Nur noch Fußball!. Jürgen Roth
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Na ja, Dr. Theo Zwanziger schreibt auf der Website seines Ladens: »Ich bin mir jedenfalls sicher, daß die WM gut für unser Land sein wird«, und Dr. Theo Zwanziger ist ein weiser, ja weitblickender Mann. Nur gut, daß Günter Netzer bekannte: »Ich würde mir nicht zutrauen, ein Frauenfußballspiel zu analysieren«, weshalb wir frohgemut nach vorne schauen und dem Sportjahr 2011 schon heute ein herzliches »Hurra!« entbieten. Aber holla!
Der Krampf geht weiter
In unserer phänomenalen Medienwelt erfährt man nahezu unentwegt Dinge, die ob ihrer schieren Unbegreiflichkeit derart betörend, ja enervierend sind, daß man sie am liebsten, mit Karl Valentin zu reden, noch nicht mal ignorieren würde. Andererseits möchten wir schon zitieren, was jüngst der Mediziner Stefan Eber in der allzu beknackten Causa Claudia Pechstein dargelegt hat, nämlich – aufgepaßt! –: »Der bislang für die bekannten Permeabilitätsdefekte [der Xerozytose] untypische, verkleinerte Erythrozytendurchmesser von Claudia und ihrem Vater weist auf eine Mischform mit der hereditären Sphärozytose hin.«
Capisce?
Nun, von einer solch mirakulösen »Mischform« war bis dato zwar nichts bekannt, aber das heißt selbstverständlich nicht, daß man nicht weiter ausführen könnte: »Ein definitiver Beweis für die hier beschriebenen Anomalien ließe sich durch die Messung der erythrozytären transmembranösen Kationenpermeabilität […] erbringen. Diese Untersuchungen sind sehr aufwendig und werden derzeit unseres Wissens in keinem Labor routinemäßig angeboten.«
Hm. Na ja. Schön. Oder auch nicht. Im übrigen wissen wir nicht, wie viele Säcke Reis in den vergangenen vierundzwanzig Monaten umgefallen sind, in denen uns die vom Internationalen Sportgerichtshof CAS wegen mutmaßlichen Blutdopings für zwei Jahre gesperrte Eisschnelläufern Pechstein mit ihren unermüdlich anberaumten Großereignispressekonferenzen die Langeweile vertrieben hat.
Und zwar bis gestern. Denn seit gestern ist sie wieder richtig da. Helau, halleluja. Es ist das alles wahrhaft wunderbar.
In Erfurt trat Claudia Pechstein bei einem gänzlich unbedeutenden Vereinssportfest über 3.000 und 1.500 Meter an und blieb unter der Norm des Weltverbandes ISU, so daß sie nun am kommenden Wochenende beim Weltcup in Salt Lake City starten wird. Sie hat nichts Besseres zu tun, auch als demnächst 39jährige, vom Alter her durchaus reif zu nennende Frau nicht. Kufen im Kopf, sonst offenbar nichts. Es ist ein Kreuz.
Das Kreuz jedoch, das hat Claudia Pechstein jetzt abgelegt, glauben wir ihr und der um sie herumkurvenden Hochleistungssportpresse, in der diese unfaßbare Frau Pechstein mit den Worten zitiert wird: »Ich bin wieder da. Das ist der größte Sieg meiner Karriere.« Und: »Unter diesem Druck zu laufen ist alles andere als leicht. Dieser Medienrummel war der Wahnsinn.«
Es ist längst nicht mehr auszumachen, wann genau der Wahnsinn begann, wann die Berliner Polizeihauptmeisterin zum erstenmal und in der Folge dann unerbittlich das Wort »Wahnsinn« in den Mund nahm. »Das Ganze ist der nackte Wahnsinn«, hatte die aufs ärgste geschmähte Olympiasiegerin nach dem CAS-Urteil geäußert, und fortan verging kaum eine Woche, in der sie nicht die Welt mit ihren Beteuerungen und Selbstinszenierungen belästigte, jeden Schamgefühls abhold und umrankt von allerlei Highendexperten.
