Eros und die Evangelien, aus den Notizen eines Vagabunden. Waldemar Bonsels
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Die Gesichter der Menschen, der Lärm der Straße und die Mauerwände der Häuser begannen auf mich zu drücken. Wenn ich doch Horizonte, Wiesen und Pflanzen sähe, dachte ich, ich würde meinen Glauben besser zu wahren wissen und meine Fröhlichkeit würde standhalten. Was ruft ihr mich an, bemächtigt euch meiner und zerrt mir die Seele aus dem Leib, ihr Namen und Bilder, Inschriften und Auslagen, Glocken und Stimmen? Eure traurige Hast und leere Mühe, eure Sucht ohne Sehnsucht und euer Weh ohne Heimweh verführen und verraten mich und machen mir alles verächtlich, um dessen willen ich allein leben möchte. Ihr betrügt die Seele um die Heimat.
Über solchen Gedanken kam mir in den Sinn, daß ich Asja Bücher versprochen hatte, und wenn ihre Worte, die mich gleichmütig und zurückhaltend nach diesem Vorsatz gefragt hatten, auch kein sonderlich starkes Vertrauen zum Wert dessen verraten haben mochten, was ich etwa bringen würde, so beschloß ich doch mein Vorhaben auszuführen und das Mädchen womöglich auf das angenehmste zu enttäuschen.
Während ich über die Straße dahinschritt durch den Regen, überfiel mich plötzlich der Gedanke an meine Beschäftigung, an meine Tagespflicht, an die Druckerei und meinen Brotherrn. Seit drei Stunden wartete man auf mich, ich war unentschuldigt ausgeblieben, in Gefahr ernstlich verstimmt zu haben und entlassen zu werden. Aber als ich auf eine Erklärung sann und erwog, ob ich die Angelegenheiten Asjas nicht besser in meinen freien Mittagsstunden erledigen sollte, überkam mich ein jäher Entschluß, der mir das Bewußtsein einer beseligenden Freiheit einbrachte. Ich nahm mir vor, überhaupt nicht mehr in die Druckerei zu gehen, und meine alte Verpflichtung gegen eine wertvollere einzutauschen, gegen die, Asja zu Diensten zu sein so lange sie noch lebte. Was galten mir äußerliche Verluste gegen das Glück der inneren Entbundenheit, in der ich nach diesem Vorsatz, wie neugestärkt, dahinschritt. Eine noch ungewisse Ahnung, daß ich Vergängliches gegen Unvergängliches eintauschte, erfüllte mich durch und durch mit Fröhlichkeit. Auch wußte ich, daß es mir für den Fall der Not nicht schwer fallen würde, wieder irgendeine Beschäftigung zu finden, die mich vor Hunger schützte, wie sie einem Menschen stündlich zu Gebote steht, der bereit ist jede Arbeit zu übernehmen.
Es mochte zwischen zehn und elf Uhr sein. Ich genoß für eine kurze Weile diese ungewöhnliche Stunde, die ich in den letzten Wochen nur mit Bedrücktheit und Verlangen von dem nüchternen Zifferblatt der Geschäftsuhr abgelesen hatte. Es galt aber sie zu nützen, und ich überdachte, auf welche Art ich mich am besten in den Besitz von Büchern zu setzen vermöchte. Meine Barmittel waren gering und ich sah ein, daß ich nicht nur der Gelegenheit, Bücher zu erwerben, sondern zugleich auch eines wohlmeinenden Rates und teilnehmender Fürsorge bedurfte. Da erinnerte ich mich dessen, daß ich zuweilen Korrekturbogen aus der Buchdruckerei zu einem wohlgebildeten und sehr vermögenden Herrn gebracht hatte, der Doktor der Philosophie, Kunsthistoriker und Schriftsteller war. Ich war genötigt gewesen, im Vorzimmer dieses Herrn auf dessen Einblick in die Satzproben zu warten und hatte, als der Diener in das Arbeitszimmer trat, einmal durch die Tür eine gewaltige Bücherwand erblickt, die bis an die Decke hinauf in den gedämpften Gold- und Farbtönen alter und neuer Bücher glitzerte. Ohne Besinnen entschloß ich mich einen Versuch zu machen, hier zu Büchern zu gelangen, und indem das Ungewöhnliche meines Vorhabens mir die Brust ein wenig beengte, erwachte zugleich jene unbändige Lust am Wagnis und am Besonderen, jener Hang, alle Fesseln einer hergebrachten Lebensform gegen die einfache Bewegung eines mutigen Menschentums einzutauschen, der mir meine ganze Jugend hindurch viel Leid und Seligkeit eingebracht hat, Erniedrigungen und Triumphe, Haß und Liebe.
