Kässpätzlesexitus. Michael Boenke
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Und wieder flossen Sturzbäche der Trauer über das schwarze Antlitz, als nach einem zarten Kopfnicken zu einem der rot-weiß gekleideten Ministranten, der unauffällig einen Musikplayer aktivierte, die ersten Takte von ›Breaking the law‹ in konzertreifer Lautstärke über den ansonsten eher schweigenden Ort grollten.
Den musikalischen Höhepunkt markierte jedoch der Auftritt der Löchligugger in ihrer herrlichen, fasnetletztsaisonalen, wunderschönen Indianer-Uniform. Für ihr auf tragische Weise zu Tode gekommenes Mitglied Butzi intonierten sie trefflich, den Umständen des Ereignisses sensibel angepasst, Butzis Guggen-Lieblingslied ›Über den Wolken‹. Als dann alle Löchligugger abschließend, zweistimmig a cappella den Refrain sangen, waren es Tränen-Tsunamis, die sich über den kleinen oberschwäbischen Friedhof Bahn brachen.
Die Leich wurde noch schöner, als die frischgebackene Witwe Susi am Grab, jeder Ganghofer-Verfilmung zur Ehre gereichend, bewusstlos zusammenbrach und kurz danach eine, allen übrigen Trauergästen gänzlich unbekannte Blondine mit einem schwarzen, jedoch kaum daumenbreiten Ledermini bekleidet bei der Kondolenztour vor dem offenen Grab stand, die Hände gen Himmel streckte, was die Kürze des ledernen Lendenschurzes noch unterstrich, und verzweifelt aufschluchzte:
»Waruuuum?«
Butzis Kinder standen winzig und fassungslos mit zusammengekniffenen Mündern Händchen haltend da und verstanden nichts von alledem.
Der abschließende Leichenschmaus in Friedas ›Goldenem Ochsen‹ endete dann im üblichen Besäufnis und war der krönende Abschluss einer schönen oberschwäbischen Leich. Noch einmal wurden die Umstände des Butzischen Todes dramatisch aufgearbeitet.
Eigentlich, wenn man ehrlich ist, könnte Butzi noch leben. Dann könnte er im Krankenwagen von Unfall zu Unfall, von Patient zu Patient fahren, um dann nach getaner Arbeit mit seinen MIKEBOSSlern bei Frieda, in der Riedwirtschaft, im ›Stengel‹ oder im ›Franzis‹ ein Bier zu trinken. Oder am Wochenende mit seiner Truppe ausfahren, gelegentlich auch mal zu Hause sein, um ein neues Kind zu machen. Aber da nützt das ganze Philosophieren nichts, obwohl er schon noch leben könnte, wenn wir nicht gewettet hätten.
Eigentlich hatte das Ende da angefangen, wo es gerade endete, nämlich in Friedas ›Goldenem Ochsen‹. Genauer gesagt in der Gruselkammer, wie wir MIKEBOSSler sie nannten, im Kaiserzimmer, wie es Cäci spöttelnd titulierte, im Jägerstüble, wie es Frieda liebevoll bezeichnete.
Das Nebenzimmer war von Cäcis Vater, einem passionierten Jäger geschmacklos, dennoch liebevoll eingerichtet worden. Der Jägerstammtisch war hier zu Hause, vor allem nach einem Gemetzel bliesen sie hier in volltrunkenem Zustand auf ihren Hörnern und berichteten von erlegten Fasanen in Geiergröße, von dahingestreckten Hasen in Wildschweingröße und von gemeuchelten Wildschweinen mit den Ausmaßen eines Nashorns.
Über der antiken Wurlitzer hingen hohläugige, gelbgruselnde Schädel von erlegten Säugetieren und grinsten hämisch von der dunklen Holzwand. Die meisten Entfleischten hatten Geweihe. Auf den Geweihen saßen wiederum die trefflich präparierten, gefiederten Freunde des Waldes und der Wiese: Fasane, Elstern, Eichelhäher, aber auch Raubvögel wie Bussarde und Sperber hockten mit dünnen, drahtfixierten Beinchen auf den Geweihen. Im Zentrum des morbiden Arrangements thronte jedoch der mächtige, präparierte Kopf eines Ebers, den Cäcis schmächtiger Vater zu seinen Lebzeiten vom Leben in den Tod befördert hatte. Nun waren sie beide tot. Der eine Krebs, der andere Kugel.
