Das kleine Narrcoticum. Thomas C. Breuer

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Das kleine Narrcoticum - Thomas C. Breuer Lindemanns

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bieten. Überhaupt ist die Landschaft wie geschaffen für Biker, die mit sattem Knatterton dahinrallern, virtuos auf der Talfahrt, auf der Harley Fatboy, auf der Triumph Thunderbird – man weiß ja: Triumph krönt die Figur, weswegen sie von frisierten Frauen bevorzugt wird, auf der Original-Suhl-Simson Star SR4, oder eben, wer über das nötige Kleingeld verfügt, auf der Bannister Road Rider, was im Brezelfinger Winter nicht ungefährlich ist, denn das Salz wird anderweitig benötigt.

      Die Gemeinde, die sonst nicht allzu viel zu bieten hat, beherbergt nämlich einen Bäckerei-Großbetrieb, in dem u. a., nun ja, nomen est omen, überwiegend Brezeln hergestellt werden. Das Wort Brezel geht übrigens auf das lateinische „brachium“ zurück und von diesem Wortstamm ist es nicht weit zu „brachial“.

      Gut, prinzipiell könnte man einwenden, dass die Damen und Herren Biker nichts anderes sind als Benzinschlucker und Lärmverbreiter, zäh wie Leder, d.h. wie ihre Oberbekleidung, und die Frage sei erlaubt, ob da vielleicht welche Fahrtwind mit Freiheit verwechseln, andererseits kommt dieser Personenkreis wenigstens an die frische Luft und somit weniger auf dumme Gedanken. Viele von ihnen verbreiten das Wort Gottes, denn es gibt sie tatsächlich, die christlichen Biker, die an jedem Autobahnkreuz ein Gebet sprechen, sogar organisiert. Interessierte können sich den Folder der „Evangelischen Frauen in Baden-Württemberg – Pilgern mit Motorrad“ besorgen: Dabei suchen Easy Riderinnen den Flow zwischen Kraftstoff und Kraftfeld, zwischen innerer und äußerer Einkehr („Bikers welcome!“), zwischen Geist und Himbeergeist, zwischen PS und PMS, nähermeinGottzudir, und krawallen mit dreißig Maschinen durchs Biosphärengebiet, die gewundenen Straßen ein gefundenes Fressen, um schließlich als röhrende Gottesanbeterinnen, die Ausfahrt als Wallfahrt nutzend, bei der Heiligen Hildegard von Singen innezuhalten und Trost zu finden.

      Die Manufaktur Bannister sucht immer qualifiziertes Personal, was in dieser strukturschwachen Gegend nicht so einfach ist, zumal sich ganz in der Nähe ein zweites Unternehmen findet, das ebenfalls mit einem holistischen Ansatz zu Werke geht, weswegen man auch in Dauchingen ständig Schrauber braucht.

      Was fällt einem bei der Einfahrt nach Schramberg ein? Es geht steil bergab. Hier haben sich schon viele Bikerle Schrammen geholt. Seit dem 28. April 2020 aber hat die Gemeinde dem Motorradlärm den Kampf angesagt, eine schlimme Nachricht für Noise-Enforcer und Sounddesigner. Aufheulende Maschinen treffen auf aufheulende Bürger, 81 Gemeinden und Landkreise haben sich schon dieser Initiative angeschlossen. Wie es die Schramberger anstellen werden, weiß bisher keiner, aber bei Amazon gibt es die „Army Road Block Straßensperre Krähenfüße Nagelsperre Polizei Straßensperre Nagelkette Nagel Sperre“ schon für 343,46 Euro. Gut, es heißt Army, aber vielleicht sind sie im zivilen Bereich einsetzbar. An den Ortseinfahrten sollen jedenfalls Displays installiert werden, die die Dezibel anzeigen und die Geschwindigkeit messen, um dem Fahrer gleich anzuzeigen: „Langsamer!“, „Leiser!“ oder „Fuck yourself!“ Sie versprechen sich davon eine nachhaltige Wirkung, was nicht zwingend bedeutet, dass die Biker nach wenigen Minuten halten.

      Dauchingen

      Aaah, Dauchingen, Juwel des Okzidents! Erstmals urkundlich erwähnt 1094 als Taichingen oder Töchingen, alsbald aber Dauchingen, weil das für die Zivilbevölkerung wegen des kollektiv vorgeschobenen Unterkiefers leichter auszusprechen war. Schon die Römer hatten sich hier niedergelassen, wie Münzfunde im Gewann Riesenburg vermuten lassen, wo sich wahrscheinlich ein Glücksspielcasino befunden hatte. Lt. Wikipedia sind „schützenswerte Biotope nicht mehr erhalten“, wegen der intensiv landwirtschaftlich genutzten Flächen, das Naturdenkmal Johann-Linde ist der fast einzige Baumbestand der Gemeinde. Dennoch bietet Dauchingen einer endemischen Tierart eine Heimat, die nicht einmal besonders geschützt werden muss, und ihr jährliches Erscheinen ist verlässlich zu verorten – natürlich bei der Fasnet. Wenn es allerdings an der Natur nicht liegt, für ein anständiges Habitat zu sorgen, muss es wohl an der lt. Eigenauskunft der Gemeinde „hervorragenden verkehrlichen Anbindung“ liegen. Verkehrlich – was für ein Wort in diesem Zusammenhang.

