100 Prozent Anders. Tanja Mai
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Unsere Show begann mit einem Instrumental als Intro. Dieter und ich standen hinter der Bühne auf Position und würdigten uns keines Blickes. Noch zehn Sekunden, neun, acht und … raus!
9 000 jubelnde Fans, begeisterte Gesichter, tosender Applaus und euphorische Stimmung. Glückseligkeit für die Nichtwissenden!
Wir zogen unsere Show durch. Dank meiner Professionalität und Disziplin lasse ich mich durch Missstimmungen und Probleme zum Glück nicht verunsichern. Alles, was auf der Bühne für mich zählt, ist das Publikum. Schließlich haben sich diese Menschen seit Wochen auf diesen Tag gefreut. Sie haben viel Geld für die Eintrittskarten bezahlt und womöglich große Anstrengungen auf sich genommen, um uns sehen zu können. Das gilt es zu respektieren, und ich tue alles dafür, dass ihr großer Tag für sie unvergesslich wird.
Das wurde er dann auch für das Rostocker Publikum, leider im negativen Sinne.
„Hallo, liebe Fans“, rief Dieter mitten in der Show, „ich muss euch sagen, mit Modern Talking ist es heute vorbei.“
Die Bombe war explodiert. Es war eine Erfahrung wie bei einem gewaltigen Gewitter! Die Menschen blicken zum Himmel, sehen den Blitz – und mit leichter Verspätung kommt dann der ohrenbetäubende Knall. Ich hatte den Eindruck, in den ersten Sekunden glaubten die meisten Zuschauer an einen Scherz von Dieter Bohlen. Es waren genau die Sekunden, die das Gehirn braucht, um eine unerwartete Information über die Ohrmuschel bis zu den Nervenenden zu empfangen und die Botschaft zu verstehen. AUS! VORBEI! ENDE!
Unser Publikum buhte und pfiff, bei den ersten Fans liefen die Tränen. Ich stand auf der Bühne und dachte: Was für ein armseliges Verhalten von Dieter. Es war ihm piepegal, dass wir am Anfang einer Tour standen! Es war ihm egal, dass uns in den kommenden zwei Wochen noch 50 000 Menschen sehen wollten, die sich auf uns gefreut hatten. Er nahm keinerlei Rücksicht auf Musiker, Techniker, Bühnenhelfer oder den Veranstalter. Dieter musste mal wieder den großen Zampano geben, der allein bestimmte, wo’s langging. Wohl aus einer Laune heraus, weil er wegen der USA-Reise beleidigt war. Er kam mir vor wie ein kleines Kind, ohne Sinn und Verstand. Auch das kannte ich bereits zur Genüge von ihm.
***
Gegen Mitternacht saß ich wieder im Auto und war mit meinem Fahrer auf dem Weg zurück nach Berlin ins Hotel „Adlon“. Ich nahm mein Handy und wählte Claudias Nummer. „Und, wie war’s?“, fragte sie. „9 000 Menschen, ausverkauftes Haus“, antwortete ich. „Wie war Dieter heute drauf?“, wollte sie schlaftrunken wissen. „Er hat das Ende von Modern Talking auf der Bühne verkündet“, erzählte ich ihr ganz ruhig. „Was???“ Claudia war plötzlich hellwach. Sie klang fassungslos. „Ja, es ist vorbei“, antwortete ich. Zwischen Claudia und mir herrschte Stille. Wir waren geschockt. Nein, nicht über das Ende von Modern Talking. Wir waren geschockt, weil wir erleichtert waren. Endlich kein Wir-wissen-nicht-wie-er-heute-gelaunt-ist mehr. Kein Geschachere mehr hinter meinem Rücken, angesichts dessen ich Angst haben musste, dass er versuchte, auf meine Kosten mehr Geld für sich selbst rauszuschlagen. Keine Befürchtungen mehr, von ihm angelogen zu werden, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
Es war kein Gefühl der Enttäuschung, sondern wir konnten endlich durchatmen. Endlich war es mir möglich, wieder ich selbst zu sein!
Nach dem Konzert in Rostock waren im Vorfeld der Tournee ein paar Off-Days geplant gewesen, so nennt man die freien Tage während einer Tour. Ich hatte für meine Familie und mich von Berlin aus Flüge nach Mallorca gebucht, um Freunde zu besuchen. Es war das Pfingstwochenende, und ich wollte, bevor die Tournee fortgesetzt wird, zwei Tage Sonne tanken. So weit der Plan. Denn von Ruhe war nun keine Rede mehr. Das Medien-Echo war gewaltig: „Modern Talking am Ende“; „Dieter Bohlen macht Schluss!“; „Thomas Anders und Dieter Bohlen trennen sich zum zweiten Mal“; „Modern Talking hoffnungslos zerstritten“ und so weiter stand in großen Lettern in sämtlichen Zeitungen. Mein Handy stand nicht mehr still. Pausenlos Interviews, Statements und Besprechungen mit meinem Management.