Hätte Cäcis Vater den Eber nicht geschossen, würde Butzi heute wahrscheinlich noch leben. Und wären wir auf die Wette, entstanden in alkoholgeschwängerter, klandestiner Atmosphäre nicht eingegangen, obwohl es keine schlechte Wette war, würde Butzi jetzt nicht kalt im Sarg liegen, sondern mit uns philosophieren.
»Wetten, dass ich mit einem Eberfell durch den Wald laufe!«
Eigentlich ist das zuerst mal nichts Aufregendes oder Außergewöhnliches, vor allem nicht für Butzi. Interessanter wird das schon, wenn man weiß, dass es nachts sein sollte und zu einem Zeitpunkt, wo Wildsauen mal wieder ganze Landstriche nächtens umgepflügt hatten und die ortsansässige Jägerschaft beschlossen hatte, die Sau zu jagen. Man muss zu unserer Ehrenrettung aber auch sagen, dass wir zum Zeitpunkt der Wette nicht mehr ganz nüchtern waren und somit der Spaß größer schien als das Risiko.
Die Wildschweindecke holten wir aus Friedas Asservatenkammer – und dann ging’s los:
In den Wald!
Zu den Jägern!
Butzi klasse!
Auf allen vieren!
Geschmeidig!
Grunzend!
Der Schuss!!
Kein Grunzen!
Fassungslosigkeit!
Vor allem bei seinem Vater. Ein guter Schütze. Ein Blattschuss.
In der »Schwäbischen« tags darauf: »Tragischer Jagdunfall. Vater erschießt als Wildschwein verkleideten Sohn.« Der »Südkurier« ganz ähnlich: »Wildschwein entpuppt sich als Sohn. Jäger war der Vater.« Die »BILD«-Zeitung: »Blattschuss – Sau ist Sohn.«
Wenn ich meinen Blick vom ›Goldenen Ochsen‹ weg ein bisschen, aber nur ein kleines bisschen nach rechts und dann Richtung Ortsmitte und dann nach oben bewegte, konnte ich den schönen Zwiebelturm der Riedhagener Kirche erkennen. Dort ist auch der Friedhof, wo wir unseren Butzi zu Grabe getragen haben.
4. Viererbande
Die vier schauten von der Bank aus auf den glitzernden See. Immer wieder kommentierten sie kunstvolle Figuren oder Stürze der Wakeboarder, die neben dem Restaurant starteten und dann über einen Parcours gezogen wurden. Vor allem an der Rampe wurde es spannend.
Schaki stand langsam auf, drehte sich, sodass sie den dreien ins Gesicht blicken konnte, den See nun im Rücken, steckte die Hände in die viel zu enge Hose, wippte breitbeinig, das Haar rotsonnenblond.
»Wir müssen eine Strategie gegen die Jungs entwickeln. Gefährlich werden können uns nur die Junge Union und die Harley-Deppen! Die Freaks haben letztes Jahr den Pokal und das Preisgeld mitgenommen. Von denen braucht bestimmt keiner die Kohle. Habt ihr gesehen, was der Bönle, der arrogante Sack, sich für eine Hütte ins Ried gestellt hat?«
Flora blickte unterwürfig zur Präsidentin der Busty Biker Brides hoch und nickte eifrig:
»Die haben Kohle ohne Ende, er hat doch von seinen Eltern wahnsinnig viel geerbt, und Cäcilias Mutter gehört doch halb Riedhagen. Ich weiß von Cäcilia, dass sie das Grundstück von ihrer Mutter geschenkt bekommen haben. Stell dir mal vor, so ein Riesengrundstück in der Lage, einfach geschenkt.«
Um ihrer Fassungslosigkeit und ihrer Unterwürfigkeit gegenüber Schaki noch mehr Ausdruck zu verleihen, zog Flora das Genick ein, schob ihre Schulterblätter zusammen, sodass sie noch schmaler erschien, und hob die Hände, drehte die Handfläche gen Himmel, als ob sie Segen empfangen wollte.
»Du arbeitest doch stundenweise bei der Bönle, kannst du aus der Psychotante herausbekommen, ob die Harley-Deppen eine Strategie für den Samstag haben?«
Flora nickte eifrig:
»Kann ich nächstes Mal versuchen, aber was meinst du mit Strategie?«
»Na