Vermintes Gelände. Eine Streitschrift gegen den Mainstream der deutschen Integrationsdebatte. Stefan Böckler
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Dass die daraus hervorgegangene ‚Streitschrift‘ die Form eines Essays angenommen hat, hängt mit den spezifischen Möglichkeiten zusammen, die dieses literarische Genre bietet. In gedrängter Form erlaubt es eine Entfaltung und Zuspitzung von Thesen, ohne in jedem Fall einen umfassenden und systematischen empirischen Beleg (in diesem Fall an der Literatur- und Diskussionslage) erbringen zu müssen1. Tatsächlich hätte eine im strengen Sinne wissenschaftlich-akademische Beschäftigung mit der Vielfalt der angesprochenen Aspekte des Integrationsdiskurses den Rahmen einer einzelnen Publikation mit Sicherheit gesprengt. Wenn sie doch leistbar gewesen wäre, hätte sie darüber hinaus allenfalls das engere Fachpublikum erreicht; dies wäre dem Charakter einer Streitschrift, die auf ein möglichst breites Publikum zielt, nicht gerecht geworden. (Allerdings geht der Autor davon aus, dass die von ihm gelieferte Beschreibung des Diskussionsstandes in einem umfassenderen Kontext auch einer systematischen Überprüfung standhalten würde.)
Nicht zuletzt erlaubt es der Verzicht auf eine streng wissenschaftliche Vorgehensweise auch, persönliche Forschungserfahrungen mit dem Thema einzubringen, Erfahrungen, die grundlegend für die Anliegen des Essays waren und diese häufig besser veranschaulichen können als auf Allgemeingültigkeit zielende Argumentationen.
Tatsächlich bilden solche persönlichen Erfahrungen in der Forschung zu interkulturellen und Integrationsfragen den Ausgangspunkt und das Rückgrat des Textes. Dies hat unvermeidlich zur Folge, dass dieser Text immer wieder von konkreten Personen und Institutionen und nicht nur von theoretischen Positionen und Forschungsergebnissen handeln wird. Dort wo die dargestellten Positionen und Diskussionen öffentlich dokumentiert sind, werden die jeweiligen Autoren2 und ihre Texte benannt. In Bezug auf informelle Stellungnahmen und Debatten wird hingegen das mögliche Höchstmaß an Anonymisierung gewahrt: In diesem Fall werden die Namen der Beteiligten nicht genannt und nur die für den Nachvollzug der Sachlage notwendigen Informationen geliefert. Das schließt nicht aus, dass für ‚Insider‘ der Debatte aufgrund dieser Informationen auch in solchen Fällen erschließbar ist, um welche Personen bzw. Institutionen und um welche Forschungszusammenhänge es jeweils geht. Für diesen Fall kann nur unterstrichen werden, dass es dem Text nicht in erster Linie um die Zuschreibung persönlicher oder institutioneller Verantwortlichkeiten geht, sondern die beschriebenen Fehlleistungen strukturelle Defizite des Integrationsdiskurses betreffen. Eine der Thesen des Textes besteht ja gerade darin, dass diese Defizite den Integrationsdiskurs personen- und institutionenübergreifend charakterisieren.
An und gegen wen richtet sich der Text?
Neben Motivation und Genre des Textes ist seine Zielgruppe zu klären: Welches sind die Akteure des genannten ‚Mainstreamintegrationsdiskurses‘, über die berichtet und mit denen gestritten werden soll, die also sowohl Objekte als auch Adressaten der nachfolgenden kritischen Überlegungen sind?
Aufgrund der unterschiedlichen Berufsfelder, in denen sich der Autor bewegt hat, reicht das Spektrum hierbei von Akteuren aus dem wissenschaftlich-akademischen Bereich über eher anwendungsorientierte Wissenschaftler bis hin zu publizistischen und politischen Diskutanten dieses Themas. Dabei wird davon ausgegangen, dass die beschriebenen und kritisierten argumentativen Muster und Umgangsformen mit wissenschaftlichen Forschungsergebnissen in all diesen Feldern der Beschäftigung mit der Thematik gleichermaßen auftreten3.
