Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen. Selma Lagerlöf

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Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen - Selma Lagerlöf

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kleinen Knirps in einer Zipfelmütze und Lederhosen.

      „Der ist genau so angezogen wie ich,“ sagte der Junge und schlug vor Verwunderung die Hände zusammen. Aber da sah er, daß der Kleine im Spiegel dasselbe tat.

      Da begann er sich an den Haaren zu ziehen, sich in den Arm zu kneifen und sich im Kreise zu drehen, und augenblicklich tat der Kleine im Spiegel dasselbe.

      Jetzt lief der Junge ein paarmal um den Spiegel herum, um zu sehen, ob vielleicht so ein kleiner Kerl hinter dem Spiegel verborgen sei, aber er fand niemand dahinter, und da begann er vor Schrecken am ganzen Leibe zu zittern. Denn jetzt begriff er, daß das Wichtelmännchen ihn selbst verzaubert hatte, und daß er selbst der kleine Knirps war, dessen Bild er im Spiegel sah.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Junge wollte durchaus nicht glauben, daß er in ein Wichtelmännchen verwandelt worden war. „Es ist gewiß nur ein Traum und eine Einbildung,“ dachte er. „Wenn ich ein paar Augenblicke warte, werde ich schon wieder ein Mensch sein.“ Er stellte sich vor den Spiegel und schloß die Augen. Erst nach ein paar Minuten öffnete er sie wieder und erwartete nun, daß der Spuk vorbei sei. Aber dies war nicht der Fall, er war noch ebenso klein wie vorher. Sein weißes Flachshaar, die Sommersprossen auf seiner Nase, die Flicken auf seinen Lederhosen und das Loch im Strumpfe, alles war wie vorher, nur sehr, sehr verkleinert.

      Nein, es half nichts, wenn er auch noch so lange dastand und wartete. Er mußte etwas andres versuchen. O, das beste, was er tun könnte, wäre gewiß, das Wichtelmännchen aufzusuchen und sich mit ihm zu versöhnen!

      Er sprang auf den Boden hinunter und begann zu suchen. Er lugte hinter die Stühle und Schränke, unter das Kanapee und hinter den Herd. Er kroch sogar in ein paar Mauselöcher, aber das Wichtelmännchen war nicht zu finden.

      Während er suchte, weinte er und bat und versprach alles nur erdenkliche. Nie, nie wieder wolle er jemand sein Wort brechen, nie, nie mehr unartig sein und nie wieder über einer Predigt einschlafen!

      Wenn er nur seine menschliche Gestalt wieder bekäme, würde ganz gewiß ein ausgezeichneter, guter, folgsamer Junge aus ihm. Aber was er auch immer versprach, es half alles nichts.

      Plötzlich fiel ihm ein, daß er Mutter einmal hatte sagen hören, das Wichtelvolk halte sich gern im Kuhstall auf, und schnell beschloß er, auch dort nachzusehen, ob das Wichtelmännchen da zu finden sei. Zum Glück stand die Tür offen; denn er hätte das Schloß nicht selbst öffnen können, so aber konnte er ungehindert hinausschlüpfen.

      Als er in den Flur kam, sah er sich nach seinen Holzschuhen um, denn im Zimmer ging er natürlich auf Strümpfen. Er überlegte, wie er sich wohl mit den großen, schwerfälligen Holzschuhen abfinden solle, aber in diesem Augenblick entdeckte er auf der Schwelle ein Paar winzige Schuhe. Als er sah, daß das Wichtelmännchen so vorsorglich gewesen war, auch seine Holzschuhe zu verwandeln, wurde er ängstlicher. „Dieser Jammer soll offenbar lange dauern,“ dachte er.

      Auf dem alten eichenen Brett, das vor der Haustür lag, hüpfte ein Sperling hin und her. Kaum erblickte dieser den Jungen, da rief er auch schon: „Seht doch, Nils, der Gänsehirt! Seht den kleinen Däumling! Seht doch Nils Holgersson Däumling!“

      Sogleich wendeten sich die Gänse und die Hühner nach dem Jungen um, und es entstand ein entsetzliches Geschrei: „Kikerikiki!“ krähte der Hahn. „Das geschieht ihm recht! Kikerikiki! Er hat mich am Kamme gezogen!“

      „Ga, ga, ga, gag, das geschieht ihm recht!“ riefen die Hühner, und sie fuhren ohne Aufhören damit fort.

