Buddenbrooks. Thomas Mann
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Im Verhältnis zu der Größe des Zimmers waren die Möbel nicht zahlreich. Der runde Tisch mit den dünnen, geraden und leicht mit Gold ornamentierten Beinen stand nicht vor dem Sofa, sondern an der entgegengesetzten Wand, dem kleinen Harmonium gegenüber, auf dessen Deckel ein Flötenbehälter lag. Außer den regelmäßig an den Wänden verteilten, steifen Armstühlen gab es nur noch einen kleinen Nähtisch am Fenster, und, dem Sofa gegenüber, einen zerbrechlichen Luxus-Sekretär, bedeckt mit Nippes.
Durch eine Glastür, den Fenstern gegenüber, blickte man in das Halbdunkel einer Säulenhalle hinaus, während sich linker Hand vom Eintretenden die hohe, weiße Flügeltür zum Speisesaale befand. An der anderen Wand aber knisterte, in einer halbkreisförmigen Nische und hinter einer kunstvoll durchbrochenen Tür aus blankem Schmiedeeisen, der Ofen.
Denn es war frühzeitig kalt geworden. Draußen, jenseits der Straße, war schon jetzt, um die Mitte des Oktober, das Laub der kleinen Linden vergilbt, die den Marienkirchhof umstanden, um die mächtigen gotischen Ecken und Winkel der Kirche pfiff der Wind, und ein feiner, kalter Regen ging hernieder. Madame Buddenbrook, der Älteren, zuliebe hatte man die doppelten Fenster schon eingesetzt.
Es war Donnerstag, der Tag, an dem ordnungsmäßig jede zweite Woche die Familie zusammenkam; heute aber hatte man, außer den in der Stadt ansässigen Familiengliedern, auch ein paar gute Hausfreunde auf ein ganz einfaches Mittagbrot gebeten, und man saß nun, gegen vier Uhr nachmittags, in der sinkenden Dämmerung und erwartete die Gäste …
Die kleine Antonie hatte sich in ihrer Schlittenfahrt durch den Großvater nicht stören lassen, sondern hatte nur schmollend die immer ein bißchen hervorstehende Oberlippe noch weiter über die untere geschoben. Jetzt war sie am Fuße des »Jerusalemsberges« angelangt; aber unfähig, der glatten Fahrt plötzlich Einhalt zu tun, schoß sie noch ein Stück über das Ziel hinaus …
»Amen«, sagte sie, »ich weiß was, Großvater!«
»Tiens! Sie weiß was!« rief der alte Herr und tat, als ob ihn die Neugier im ganzen Körper plage. »Hast du gehört, Mama? Sie weiß was! Kann mir denn niemand sagen …«
»Wenn es ein warmer Schlag ist«, sprach Tony und nickte bei jedem Wort mit dem Kopfe, »so schlägt der Blitz ein. Wenn es aber ein kalter Schlag ist, so schlägt der Donner ein!«
Hierauf kreuzte sie die Arme und blickte in die lachenden Gesichter wie jemand, der seines Erfolges sicher ist. Herr Buddenbrook aber war böse auf diese Weisheit, er verlangte durchaus zu wissen, wer dem Kinde diese Stupidität beigebracht habe, und als sich ergab, Ida Jungmann, die kürzlich für die Kleinen engagierte Mamsell aus Marienwerder, sei es gewesen, mußte der Konsul diese Ida in Schutz nehmen.
