die DolmetscherIn diese Macht in dem Ermessensspielraum, der sich durch die unklaren Rollenerwartungen eröffnet, so sei von einem außergewöhnlich großen Einfluss auf den Ablauf der dolmetschervermittelten Interaktion auszugehen.

      Wie bereits erwähnt, blieb dieser frühe Problemaufriss in der Dolmetschforschung weitgehend unbeachtet, solange das internationale Konferenzdolmetschen mit seiner „Normalkonfiguration“ von „etwa gleich mächtigen Partnern“ (Prunč 2012:32) im Vordergrund stand. Umso eindringlicher forderte Cronin um die Jahrtausendwende eine Neuorientierung ein, nicht zuletzt um die komplexe Frage der Macht beim Dolmetschen zu thematisieren: „power is everywhere in the definition, context and practice of interpreting“ (2002:387).

      Zuerst gar nicht im Blick, dann omnipräsent? Ohne Zweifel bedarf das Konstrukt der Macht und deren situations- und rollenspezifischer Ausübung einer weiteren Analyse und Operationalisierung. Basierend auf der Auffassung von Macht als der Fähigkeit, kraft verfügbarer Ressourcen auf Handlungspartner einzuwirken (Kadrić 2011:39), lässt sich mit Mason (2015) eine dreifache Differenzierung von Machtverhältnissen beim Dolmetschen vornehmen, die für das im Folgenden präsentierte Fallbeispiel unmittelbar relevant ist. Mason spricht zum einen ‒ mit Bezug auf Anderson ‒ die interaktionelle Macht an, die es der DolmetscherIn erlaubt, gesprächssteuernd zu agieren, und erwähnt zum Beispiel die Sprecherwechselkoordination, zusammenfassende oder eigenständige Gesprächsbeiträge (summarizing bzw. non-renditions bei Wadensjö 1998) sowie ein Auftreten als „co-interlocutor“, bei dem die DolmetscherIn die Interaktionsrolle der befugten InstitutionsvertreterIn übernimmt. Hier klingt schon die zweite, übergeordnete Ebene der institutionellen Machtverhältnisse an. Mason (2015:315) ruft abgesehen vom vorgegebenen Machtgefälle zwischen den Beteiligten („immigration officials have more power than asylum seekers“) vor allem die Geringschätzung von DolmetscherInnen als Hilfsorganen von Behörden in Erinnerung, wie sie auch Kadrić (2009) thematisiert und durch ihre emanzipatorische Didaktik auf der Grundlage des Theaters der Unterdrückten im Sinne einer emanzipatorischen Praxis zu überwinden sucht (Kadrić 2011).

      Als dritte Bezugsebene nennt Mason das soziolinguistische Machtverhältnis zwischen den beteiligten Sprachen und scheint schon zum gegenständlichen Fallbeispiel überzuleiten, wenn er anführt, dass etwa afrikanische Sprachvarietäten und Diskursmuster im europäischen Kontext wenig Gehör finden: „persons using African styles of speech and writing lose their ‚voice‘ (that is, their ability to make themselves heard and be taken seriously) when translated into powerful European languages and settings.“ Vor eben diesem Hintergrund forderte Barsky (1994), dass DolmetscherInnen im Asylverfahren zugunsten der im System benachteiligten Seite aktiv eingreifen und als „intercultural agents“ fungieren sollten, anstatt sich auf eine mechanisch-neutrale Rolle als „innocuous translating devices“ zu beschränken. Im folgenden Fallbeispiel werden die hier angesprochenen Konzepte und Positionen zu Macht und Rolle in Erscheinung treten und eine Diskussion darüber ermöglichen, welchen Einfluss die DolmetscherIn auf das Interaktionsgeschehen nehmen kann.

      3 Fallbeispiel Asylanhörung

      Das Corpus von authentischen zweitinstanzlichen Asylanhörungen, dem das Fallbeispiel entnommen wurde, stammt noch aus der Zeit der Vorläuferinstitution des 2008 eingerichteten Asylgerichtshofs bzw. (ab 2014) Bundesverwaltungsgerichts. Am sogenannten Unabhängigen Bundesasylsenat wurden insgesamt 14 Asylanhörungen mit Englisch sprechenden afrikanischen AsylwerberInnen aufgenommen, an denen fünf verschiedene EntscheiderInnen und sieben verschiedene DolmetscherInnen beteiligt waren (Pöchhacker & Kolb 2009).

      An der gegenständlichen Berufungsverhandlung, die im August 2006 aufgenommen wurde, sind eine verhandlungsleitende

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