      Die Gänse sammelten sich in einen Haufen, steckten die Köpfe zusammen und fragten: „Wer hat das getan? Wer hat das getan?“

      Aber das merkwürdige daran war, daß der Junge verstand, was sie sagten. Er war so verwundert darüber, daß er auf der Türschwelle stehen blieb und zuhörte. „Das kommt gewiß daher, daß ich in ein Wichtelmännchen verwandelt bin,“ sagte er, „deshalb verstehe ich die Tiersprache.“

      Es war ihm unausstehlich, daß die Hühner mit ihrem ewigen „das geschieht ihm recht“ gar nicht aufhören wollten. Er warf einen Stein nach ihnen und rief: „Haltet den Schnabel, Lumpenpack!“

      Aber er hatte eines vergessen. Er war jetzt nicht mehr so groß, daß die Hühner sich vor ihm hätten fürchten müssen. Die ganze Hühnerschar stürzte auf ihn zu, pflanzte sich um ihn herum auf und schrie: „Ga, ga, ga, gag! Es geschieht dir recht! Ga, ga, ga, gag! Es geschieht dir recht!“

      Der Junge versuchte ihnen zu entwischen; aber die Hühner sprangen hinter ihm her und schrien so laut, daß ihm beinahe Hören und Sehen verging. Er wäre ihnen auch wohl kaum entgangen, wenn nicht die Hauskatze daher gekommen wäre. Sobald die Hühner die Katze sahen, verstummten sie und schienen an nichts andres mehr zu denken, als fleißig in der Erde nach Würmern zu scharren.

      Der Junge lief schnell auf die Katze zu. „Liebe Mietze,“ sagte er, „du kennst doch alle Winkel und Schlupflöcher hier auf dem Hofe? Sei lieb und teile mir mit, wo ich das Wichtelmännchen finden kann.“

      Die Katze gab ihm nicht sogleich Antwort. Sie setzte sich nieder, legte den Schwanz zierlich in einem Ring um die Vorderpfoten und sah den Jungen an. Es war eine große, schwarze Katze mit einem weißen Fleck auf der Brust. Ihr Fell war glatt und glänzte im Sonnenschein. Sie hatte die Krallen eingezogen, ihre Augen waren gleichmäßig grau mit nur einem kleinen, schmalen Schlitz in der Mitte. Die Katze sah durch und durch gutmütig aus.

      „Ich weiß allerdings, wo das Wichtelmännchen wohnt,“ sagte sie mit freundlicher Stimme. „Aber damit ist nicht gesagt, daß ich es dir sagen werde.“

      „Liebe, liebe Mietze, du mußt mir helfen,“ sagte der Junge. „Siehst du nicht, wie es mich verzaubert hat?“

      Die Katze öffnete ihre Augen ein klein wenig, so daß die grüne Bosheit herausschien. Sie spann und schnurrte vor Vergnügen, ehe sie antwortete. „Soll ich dir vielleicht jetzt helfen, weil du mich so oft am Schwanz gezogen hast?“ sagte sie schließlich.

      Da wurde der Junge böse; er vergaß ganz, wie klein und ohnmächtig er jetzt war. „Ich kann dich ja noch einmal am Schwanz ziehen, jawohl,“ sagte er und sprang auf die Katze los.

      In demselben Augenblick aber war diese so verändert, daß der Junge sie kaum noch für dasselbe Tier halten konnte. Sie hatte den Rücken gekrümmt – die Beine waren länger geworden, sie kratzte sich mit den Krallen im Nacken, der Schwanz war kurz und dick, die Ohren legten sich zurück, das Maul fauchte, und die Augen standen weit offen und funkelten in roter Glut.

      Der Junge wollte sich von einer Katze nicht erschrecken lassen und trat noch einen Schritt näher. Aber da machte die Katze einen Satz, ging gerade auf den Jungen los, warf ihn um und stellte ihm mit weitaufgesperrtem Maul die Vorderbeine auf die Brust.

      Der Junge fühlte, wie ihm ihre Klauen durch die Weste und das Hemd in die Haut eindrangen und wie die scharfen Eckzähne ihm den Hals kitzelten. Da begann er aus Leibeskräften um Hilfe zu schreien.

      Aber es kam niemand, und er glaubte schon sicher, seine letzte Stunde hätte geschlagen. Da fühlte er, daß die

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