Im Gegensatz zu unserer ersten Trennung im Jahr 1987, als ich mich wie ein waidwundes Reh aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, war ich nun jedoch kampfbereit. Ich nutzte die Spielwiese der Boulevardmedien und bezog Stellung. Ich erklärte, dass der Zeitpunkt für die Trennung von Dieter falsch gewählt worden sei und er sich über die Wünsche und Hoffnungen unseres Publikums einfach hinweggesetzt habe. Ich betonte, dass ich trotz aller Misstöne zwischen Dieter und mir auf jeden Fall bereit gewesen wäre, die Tournee zu Ende zu spielen. Ohne Wenn und Aber!
Wie ich später aus seinem Umfeld hörte, fand er wohl rückblickend seine Reaktion auf meine Amerika-Auftritte etwas überzogen und wollte sie relativieren. Doch ich hatte endgültig die Schnauze von ihm voll. Hier fällt mir ein Zitat von Götz Kiso ein, der Dieter immer wieder folgendermaßen beschrieben hatte: „Woher soll ich wissen, was ich denke, wenn ich nicht gehört habe, was ich sage.“ Eine verbale Punktlandung.
Unsere Plattenfirma und unser Konzertveranstalter verlangten von Dieter, dass er mit mir noch ein letztes Abschlusskonzert am 23. Juni auf der Wuhlheide in Berlin geben müsse.
Selbstverständlich sagte ich zu. Wenigstens konnte ich unseren Fans so etwas zurückgeben, was ihnen auf übelste Art und Weise genommen worden war. Ich flog mit Claudia und ein paar Freunden am 23. Juni vormittags von Frankfurt nach Berlin – mit tausend Gedanken, die mir durch den Kopf gingen. Was würde wohl am Abend passieren? Mit welchen Waffen würde Dieter auf der Bühne kämpfen? Fair, von Mann zu Mann, oder hatte er sich wieder verbale Gemeinheiten ausgedacht, um am Ende selbstverliebt in die Kameras zu grinsen und mich als Deppen dastehen zu lassen?
Auch auf der Fahrt zur Wuhlheide, wo das Konzert stattfand, war ich in Gedanken versunken. Wir alle kennen das Gefühl, wenn man auf dem Weg zu etwas Ungewissem und Unangenehmem ist. Einerseits wünscht man sich, der Weg dorthin wäre noch lang. Auf der anderen Seite möchte man schnell am Ziel sein, um alles rasch hinter sich zu bringen.
Im Backstage-Bereich der Wuhlheide herrschte gespielte Heiterkeit. Egal, ob es meine Freunde waren oder Dieters Umfeld. Man versuchte sich aus dem Weg zu gehen. Und wenn man doch jemanden aus dem anderen Lager traf, nickte man sich kurz zu und schaute schnell wieder in die andere Richtung. Die Chefs unserer Plattenfirma beteten, dass es nicht zu einem Eklat kommen würde, da am Montag nach unserem letzten Modern-Talking-Konzert unser „Best of“-Album im Handel sein sollte. Und Missstimmung ist immer ein schlechter Verkäufer.
Auch bei dieser Show wurde, mal wieder ohne mein Wissen, ein „Produkt“ von Dieter Bohlen auf die Bühne gebracht: Yvonne Catterfeld. Sie erlitt das gleiche Schicksal wie Alexander Klaws in Rostock und wurde vom Publikum ausgebuht.
Die Nerven der Fans lagen blank. Über der ganzen Veranstaltung lag eine leichte Wehmut, und die Frage nach dem Warum war in allen Köpfen! Warum musste es so weit kommen? Intuitiv kannten alle die Antwort.
Ich kann mich nicht mehr an viele Dinge während der Show erinnern. Ich weiß aber, dass es total verkrampft zuging. Dieter und ich setzten unser Modern-Talking-Lächeln auf und sahen auf der Bühne professionell aneinander vorbei. Die Ansagen zwischen den einzelnen Liedern klangen heiter wie immer. Hier mal Bezug nehmend auf den nächsten Song, dann mal wieder ein lockerer Spruch, der die Leute zum Lachen bringen sollte. Doch irgendwie wollte an dem Abend niemand lachen. Ich fühlte ganz stark mit dem Publikum. 16 000 Menschen, die alle Songs mitsangen, frenetisch jubelten, um sich dann dessen bewusst zu werden, dass sie sich mit jedem Song wieder ein Stückchen näher ans endgültige Ende applaudierten.
In all unseren Shows während der vergangenen Jahre war jedes Mal der Titel „You’re My Heart, You’re My Soul“ unsere Zugabe. Von Millionen Menschen gekauft und von noch viel mehr Menschen geliebt. Egal, ob „Cheri Cheri Lady“,