Eros und die Evangelien, aus den Notizen eines Vagabunden. Waldemar Bonsels

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Eros und die Evangelien, aus den Notizen eines Vagabunden - Waldemar Bonsels

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mich nicht, und als sei ich für meine Kraft nicht stark genug gewesen. —

      Wohl drängte es mich, mit meinem Schatz zu Asja zu eilen, aber ich wartete und begab mich zuvor in meine Behausung. Ich beschloß, eine Reihe nützlicher und erfreuender Einkäufe zu machen, führte meinen Vorsatz jedoch nicht aus, da alles mir in heimlichem Widerspruch zu den Bedürfnissen dieses Mädchens zu stehen schien. Auch fehlte es mir an Erfahrungen, und ich schämte mich, an jene belanglosen oder nur äußerlich nützlichen Dinge zu denken, für deren Beschaffung den Frauen ein so sonderbares Talent eigentümlich ist, das in gleichem Maße von Liebesbereitschaft, wie von glückhafter Schamlosigkeit zeugt. Sie bringen es fertig, Pulswärmer, Zahnstocher, Pfeifenreiniger, oder unbedeutende Bruchteile von Nahrungsmitteln durch Ankauf in ihren Besitz und durch Schenkung in die Hände geschätzter Persönlichkeiten zu bringen. Auch auf kleinere Vasen, auf Löschblätter oder Bleistifte verfallen sie zuweilen, und die Anmut ihrer Darbietungen läßt uns in bestürzter Rührung erkennen, daß diese Dinge in kleinen, schwachen Händen zu Sinnbildern der großen, ewigen Liebe zu werden vermögen. Wir Verdorbenen und Ungläubigen dagegen vermögen uns nur auf Blumen oder Bücher zu beschränken, weil wir an die Allmacht der Liebe nicht glauben können, wenn unsere Gabe nicht schon ein Sinnbild der Geisteswelt ist.

      Als ich meine Dachkammer betrat, erschien sie mir so fremdartig, daß ich lächeln mußte, es war gewissermaßen notwendig, daß ich mich allen Einrichtungsgegenständen erneut vorstellen mußte, was nicht lange dauerte. Ich warf meinen Hut aufs Bett, das noch nicht geordnet war, und sah in das Buch hinein, das von der letzten Nacht her noch aufgeschlagen neben der Kerze lag. Dies alles steht jenseits, dachte ich, eine neue Welt beginnt, es hat sich eine Straße vor mir aufgetan, ich weiß den Weg. Eine unbestimmte Traurigkeit machte mich ruhlos, ein plötzlich erwachtes Bewußtsein für die Sinnlosigkeit alles dessen, was ich bisher zur Erhaltung meines Daseins begonnen hatte, überfiel mich und füllte mich mit Zweifeln am Wert alles Zukünftigen. Auch du wirst alle Fragen der Brust nicht beantworten, Asja, dachte ich, du selbst bist die Antwort, und wenn ich dich nicht habe, so werden meine Kämpfe nicht enden.

      Gegen Mittag kam ein Bote aus der Druckerei, um sich nach mir zu erkundigen. Ich schrieb auf einen Zettel, daß ich nicht mehr käme, siegelte den Brief mit dem Wachs der Kerze und war sicher, daß man mich in Ruhe lassen würde. Da draußen im Hof die Sonne schien, entschloß ich mich fortzugehen, aber mein Gewand machte mich nachdenklich und ich nahm den Spiegel von der Wand. Offenbar mußte der Kragen gewechselt werden, aber der andere war in der Wäsche. So nahm ich auch seinen ausdauernden Gefährten ab, suchte mein Halstuch, ergriff Stock und Hut und ging davon. Das Tuch machte mich fröhlich, ich weiß nicht weshalb. Ich, dein Bruder, dachte ich und sprach zu Asja, möchte in Armut und Schande, in Lumpen zu dir kommen. Ist es denn wahr, daß ich von ganzem Herzen glaube, daß deine Augen es nicht einmal sehen würden, es sei denn aus Erbarmen? Ist es wahr, daß die Tage der Menschenwertung nach Erfolg und Besitz eine solche Zuflucht haben, wie dein Sinn es ist?

      Ich vergaß über solchen Gedanken die Geldsumme, die ich bei mir trug, wie man auf einem Feldweg die Straßen der Stadt vergißt. Auch als ich zu Asja kam, dachte ich lange Zeit nicht daran, aber als ich mich an ihrem Bett niederließ, empfand ich eine große Müdigkeit, die mir fremd war, und ich atmete tief auf und mußte seufzen, ohne daß ich Kummer hatte.