»Sie sind zu streng, Papa. Warum sollte man in diesem Alter über dergleichen Dinge nicht seine eigenen wunderlichen Vorstellungen haben dürfen …«
»Excusez, mon cher!… Mais c'est une folie! Du weißt, daß solche Verdunkelung der Kinderköpfe mir verdrüßlich ist! Wat, de Dunner sleit in? Da sall doch gliek de Dunner inslahn! Geht mir mit eurer Preußin …«
Die Sache war die, daß der alte Herr auf Ida Jungmann nicht zum besten zu sprechen war. Er war kein beschränkter Kopf. Er hatte ein Stück von der Welt gesehen, war anno 13 vierspännig nach Süddeutschland gefahren, um als Heereslieferant für Preußen Getreide aufzukaufen, war in Amsterdam und Paris gewesen und hielt, ein aufgeklärter Mann, bei Gott nicht alles für verurteilenswürdig, was außerhalb der Tore seiner giebeligen Vaterstadt lag. Abgesehen vom geschäftlichen Verkehr aber, in gesellschaftlicher Beziehung, war er mehr als sein Sohn, der Konsul, geneigt, strenge Grenzen zu ziehen und Fremden ablehnend zu begegnen. Als daher eines Tages seine Kinder von einer Reise nach Westpreußen dies junge Mädchen – sie war erst jetzt zwanzig Jahre alt – als eine Art Jesuskind mit sich ins Haus gebracht hatten, eine Waise, die Tochter eines unmittelbar vor Ankunft der Buddenbrooks in Marienwerder verstorbenen Gasthofsbesitzers, da hatte der Konsul für diesen frommen Streich einen Auftritt mit seinem Vater zu bestehen gehabt, bei dem der alte Herr fast nur Französisch und Plattdeutsch sprach … Übrigens hatte Ida Jungmann sich als tüchtig im Hausstande und im Verkehr mit den Kindern erwiesen und eignete sich mit ihrer Loyalität und ihren preußischen Rangbegriffen im Grunde aufs beste für ihre Stellung in diesem Hause. Sie war eine Person von aristokratischen Grundsätzen, die haarscharf zwischen ersten und zweiten Kreisen, zwischen Mittelstand und geringerem Mittelstand unterschied, sie war stolz darauf, als ergebene Dienerin den ersten Kreisen anzugehören und sah es ungern, wenn Tony sich etwa mit einer Schulkameradin befreundete, die nach Mamsell Jungmanns Schätzung nur dem guten Mittelstande zuzurechnen war …
In diesem Augenblick ward die Preußin selbst in der Säulenhalle sichtbar und trat durch die Glastür ein: ein ziemlich großes, knochig gebautes Mädchen in schwarzem Kleide, mit glattem Haar und einem ehrlichen Gesicht. Sie führte die kleine Klothilde an der Hand, ein außerordentlich mageres Kind in geblümtem Kattunkleidchen, mit glanzlosem, aschigem Haar und stiller Altjungfernmiene. Sie stammte aus einer völlig besitzlosen Nebenlinie, war die Tochter eines bei Rostock als Gutsinspektor ansässigen Neffen des alten Herrn Buddenbrook und ward, weil sie gleichaltrig mit Antonie und ein williges Geschöpf war, hier im Hause erzogen.
»Es ist alles bereit«, sagte Mamsell Jungmann und schnurrte das r in der Kehle, denn sie hatte es ursprünglich überhaupt nicht aussprechen können. »Klothildchen hat tücht'g geholfen in der Küche, Trina hat fast nichts zu tun brauchen …«
M. Buddenbrook schmunzelte spöttisch in sein Jabot über Idas fremdartige Aussprache; der Konsul aber streichelte seiner kleinen Nichte die Wange und sagte:
»So ist es recht, Thilda. Bete und arbeite, heißt es. Unsere Tony sollte sich ein Beispiel daran nehmen. Sie neigt nur allzuoft zu Müßiggang und Übermut …«
Tony ließ den Kopf hängen und blickte von unten herauf den Großvater an, denn sie wußte wohl, daß er sie, wie gewöhnlich, verteidigen werde.
»Nein, nein«, sagte er, »Kopf hoch, Tony, courage! Eines schickt sich nicht für alle. Jeder nach seiner Art. Thilda ist brav, aber wir sind auch nicht zu verachten. Spreche ich raisonnable, Bethsy?«
Er wandte sich an seine Schwiegertochter, die seinem Geschmacke beizupflichten pflegte, während Mme. Antoinette, mehr aus Klugheit wohl denn aus Überzeugung, meistens die Partei des Konsuls nahm. So reichten sich die beiden Generationen, im chassez croisez gleichsam, die Hände.
»Sie sind sehr gut, Papa«, sagte die Konsulin. »Tony wird sich bemühen, eine kluge und tüchtige Frau zu werden … Sind die Knaben aus der Schule gekommen?« fragte sie Ida.
Aber Tony, die vom Knie des Großvaters aus in den »Spion« durchs Fenster sah, rief fast gleichzeitig:
»Tom und Christian kommen die Johannisstraße herauf … und Herr Hoffstede … und Onkel Doktor …«
Das Glockenspiel von St. Marien setzte mit einem Chorale ein: pang! ping, ping – pung! ziemlich taktlos, so daß man nicht recht zu erkennen vermochte, was es eigentlich sein sollte, aber doch voll Feierlichkeit, und während dann die kleine und die große Glocke fröhlich und würdevoll erzählten, daß es vier Uhr sei, schallte auch drunten die Glocke der Windfangtür gellend über die große Diele, worauf es in der Tat Tom und Christian waren, die ankamen, zusammen mit den ersten Gästen, mit Jean Jacques Hoffstede, dem Dichter, und Doktor Grabow, dem Hausarzt.
Zweites Kapitel