Jetzt ist beinahe alles wieder im Lot, der Schwachsinn darf halt kein Ende nehmen. »Es wurde ein kleiner Triumphzug für die Berlinerin«, meldet die Welt und fügt hechelnd hinzu: »Mit den eigenen Augen sehen mußte man Claudia Pechstein gar nicht, um zu wissen, wo sie gerade ist. Als sie ihre Runden dreht, springen die Zuschauer auf, wenn die Athletin vorbeirauscht, kreischen sie laut auf.«
Von einem »medialen Großereignis« ist vielerorts die Rede, und die FAZ berichtet: »Um ihnen [den Fans] Beine zu machen, hatte der Veranstalter trotz der prominenten Starterin bei seinem Nachwuchswettbewerb darauf verzichtet, Eintrittsgeld zu verlangen. Claudia Pechstein hatte der Lokalzeitung ihr einziges Interview dieser Tage gewährt und um breite Unterstützung geworben.«
Die ist ihr zuteil geworden, etwa durch den Berliner Kurier, der die Schleimschleuder anwarf und unter der Überschrift »Pechis größter Sieg« von einer »Unrechts-Sperre« faselte und »diesen am Ende so wunderbaren Tag« mit dem Krönungssatz bejubelte: »Eine Kämpferin war Claudia Pechstein schon immer.«
Wohl wahr. Pechstein gab hernach selber kund: »Der Kampf ist dann vorbei, wenn ich vollständig rehabilitiert bin.«
Mehr Kampf war nie, und wir dürfen sicher sein: Der Krampf geht weiter, Muskel- und Hirnkrämpfe eingeschlossen.
Zu lahm für Ochs?
Der Linienrichter hat versucht, uns das Genick zu brechen. […] Vielleicht stellen wir ja einen Antrag, künftig ohne Linienrichter zu spielen.
Fredi Bobic, Sportdirektor des VfB Stuttgart
Gibt es ein rätselhafteres Wesen, einen merkwürdigeren Sozialcharakter als den Linienrichter im Fußball, jenen ausgebildeten Schiedsrichter, der an die Seitenlinie beordert wurde und dort seinem Herrn und Meister, dem Spielleiter, mehr oder weniger zu dienen hat?
Ist der Linienrichter, wie es auf www.schiedsrichtergespann.de heißt, »von höherer Instanz dazu berufen«, Mist zu bauen? Ist sein Tun eitel und unheilbringend – und zwar prinzipiell? Braucht es ihn, den Linienrichter, dieses Fossil, diesen Anachronismus, der seit etwa zwanzig Jahren unter dem noblen Titel des »Schiedsrichterassistenten« firmiert, überhaupt? Wozu und zu welchem Ende Linienrichter im Fußball, wo doch ausgereifte Techniken wie der Videobeweis und der Chip im Ball zur Verfügung stünden, sträubten sich die störrischen Verbände nicht?
Seit 1891 verrichten Myriaden von Linienrichtern zwischen Reykjavik und Kapstadt ihre dubiose, ja numinose oder doch eher ominöse Arbeit, seither ist der Schiedsrichter »der alleinige Leiter des Spiels, und die Linienrichter [sind] ihm unterstellt« (Wikipedia). 78.251 Schieds-, das heißt mehrheitlich Linienrichter begeben sich laut DFB-Statistik aus dem Jahr 2009 allein in Deutschland Woche für Woche an die Fußballfront, unbegreiflicherweise.
Sie staksen, traben und rennen neben einer gekalkten Linie auf und ab – zwischen vier und sieben Kilometer pro Partie, schätzen manche –, den Blick auf den Ball und die Hauptakteure gerichtet, und ab und an reißen sie eine gelbe Fahne in die Höhe, woraufhin der Boß des Ganzen, der Referee, in ein kleines Stück Metall hineinbläst, um anschließend eine Entscheidung anzuzeigen oder zu verkünden. Ist das nicht eine der inferiorsten, beschämendsten Betätigungen, die denkbar sind? Ist der Fußballinienrichter, noch weit vor dem Tennis-, dem Volleyball- und dem Hundesport-, das heißt dem Flyballinienrichter, nicht die reinste Inkarnation der Subalternität?
»Als normaler Mensch fragt man sich ja immer, wie zum Geier man eigentlich Linienrichter werden kann«, lesen wir auf www.captain-trikot.de. »Schiedsrichter – das ist ja schon kraß, aber Linienrichter?«