Während ich den Weg in die Gartenvorstadt nahm, in der das Landhaus des wohlbekannten, ja auf seinem Gebiet berühmten Mannes lag, verbannte ich alle Vorsätze zu einer bestimmten Art des Auftretens aus meinen Erwägungen und beschloß, mich ganz der Gunst oder Ungunst des Augenblicks zu überlassen und nur dem zu gehorchen, was die Lage mir eingab und zumutete. Werde ich abgewiesen, dachte ich, so befinde ich mich bald wieder an dieser Stelle der Straße, auf der ich mich jetzt bewege, und ich befinde mich hier sehr wohl. Aber dann wurden meine Gedanken in einen verschleierten Ernst hinübergezogen, denn Asjas Gestalt stand vor ihnen auf und ihr Lächeln begleitete mich. Da glaubte ich zu wissen, daß alles kommen würde, wie es kommen mußte, und fühlte mich im Recht.
Als ich an dem hohen, eisernen Gartentor anlangte, setzte ich die Glocke in Bewegung und wartete darauf, daß der Hausdiener den Kiesweg herabkommen würde, um die Gruppe der Lebensbäume herum, die den seitlichen Eingang zum Haus verdeckte. Es war aber diesmal ein Stubenmädchen. Sie machte nicht auf, sondern fragte mich durch das Gitter, was ich wollte.
»Hinein«, sagte ich einfach.
»Ach so,« meinte sie und musterte mich, »Sie kommen von der Druckerei.«
Sie wartete meine Antwort nicht ab, sondern zog die Gittertür auf, schloß sie sorgfältig hinter mir und schritt mir dann voran, bis in das Wartezimmer, das ich kannte. Vorsichtig begab sie sich dann an die Tür zum Arbeitszimmer, beugte sich vor, zögerte eine Weile und pochte dann leise und außerordentlich zurückhaltend dreimal. Es sah aus, als wäre die schwere Eichentür zerbrechlich. Mir schien, daß der Gemeinte, wie manche verwöhnten Leute, durch allzu große Rücksicht auf seine Wünsche ungeduldig wurde, denn es ertönte ein sehr unfreundliches »Was ist los?« und das Stubenmädchen wagte kaum die Tür zu öffnen. Sie tat es, nachdem sie mir einen inhaltslosen Blick zugeworfen hatte, einen Blick, wie ihn Leute haben, deren innere Augen anders gerichtet sind als die äußern.
»Ein junger Mann von der Druckerei ist da«, sagte sie auf der Schwelle.
»Also. Was bringt er? Geben Sie her!«
Das Mädchen winkte mit der Hand eifrig zu mir hinüber, damit ich ihr einhändigen sollte, was sie für ihren Herrn bei mir vermutete.
»Ich bringe nichts,« sagte ich, »ich möchte den Herrn Doktor sprechen.«
Jetzt trat sie ganz ein, lehnte aber die Tür nur hinter sich an, so daß ich die laute männliche Stimme deutlich vernahm.
»Etwas abholen? Ich habe nichts, es ist alles geschickt worden.«
Als die Tür sich wieder öffnete, rief der Herr Doktor mich selbst an:
»Was ist denn? So kommen Sie herein.«
Ich trat ein und war erstaunt über die vornehme Pracht dieses großen Zimmers. Ein schwerer roter Teppich fing mich auf, von den Erkerfenstern brach gedämpftes Licht auf den mächtigen Schreibtisch, der mitten im Raum stand, umlagert bis zur Decke hinauf von hohen Bücherschränken und -borden, die in die Wände eingelassen waren. Ein dunkler Eichentisch mit rundlehnigen Ledersesseln bot sich zur Rechten, aus dämmrigem Hintergrund, den Augen dar, und neben ihm stand ein breites Ruhebett, belastet mit gewirkten Decken und einer großen Menge vielfarbiger Kissen, deren Zahl ich in der Eile auf etwa hundert schätzte.
Der Herr Doktor saß an seinem Schreibtisch und hatte sich mir zugewandt, die eine Hand auf die Lehne des Sessels aufgestützt, so daß er über seinen emporgestemmten Ellenbogen hinweg nach mir hinübersah. Zwischen den Fingern hielt er eine Zigarre, so groß und dick wie ein Tannenzapfen, von der eine hellblaue Rauchlinie emporstieg, deren lichtes Leben wundervoll über die Dämmerung des Hintergrunds dahinzog.
Mir schien, als mißfiele dem Herrn die Aufmerksamkeit nicht, die ich seinem Zimmer entgegenbrachte, erst nach einer Weile sagte er mit einem etwas selbstgefälligen Lächeln:
»Also, was ist denn?«
Ich trug mein Anliegen in einfachen Worten vor, ohne daß ich ihnen durch ungebührliche Wendungen oder unbescheidene Selbstverständlichkeit den Anschein einer heimlichen Anmaßung verlieh, es war nicht meine Schuld, daß