Selbstmanagement – mit Coachingtools. Thomas Hanstein
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Die Systemtheorie Luhmanns – der biologische daraufhin noch um soziale und psychische Systeme erweiterte – basierte auf der autopoietischen Systemtheorie der Zellbiologen Humberto Maturana und Francisco Varela (vgl. Maturana/Varela, 2009). Aufbauend auf der evolutionären Systemtheorie von Rupert Riedl (vgl. weiterführend Riedl/Delpos, 1996) entwickelten sie eine Theorie auf dem Ansatz zirkulärer Kausalitätsverhältnisse. Systeme sind, so verstanden, hoch komplexe und zugleich kommunikativ-dynamische Einheiten, in denen eine Vielzahl von „Wechselwirkungs- und Ergänzungsprozesse(n)“ (Berninger-Schäfer, 2011, S. 53) stattfindet. Diese befinden sich in so genannten „Fließgleichgewichten“, welche sich – entsprechend der Chaosforschung – stets „im Fluss“ befinden und dabei immer wieder neue Formen und Ordnungen ausbilden. Diese Charakteristika von Systemen gelten in allen Ansätzen der systemischen Begleitung und Beratung als Grundlage. Zugleich leiten sich aus dieser Erkenntnis Konsequenzen ab:
Arnold Mindell, der einen prozessorientierten Ansatz entwickelt hat (vgl. Mindell, 1987), betrachtet das System Mensch in seiner körperlich-psychischen Ganzheit. Sein Modell geht davon aus, dass Symptome und Probleme systemisch derart zusammenhängen, dass die somatischen Anzeichen nicht nur auf die tiefer liegende Problematik verweisen, sondern im Problem selbst die Lösung liegt. Sein Ansatz setzt daher auf eine differenzierte Vertiefung des Problems, sogar auf die (erneute) Auseinandersetzung mit (bereits durchlebten) Grenzerfahrungen. – Die Herkunft aus der Psychoanalyse und der Einfluss der Tradition nach C. G. Jung sind kaum zu übersehen.
Steve de Shazer und Milton Erickson setzten stattdessen lösungsorientiert an (vgl. De Shazer, 1989; Erickson, 1995; Erickson/Rossi, 2015). Ihre Ansätze gehen davon aus, „dass Ergebnisse auch ohne detaillierte Ursachenforschung gefunden werden können“ (Müller, 2009, S. 24). Der Soziologe de Shazer, der die „lösungsorientierte Kurzzeittherapie“ entwickelt hat, gibt dem geschilderten Problem daher nur so viel Bedeutung, wie zur Suche nach dem Ziel notwendig ist. Von der Problembeschreibung aus nimmt er eine „Umfokussierung“ mit dem Ziel erster Lösungsideen vor. Methodisch kreiert, nutzt er dazu die „Zeitlinie“ und die „Wunderfrage“. Dadurch wird der Blick des Klienten für andere Perspektiven geöffnet, neue Handlungsmöglichkeiten kommen in den Blick.
Gunther Schmidt (vgl. Schmidt, 2004; ebd, 2005; ebd. 82018) hat diese lösungsorientierten Konzepte zusammengeführt und zu einem ganzheitlichen, lösungsfokussierenden und zugleich hypnosystemischen Ansatz ausgebaut. Neben dem Aspekt der Wechselwirkung aller Elemente eines Systems ist für dieses Coachingverständnis die systemische Selbstorganisation zentral. Zur Systemstabilität gehört es demnach auch, dass Menschen durch ihr systemkonformes Verhalten – das ihnen nicht bewusst sein muss – dazu beitragen. Diese „Musterzustände“ – als „Einheit von äußeren und inneren Faktoren mit einem spezifischen Zusammenspiel von körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Reaktionen“ (Berg/Berninger-Schäfer, 2010, S. 19) – können entsprechend der systemtheoretischen Erkenntnis, dass jedes Einzelne das Ganze bedingt, aber auch jederzeit eine Infragestellung und Störung erfahren. Änderungen innerhalb eines Systems können demnach nicht nur durch Einwirkungen von außen erfolgen, vielmehr werden diese – entsprechend der Tendenz zur systemischen Selbsterhaltung – in einem ersten Impetus in der Regel abgewehrt. Entscheidender, da nachhaltiger und effizienter, ist demgegenüber die Möglichkeit des Ausbaus neuer Muster von innen, aus dem eigenen System heraus. Hier setzt Coaching an. Raum und kreative Möglichkeiten für die Neuorganisation neuer Muster werden durch die inhaltliche Lenkung auf die Ressourcen des jeweiligen Systems – sei es eine Organisation oder ein einzelner Mensch – angebahnt, und methodisch entsprechend gefördert. Dabei ist die Erkenntnis leitend, dass