      Sie nickte und sagte: »Du ruhst dich nun von allem aus, was dir bisher schwer gewesen ist, weil du allein warst, deshalb bist du jetzt müde.« Da verlor ich unter dem Frühling ihrer Augen meine Beherrschung, aber sie schien kaum darauf zu achten, sondern blieb von wunderbarer Festigkeit, weil sie die Kraft hatte, die Gabe ihres Wesens nicht zu verkleinern.

      Ich sagte nach einer Weile, indem ich das Geld hervorzog und vor ihr auf die Decke des Betts legte:

      »Nun werden gute Tage für dich kommen, du wirst dieses dunkle Zimmer gegen ein helles mit Sonne vertauschen, die Stadt gegen das Land. Du wirst gesund werden.«

      In ihr Gesicht kam ein Zug von Schrecken, ihr Lächeln verschwand, ihre Augen sahen mich forschend an und sie unterbrach mich ängstlich:

      »Woher hast du das Geld? Du hattest kein Geld.«

      Ich erzählte von Anfang bis zu Ende alles. Sie störte meinen Bericht durch kein Wort und keine Frage, und schwieg auch noch, als ich am Ende war und, unsicher mit den Geldscheinen spielend, mein Verlangen verriet, eine Zustimmung von ihr zu hören.

      »Nimm es und bring es zurück«, sagte sie.

      Sie beobachtete die Wirkung ihrer Worte auf mich kaum, sondern schien nun vielmehr durch etwas anderes beschäftigt und bewegt; sie fragte unvermutet:

      »Hast du von dem fremden Herrn diese Summe nur deshalb bekommen, weil du mit ihm gesprochen hast, hast du ihn überwunden, sie dir zu geben, nur durch den Willen, hat sich alles so zugetragen, wie du es mir gesagt hast?«

      »Denke doch jetzt nicht an das Geld, Asja, denke daran, was es für dich tun soll.«

      »Ach, es war so, wie du gesagt hast! — Ich denke nicht an das Geld, ich denke an dich.«

      Sie sah mich schweigend an, dann kam Sorge in ihren Zügen auf und sie bat noch einmal:

      »So nimm es und bring es wieder fort.«

      »Du weist das Geld zurück, Asja?«

      »Alles, was man für Geld haben kann, ist nichts wert. Ja, ich weise das Geld zurück.«

      »Du wirst sterben, Asja.«

      »Wie wir alle«, sagte sie einfach.

      »O Asja, du machst aus der Not, daß du nicht leben sollst, die Tugend, daß du sterben willst.«

      Das Mädchen sah mich an, aber ich spürte wohl, daß sie nicht über den Sinn meiner Worte nachdachte, sondern daß sie nur die Gesinnung prüfte, die hinter ihnen stand. Ich empfand plötzlich, daß es bei ihr immer so gewesen war, und als läge in solcher Prüfung und ihrem Ergebnis der Ursprung der Harmonie und Gemeinschaftlichkeit, die zwischen uns geherrscht hatten, und die nicht zu beugen waren. Ist es dies, dachte ich, und ward abgelenkt, liegt der Grund aller Mißverständnisse und der Verwirrung, die so viele befällt, die sich vor anderen erweisen oder bewähren möchten, darin, daß sie die Gesinnung nicht zu ermessen vermögen, und sich daher an das unredliche und mißbrauchte Gezücht der Worte halten, die der Augenblick eingibt? Asja war nicht in die Befangenheit eines meiner Worte geraten, sondern sie hatte darüber hinausgesehen, wie sie auch über die Erscheinungs- und Tatsachenwelt des Lebens fortzublicken schien — wohin nur? Ich wußte es noch nicht, aber ich fühlte, daß ich ihre Freiheit bedroht hatte.

      »Ich will dir antworten,« sagte sie endlich ohne Aufwand und, wie meistens, mit einem beinahe schmerzlichen Zögern, »ich mache aus keiner Not eine Tugend, aber es ist ganz gleichgültig, ob du es so nennst. Wie könnte ich dir aber so unrecht tun, daß ich dort deine Kräfte zu recht bestehen ließe, wo sie dich verderben werden? Du bist so jung, wie willst du verstehen, wieviel du mir bedeutest? Du kennst dich nicht, und nun sollte ich dieses Geld nehmen und dir dadurch antworten: So bist du. — Ich weiß, daß ich sterben werde, aber ich weiß, daß es so gut ist, und daß ich zu meiner Stunde sterbe und mit Willen.«

      »Liebst du das Leben nicht, Asja?«

      »Oh, über alles,« sagte sie und ihre Augen glänzten, »aber ich denke anders darüber als du. Laß uns doch nicht von diesen Dingen sprechen. Wenn du bei mir bleibst, wirst du bald alles wissen, auch wenn ich schweige.«

      »Wie meinst du das?«

      »Was ich nicht bin, das will ich auch

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