Die Jugend des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Jugend des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann страница 4
»Er selbst wird nie einer werden«, sagte Karl, ließ die Worte vor sich hinfallen und schloß sogleich wieder fest den Mund unter seiner fleischigen Nase. Jetzt wurde Henri zornig; seine sanften und freundlichen Augen fingen zu blitzen an, er rief: »Das lassen Sie nicht meine Mutter hören, und auch Ihre nicht, die statt Ihrer regiert!«
Es waren etwas zu geringschätzige Worte, als daß ein König sie hätte hören dürfen; die Herren hinter Karl dem Neunten erschraken. Er selbst schloß nur die Augen; in diesem Augenblick merkte er sich etwas für immer.
Henri hatte sich sogleich beruhigt, unbefangen richtete er das Wort an die beiden anderen Knaben. »Na, und ihr?« fragte er ermunternd, denn sie erschienen ihm merkwürdig verlegen. Es kam daher, daß er noch keine vornehme Erziehung kannte.
»Ich werde Monsieur genannt«, sagte der erste der beiden Kleinen, er stand im gleichen Alter wie Henri. »Es ist mein Titel, weil ich der älteste unter den Brüdern des Königs bin.«
»Ich heiße einfach Henri.«
»Ach! Ich auch«, rief Monsieur lebhaft wie ein Kind, und beide musterten einander aufmerksam.
»Habt ihr keine Melonen?« fragte Henri, um gleich ans Ziel zu kommen. Der jüngste der königlichen Brüder lachte hierüber wie bei einem Witz. Man hätte erkennen müssen, daß die kleine Gestalt nur selten laut und glücklich war.
Hoch über den Kindern hing das Laub eines Baumes, darin schrie ein Vogel, alle drei wendeten die Gesichter hinauf. Dann stellten sie fest, daß der König seinen Weg fortsetzte, alle Herren hinter ihm. Die beiden Begleiter des Prinzen von Navarra befanden sich im Gespräch mit den Leuten vom Hofe Frankreichs, sie wurden abgelenkt. Henri flüsterte: »Man muß sich die Schuhe ausziehen.«
Er tat es schon und begann den Stamm zu erklettern. Unter der Krone angelangt, erklärte er den beiden anderen: »Ich werde gleich verschwunden sein. Ihr wagt das wohl nicht?«
Als dann der Wipfel ihn wirklich ganz verbarg, wollten sie doch nicht zurückstehen, auch sie stellten ihre Schuhe in das Gebüsch und folgten ihm auf den Baum. Henri erklärte ihnen:
»Hier können sie uns nicht finden. Sie werden uns überall suchen, inzwischen führt ihr mich, ich weiß schon wohin. Nein! Nehmt nicht das Nest aus. Seht ihr nicht, daß es Vögel mit gelben Schnäbeln sind? Solche nisten vor meinem Fenster, zu Hause in Pau.«
Mehrere Herren kehrten zurück, spähten umher, berieten sich und schlugen eine andere Richtung ein. Sofort stiegen die drei Knaben herab, und endlich gelangte Henri an den verabredeten Ort, es war der Gemüsegarten. Die ersehnten Früchte lagen auf der schwarzen Erde, er setzte sich hin, wühlte die Hände, die bloßen Füße hinein und jauchzte leise:
»Hier ist es schön!«
Denn Kräuter würzten die Luft, er schmeckte sie, genoß auf den Lippen alles, Zwiebel, Lattich, Lauch. »Na, und ihr?« fragte er.
Sie standen und sahen auf ihre halbvergrabenen Füße. »Erde ist Schmutz«, meinten sie. Aber Henri hatte einen Gärtner entdeckt. Der gemeine Mann wollte sich in Sicherheit bringen, sobald er die Prinzen erkannte. Henri rief: »Komm her, oder es geht dir schlecht!« Da schlich der Tölpel gebückt herbei.