Veränderung praktisch nur möglich ist, wenn bisherige (Muster-)Zustände verlassen werden (können). Irritationen sind dazu ebenso notwendig, wie sie auch sensibel begleitet sein wollen, da sie immer mit entsprechenden Emotionen verbunden sind. Attraktoren – als „Funktionen mit hoher Anziehungskraft“ (Berninger-Schäfer, 2014) – können hier zur Perspektivenweitung und Musterzustandsunterbrechung ganzheitlich motivieren. Aufbauend auf dem hypnotherapeutischen Konzept Ericksons (vgl. Erickson, 1995) verbindet Gunter Schmidt diverse aktuelle systemische Ansätze und aktuelle neurowissenschaftliche Erkenntnisse zu einem integrativen Konzept. Einen wesentlichen Beitrag für die systemisch-lösungsorientierte Begleitung leistet Schmidt auch durch seinen konsequenten Verzicht darauf, in „Kategorien von entweder/oder oder wenn/dann“ (Müller, 2009, S. 31) zu denken. Statt kausal und linear zu systematisieren, übernimmt sein Konzept den Gedanken der Wechselwirkungen, die sich konkret durch Muster, Regeln, Rollen, durch Verhalten und Handeln sowie diesen zugrundeliegenden Bedingungen ergeben (vgl. Müller, 2009, S. 21–31). Schmidt beherzigt das humanistische Bild vom Menschen und Erkenntnisse des Konstruktivismus: Wenn davon auszugehen ist, dass Probleme, von denen Klienten berichten, autohypnotisch durch ihre (situative) Einengung der Wahrnehmung entstanden sind, kann nicht die (weitere) Fokussierung auf das Problem zur Lösung führen. Vielmehr gilt es – unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Kontextbedingtheit und Abhängigkeit der Wahrnehmung von der Perspektive – durch Umfokussierung dieser Autohypnose eine neue, zusätzliche Erfahrung zu ermöglichen, die sowohl den eingeschlagenen Kontext aufbrechen bzw. verlassen wie einen neuen Blick auf das Erlebte und Beschriebene ermöglichen kann. Durch Schmidts konzeptionelle Weiterentwicklung wurde der Blick auch auf ganzheitliche Reiz-Reaktions-Abläufe und Musterzustände in sozialen, lebenden Systemen und konkret beim Klienten gelenkt, wie auf die Frage nach weiteren Prinzipien für eine methodische Lösungsorientierung.
Systemisch-lösungsorientiertes Coaching als integrativer Ansatz
Auf der Grundlage der – oben angeführten – Begriffsbestimmung des Deutschen Bundesverbandes Coaching vertritt die „Karlsruher Schule“22 einen systemisch-lösungsorientierten Coachingansatz, der auf den dargelegten systemtheoretischen Erkenntnissen fußt, und der in der Systemtheorie integrierte Ansätze, insbesondere aus dem Konstruktivismus und der Chaosforschung, praktisch berücksichtigt. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Aspekt der systemischen Selbstorganisation, wobei ein System als ein „sich organisierendes Ganzes“ betrachtet wird, jedoch nicht durch voneinander „isolierte Objekte“, sondern durch ein komplexes Geflecht von „Muster-, Regel-, Wechselwirkungs- und Ergänzungsprozesse“. Diese – relative, nie statische – Systemstabilität wird im sozialen Kontext durch die „Wiederholung von Verhaltensmustern, Denk- und Sichtweisen erreicht“ (Berninger-Schäfer, 2014). Die Wahrnehmung – nicht Analyse – dieser Phänomene gibt dem Coach einen ersten Zugang zum jeweiligen System. Auf dem Weg der Veränderung von Kontextbedingungen können im Coaching dann Veränderungen in diesen komplexen systemischen Gebilden angezielt werden. Wenn dabei ernst genommen wird, dass der Klient – bei allen gefühlten und ggf. benannten aktuellen „Defiziten“ – Experte seines eigenen „Systems“ ist, verbietet es sich von selbst, von allgemeingültigen, absoluten Aussagen auszugehen – bzw. diese zu suchen. So kann das Coachinggespräch „ein Gespräch auf gleicher Augenhöhe“ sein – und bleiben –, bei dem der Klient selbst als „Experte für seinen Weg und sein Leben“ (ebd., 2011, S. 51) angesehen wird. Die systemisch grundrelevanten Aspekte der Autopoiese und Selbstreferenzialität bekommen so praktische Geltung.
Elke Berninger-Schäfer spricht von vier grundlegenden Merkmalen des systemisch-lösungsorientieren Coachings: Ein Coach, der sein Gegenüber als „Systemexperten“ versteht, orientiert sich in seinem Vorgehen nicht entsprechend