      Wenn die Zeitung schreibt: „Und dann ist Stimmung pur angesagt“, weiß man, dass jetzt die Paarungszeit der Wurstsalatbären beginnt, und speziell in dieser Zeit ist der Appetit natürlich riesig, dann heißt es für alle Metzger im Umkreis von zwanzig Kilometern, auf der Hut zu sein. Ja, tatsächlich: Meister Petz einmal anders. Den Wurstsalatbären gibt es ausschließlich in Dauchingen, ein höchst entfernter Verwandter des Xälzbären, der aber fürderhin im Schwäbischen beheimatet ist. Wie bei allen Bären ist ihr Körper massig und der Kopf so riesig wie sein Appetit. Die Gliedmaßen sind kurz.

      Es ist wohl kein Geheimnis, dass sich der Name des Wurstsalatbären von seinen Ernährungsgewohnheiten ableitet. Auch wenn die Lyoner dabei eine zentrale Rolle spielt, hat sich die Gemeinde nicht Lyon zum Partner erkoren (obwohl die Stadt nur lächerliche 512.000 Einwohner mehr aufweist als Dauchingen), sondern irgendein Hüttendorf im Elsass, in dessen Nähe man allerdings einen unterirdischen Dressingsee entdeckt hat. Seit 2012 gibt es eine Pipeline zwischen den beiden Orten. Man kann dem Bären schon mit Gurken und Zwiebeln eine Freude machen, und einem Ring Lyoner natürlich, und schon macht er es sich beim Dauchinger Ende der Pipeline oder im Florianssaal gemütlich.

      Die Männchen sind erheblich schwerer als die Weibchen. Anders als alle anderen Vertreter der Gattung Ursidae sind die Wurstsalatbären keine Einzelgänger, im Gegenteil. Nur einmal im Jahr tauchen sie auf, wenn sie in die „attraktiven Südhanglagen“ ausschwärmen auf der Suche nach Bärlauch. Außerdem natürlich zur Fasnet. Für den Rest des Jahres tauchen sie ab, der Winterschlaf dauert etwa 330 Tage im Jahr, was in der Tierwelt seinesgleichen sucht. Außerhalb der Fasnets- und Bärlauchsaison ist es selbst für versierte „Bearspotter“ unmöglich, ein Exemplar des Wurstsalatbären vor die Linse zu bekommen.

      Deißlingen

      In Deißlingen geht es rund, zumindest einmal im Jahr. Am vorletzten Septemberwochenende dreht sich alles im Kreis, bzw. alle drehen ihre Runden um einen Hammel, der in den letzten Jahren aus dem Streichelzoo in Niedereschach stammt, sozusagen „Rent-a-mutton“. Einmal im Jahr veranstaltet der Trachtenverein „Reckhölderle“ den Hammellauf, 2020 zum dreiundfünfzigsten Mal. Die sehr jungen Teilnehmer, rund fünfzig an der Zahl, sind durch die Bank kostümiert, wenn man eine Tracht denn als Kostüm definieren kann. Erwartungsvoll stehen sie da, die Hammelbeine langgezogen, manche mit Riesenbammel, in Tracht, trachtend nach dem Sieg, aber nicht in Niedertracht, und motivierter als mancher Bundestagsabgeordnete beim Hammelsprung.

      Stoisch wie Formel-Eins-Piloten drehen sie Runde um Runde, so lange, bis der Wecker, der unter einem Tuch verborgen ist, zu klingeln anhebt. Das kann Tage dauern, und, das unterscheidet den Hammellauf vom Motorsport, ohne Boxenstopp. Wie der Tanz ums Goldene Kalb, nur halt ohne Kalb. Wer im Moment des Klingelns die Fahne in der Hand hält, die ihm kurz zuvor von einem Mann überreicht wurde, der auf den fahnenaffinen Namen Stange hört, darf den Hammel zwar nicht behalten, denn der gehört in die Kuschelgemeinde Niedereschach, aber immerhin den Gegenwert dafür mit nach Hause nehmen. Früher hat man das Tier an Ort und Stelle verspeist. Hammel und Schafe sind dabei klimafreundlicher als die Methangasschleuder Kuh. Bei der Herstellung von 1 kg Lammfleisch fallen bis zu 39 kg an CO2-Emissionen an. Obendrein ist der Verbrauch geringer als beim Benzinrasenmäher.

      Ein bisschen wie die Reise nach Jerusalem darf man sich den Hammellauf vorstellen, nur mit glücklicherem Ausgang. Nicht zutreffend ist, dass die Verlierer ebenfalls eine Tracht erhalten, nämlich Prügel. Gut, der Herbsttermin ist gewöhnungsbedürftig, hier kann man schon einmal Pech haben mit dem Wetter, da wäre ein Feiertag wie Christi Hammelfahrt womöglich geeigneter, aber man kann nicht alles haben. In der Fasnet sind Hammel eher weniger präsent, nirgends im World Wide Web findet sich eine Hammelzunft, das nächste wäre die Hummelzunft im schweizerischen Arth.

      So verfügt Deißlingen über ein Herausstellungsmerkmal, das nicht so frivol daherkommt wie mancher Schäferlauf in der näheren und weiteren Umgebung und vor allem Kinderherzen höher schlagen lässt. Neid- und Streithammel mögen also fortan die Klappe halten und sich

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