»Zieh dein Messer! Schneide die reifste Melone auf!« Erst nachdem er schon die Hälfte verschlungen hatte, erklärte er sie für wässerig und sauer. »Das ist das Beste, was ihr habt?«
Der Bursche entschuldigte sich damit, daß es zuviel geregnet habe. Henri sagte: »Ich verzeihe dir.«
Hierauf stellte er die Fragen über den Garten und über die Lebensverhältnisse des Gärtners, wobei er weiteraß. »Du kannst nach Navarra kommen«, sagte er dann, »dort gebe ich dir Melonen zu essen! Sieh nicht so dumm aus! Kennst du Navarra nicht? Es ist ein Land, größer als Frankreich. Auch die Melonen sind größer.«
»Und dein Bauch!« bemerkte der zweite Henri, der Monsieur genannt wurde. Denn sein fremder Vetter hatte die Frucht ganz allein beendet. »Wenn ich aber noch eine anfange?« fragte er sogar.
»Vielfraß«, äußerte Henri von Valois, aber es bekam ihm nicht gut. Henri von Bourbon rief:
»Du kriegst meinen Fuß in den Hintern«, und er holte seinen Fuß auch schon aus der Erde. Bevor er aufrecht stand, lief der andere fort und sein kleiner Bruder weinend hinterher. Henri behauptete das Feld.
Ein Kaninchen sprang an ihm vorbei, er hinterher. Es verkroch sich, er störte es auf, aber fangen ließ es sich nicht. Er war schon atemlos von der Jagd. »Henri!« Da stand seine kleine Schwester und neben ihr ein anderes Mädchen. Es war größer als Catherine und ungefähr in seinem eigenen Alter. Er konnte sich denken, wer es war, sagte aber zuerst gar nichts vor Erstaunen. Seine kleine Schwester erklärte: »Wir sind gekommen. Margot war neugierig.«
»Sind Sie immer so schmutzig?« fragte Marguerite von Valois, die Schwester des Königs.
»Ich wollte Melonen essen«, erwiderte er und fühlte sich beschämt. »Warten Sie, ich gebe Ihnen auch eine.«
»Danke, das geht nicht.«
»Ich verstehe. Ihr schönes Kleid könnte Flecken bekommen.«
Sie lächelte, weil sie dachte: ›Und auch mein Gesicht. Ich bin geschminkt, das sieht dieser Bauer nicht.‹
Was für ein Mädchen! Er hatte ihresgleichen nie erblickt. Seine kleine Catherine, die er so sehr liebte, erschien daneben wie eine Gänsemagd, trotz ihrem Sonntagsstaat. Marguerite hatte Farben wie Rosen und Nelken, und die hätten noch froh sein dürfen. Ihr weißes Kleid lag bis zu den Hüften eng an, dann begann es sich weit und steif zu entfalten, schimmernd von Goldstickerei und bunten Steinen. Auch ihre Schuhe waren weiß, etwas Erde hing daran. Henri folgte einer Eingebung; er kniete hin, und mit seinen Lippen entfernte er die Erde. Dann stand er auf und sagte:
»Meine Hände waren nicht sauber genug.«
Sein Ton wurde hierbei unfreundlich, weil das Mädchen überheblich lächelte. Daher nahm er seine Schwester beiseite und flüsterte ihr zu, aber die andere konnte es sicherlich hören:
»Jetzt hebe ich ihr den Rock auf, ich muß doch herausbekommen, ob sie Beine hat wie alle Mädchen.« Das Lächeln der kleinen Prinzessin wurde starr. Er bemerkte noch: »Ihre Nase ist zu lang. Kathrin, du kannst sie wieder mitnehmen.«
Da verzog sie das Gesicht zum Weinen. Sogleich wurde Henri sehr höflich. »Fräulein, ich bin nur ein dummer Junge vom Lande, und Sie sind ein feines Fräulein«, sagte er bereitwilligst. Seine Schwester berichtete: »Sie kann Lateinisch.«
Er redete sie in der alten Sprache an und fragte, ob sie schon verlobt sei mit einem Prinzen. Sie antwortete: »Nein«; so erfuhr er, daß die Geschichte, die seine liebe Mutter ihm erzählt hatte, wohl nur ein Märchen war, und sie hatte es geträumt. Indessen dachte er: ›Was nicht ist, kann noch werden.‹ Vorläufig stellte er fest:
»Ihre beiden Brüder sind vor mir davongelaufen.«
»Meine Brüder werden sich vor Ihrem Geruch gefürchtet haben.