Dass solche Vorgehensweisen den Integrationsdiskurs zunehmend und hegemonial bestimmen, kann ein Essay wie dieser nicht zweifelsfrei belegen; dazu bedürfte es einer umfassenderen und bibliografisch vollständiger abgesicherten Studie. Der Text geht allerdings davon aus (und beansprucht, dies auch zu belegen), dass die kritisierten Vorgehensweisen in relevanten theoretischen Arbeiten zu Integrationsfragen und einflussreichen empirischen Studien zu diesem Thema immer wieder zu identifizieren sind. Gerade die Sichtung der neueren Literatur zum Thema hat darüber hinaus gezeigt, dass die kritisierten Argumentationsmuster in der Debatte über Integrationsfragen zunehmend an Gewicht gewinnen4. (Insbesondere für die jüngere Forschergeneration scheinen sie tatsächlich immer mehr den Charakter eines konsolidierten und insofern nicht mehr in Frage zu stellenden Basiswissens der Integrationsforschung anzunehmen.)
Persönlich hat der Autor schließlich die Erfahrung gemacht, dass in jeder Debatte zu Integrationsfragen, an denen er (in ganz unterschiedlichen institutionellen Kontexten) im Verlauf seiner Beschäftigung mit diesem Thema teilgenommen hat, früher oder später eine der kritisierten Vorgehensweisen (meist sogar in Kombination mit anderen) vehement und mit weitgehender Zustimmung des Publikums ins Gespräch gebracht worden ist.
Auf diesem Hintergrund spricht einiges für die Annahme, dass die kritisierten Argumentationsmuster sich im Mainstream der Integrationsdebatte etabliert haben (und dass sich dieser Prozess fortsetzen wird)5.
Was sind die zentralen Anliegen des Textes?
Im zweiten Motto des Essays ist das wesentliche Anliegen des Textes schon aus höchstberufenem Munde benannt: Gerade wegen der enormen emotionalen Besetzung und politischen Instrumentalisierung des Integrationsthemas bedarf es hierbei einer „rationalen, auf Fakten gestützten Debatte“6. Grundannahme des Essays ist, dass die zu diesem Thema in Deutschland geführte Debatte in dieser Hinsicht vieles zu wünschen übrig lässt. Dies gilt nicht nur für diejenigen, die „Ängste und Abwehrhaltungen“ gegenüber der zunehmenden ethnisch-kulturellen Pluralisierung der deutschen Gesellschaft zeigen, sondern immer wieder auch für diejenigen, die diese zunehmende Vielfalt akzeptieren oder sogar begrüßen. Und leider betrifft auch das erste Motto damit manche derer, die das wissenschaftliche Rüstzeug für eine solche akzeptierende Haltung bereitzustellen versuchen; eine zentrale These des Textes wird gerade darin bestehen, dass die vom Marxschen Diktum beschriebene Form der „Gemeinheit“ auch in diesem Personenkreis verbreitet ist.
Aufgrund der persönlichen Forschungserfahrungen des Autors richtet sich der Text ausschließlich auf und an letzteren Personenkreis und nicht auf und an diejenigen, die der wachsenden Multikulturalität der deutschen Gesellschaft abwehrend gegenüberstehen7. Wie hoffentlich an jeder Station des Textes klar werden wird, ist mit der an ersterer Gruppe geübten Kritik an keinem Punkt eine Zustimmung zu den Positionen des zweiten Personenkreises verbunden. Eine selektive und verfälschende Inanspruchnahme der präsentierten Argumente durch fremdenfeindliche und rechtspopulistische Positionen ist allerdings kaum auszuschließen, kann nach Meinung des Autors aber keinen Grund dafür darstellen, sie aus der Debatte auszuklammern.
Das wesentliche Anliegen des Textes besteht darin, durch die Offenlegung und Kritik theoretisch und empirisch nicht haltbarer und dogmatisch verfestigter Annahmen in Bezug auf das Zusammenleben von Gruppen mit unterschiedlicher ethnisch-kultureller Herkunft zu der erforderlichen rationalen und empirisch fundierten Debatte beizutragen. Der Text besitzt also in erster Linie kein ‚politisches‘ Anliegen, sondern wird sich ausschließlich am Leitwert der ‚Wahrheit‘ (verstanden als logische Stimmigkeit und empirische Triftigkeit) orientieren. Im Hintergrund steht allerdings die Annahme, dass ein weniger ‚ideologisch‘ geprägter Umgang mit dem Integrationsthema es auch ermöglichen könnte, falsche politische Frontstellungen aufzuweichen, und insofern auch im politischen Bereich zu einem rationaleren Umgang mit dem Thema beitragen könnte. Diese Annahme betrifft auch die politische Wirksamkeit rationaler Argumente und empirischer Befunde zu Schwierigkeiten im Integrationsprozess in Bezug auf die o.g. fremdenfeindlichen und rechtspopulistischen Positionen: Es wird davon ausgegangen, dass eine argumentativ unstimmige, vereinseitigende und beschönigende Präsentation solcher Befunde auf lange Sicht keineswegs zu einer Schwächung solcher Positionen