Des Todes langer Schatten. Jost Baum
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Dokumenteneinschub 2/ Mitschrift/ Bericht des Zimmermädchens Dolores Rosa, Alter 21/ Hotel Imperial/ Polizeistation 433/ Teniente Baptista/ Gestapokarte:
Teniente Baptista, ich habe diese Fliegerin, diese junge Deutsche beobachtet, wie sie sich angezogen hat.
Santo Deus, sie trug einen schwarzen Hosenanzug, mit einem weißen Hemd und einer gestreiften Krawatte. Ich habe diesen Film gesehen, in dem kleinen Kino in der Calle Quatre Septembre, mit Marlene Dietrich in der Hauptrolle. »Die blonde Venus« hieß der. Dieses Mädchen soll sich schämen, so läuft man nicht rum. Wir sind Frauen, keine Männer. Sie wirkte kalt und arrogant auf mich, ich glaube nicht, dass sich ein Mann für sie begeistern wird. Sie verließ ihre Suite so gegen 19:30 Uhr, ich habe danach noch ihr Zimmer aufgeräumt. Sie hat ihre Fliegermontur einfach auf dem Boden liegen lassen. Außerdem habe ich eine Pistole gefunden, so eine kleine silberne, wie sie Frauen tragen. Ich habe sie nicht berührt, nur das Waschbecken geputzt, noch einmal nach dem Bett geguckt und habe dann schnell das Zimmer verlassen. Das ist alles, Teniente, was ich weiß …
In der Bar Tropical wurde jeden Abend Tango gespielt. Die fünf Mitglieder des Bajofondo Tango Club Ensembles trugen weiße Leinenanzüge und standen auf einer Bühne, die seitlich des Tresens aufgebaut war. Sie spielten »Milonguero viejo« von Carlos Di Sarli und obwohl es noch früh am Abend war, füllte sich die Bar mit Hotelgästen. Die Damen posierten in geschlitzten Kleidern mit hochhackigen Schuhen, die Herren glänzten in schwarzen Anzügen mit weißen Rüschenhemden. Das Tropical war zu einem bevorzugten Treffpunkt der eingefleischten Tangotänzer geworden. Zwischen der Bühne und einer Gruppe von kleinen runden Tischen, an denen jeweils vier Stühle standen, gab es eine Tanzfläche, groß genug, dass vier oder fünf Paare eng umschlungen tanzen konnten. Duncan liebte dieses Etablissement, das für ihn, je länger er in Brasilien lebte, zu einer Art zweitem Wohnzimmer geworden war. Luiz Diaz, der Pianist, und auch Alberto Accina, der Sänger und Bandoneonspieler, setzten sich oft nach ihren Auftritten an seinen Tisch und tranken einen letzten Whiskey mit ihm, bevor sie ihre Instrumente einpackten und in der Morgendämmerung nach Hause gingen. Auf den Tischen standen Kerzen und unter den Decken hingen verstaubte Kristalllüster, die den Raum in ein schummriges Licht tauchten.
Als Hanna Reitsch in ihrem Hosenanzug die Bar betrat, stockten für einen kurzen Moment die Gespräche und es schien, dass die Tänzer für einen Takt lang in ihrer eng umschlungenen Position verharrten. Kaltenbrunner betrat kurz nach Hanna das Tropical und blickte sich mit finsterer Miene suchend um. Als er Duncan und Hanna an einem der Tische in der Nähe der Tanzfläche entdeckte, ging er mit schnellen Schritten auf die beiden zu.
Er setzte sich ungefragt, schnipste mit den Fingern und bestellte einen Kaffee und einen Cognac, als der Kellner herbeigeeilt kam.
»Für mich dasselbe«, sagte Hanna Reitsch und blickte Duncan erwartungsvoll an.
»So, dann sind Sie also schon lange hier und kennen sich mit der Thermik aus«, begann sie und lächelte.
»Wie verdient ein Engländer hier eigentlich sein Geld?«, warf Kaltenbrunner ein. Es klang so, als sei er auf Streit aus.
»Oh, … ich … ähem … beziehe nur das Gehalt eines kleinen Angestellten«, erwiderte Duncan bescheiden und lächelte dabei Hanna zu. War das ein plumper Versuch abzuklären, ob er bestechlich war, wollte er ihn aus der Reserve locken?
»Können Sie mir verraten, wie das Ganze morgen abläuft …«, versuchte Hanna, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.
»Ich habe uns die Winde für 10 Uhr reserviert. Das Gerät ist auf einem alten Dodge Pick-up montiert und wird von Major Fontanelle nur an besonders gute Kunden vermietet. Das ist unser selbst ernannter Platzwart, der ein Auge auf alles hält, was nicht niet- und nagelfest ist. Sie haben ihn ja bereits kennen gelernt«, versuchte Duncan zu scherzen.
»Wie kommt das, dass Ihnen Ihre Arbeit Zeit lässt, mit uns in die Lüfte zu steigen?«, ließ Kaltenbrunner nicht locker.
»Ich bin mit meinem Chef, dem Handelsattaché Sir Donovan übereingekommen, dass ich mir den Tag ein wenig selber einteilen kann. Ich bin dann abends länger im Büro«, entgegnete Duncan und ärgerte sich über sich selbst, dass er begonnen hatte, sein kleines Freizeitvergnügen zu rechtfertigen.
»Und was heißt das?«
»Ach Josef, du bist so langweilig. Kommen Sie Duncan, lassen Sie uns tanzen«, sagte Hanna, stand auf und schritt zur Tanzfläche, ehe er sich wehren konnte.
»Wo haben Sie Tango tanzen gelernt?«, fragte er sie, als sie mit ihm alleine auf der Tanzfläche stand.
»Beim Tanztee«, grinste sie, »meine Freundinnen von der Kolonialen Frauenschule in Rendsburg haben heimlich Tangoplatten gehört. Wenn die jungen Offiziere mit den feschen Uniformen kamen, haben wir ihnen die ersten Tanzschritte beigebracht«, lachte sie.
»Das hört sich ja sehr deutsch an, ›Koloniale Frauenschule‹«, erwiderte Duncan skeptisch. Seine Hand tastete nach Dingen, die ihn eigentlich nichts angingen.
»Ist es auch, ich bin froh, dass ich da nicht mehr hin muss«, sagte sie, nahm ihn bei der Hand und vollführte eine perfekte Halbdrehung im Takt der Musik. Duncan nahm das Angebot an. Rasch legte er eine Hand auf ihre zierliche Hüfte, bevor sie sich wehren konnte. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Kaltenbrunner aufstand und Richtung Toilette marschierte.
»Günstige Gelegenheit«, hauchte sie ihm ins Ohr und ließ danach ihre Zunge um sein Ohrläppchen kreisen. Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn von der Tanzfläche. Duncan war verwirrt und gleichzeitig wie elektrisiert. So etwas hatte er noch nie erlebt. Bisher war er über einen flüchtigen Kuss am Ende einer Tanzstunde noch nicht hinausgekommen.
»Peter, ich habe ein Attentat auf dich vor«, grinste sie und zwinkerte ihm zu. Sie eilte in Richtung Ausgang und winkte ihm, ihr zu folgen. War das in Deutschland inzwischen üblich und sprach man so mit den Männern in der ominösen Frauenschule, dachte er irritiert, bevor er ihr mit schnellen Schritten folgte. War das die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte, um zu erfahren, welchen Auftrag diese Segelflieger in Brasilien zu erfüllen hatten?
Als sie das Foyer