Satzfetzen. Isabel Morf
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Isabel Morf
Satzfetzen
Kriminalroman
Impressum
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2011 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 0 75 75/20 95-0
Alle Rechte vorbehalten
2. Auflage 2011
Neue epub-Auflage 2016
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von Ingrid Kaufmann
ISBN 978-3-8392-3630-7
Samstag
Als Valerie Gut einen gebräunten Toast aus dem Toaster fischte, kam ihr plötzlich in den Sinn, was sie geträumt hatte. Merkwürdig, dachte sie irritiert, bestrich das Brot mit Butter und Orangenkonfitüre und hatte den Traum gleich wieder vergessen. Erst in zwei Wochen sollte sie sich wieder daran erinnern. Sie nahm einen Schluck Kaffee, schwarz und süß. Samstagmorgen und sie hatte frei. Ein seltener Luxus für sie, denn normalerweise stand sie samstags in ihrem Fahrradgeschäft FahrGut. Aber jetzt, im November, lief wenig im Laden.
»Willst du auch noch einen?« Sie hielt Beat, der ihr gegenübersaß, einen warmen Toast hin.
Auch Beat Streiff hatte heute frei. Das war ebenfalls nicht selbstverständlich für einen Polizisten, einen Kriminalbeamten im Kommissariat Ermittlung. Wenn ein Gewaltverbrechen geschah, wenn er an einem Fall arbeitete, konnte er sich am Wochenende oft nicht einfach gemütlich zurücklehnen, sondern musste am Ball bleiben.
»Klar, gern.« Er bestreute den Toast mit Zucker und Zimt, eine Vorliebe, die er von einem Besuch in Wien mit nach Hause gebracht hatte. Valeries Hund, der graue Pudelmischling Seppli, lag unter dem Tisch und schnupperte. Er wusste, dass er bei Tisch nichts abkriegte.
»Wollen wir nachher einen Bummel über den Kanzlei-Flohmarkt machen?«, schlug Beat vor.
Valerie kicherte. »Ja, unbedingt. Solange es ihn noch gibt. Falls du keine Angst hast, Diebesgut zu entdecken und amtlich tätig werden zu müssen.«
»Vielleicht stoße ich ja auf ein günstiges Fahrrad«, gab er belustigt zurück.
Seit zwei Wochen war der Kanzlei-Flohmarkt dauernd in den Schlagzeilen der Zürcher Lokalzeitungen. Anlass dafür war ein Vorstoß der CVP-Kantonsrätin Angela Legler. Sie wollte, dass der Flohmarkt geschlossen wurde, weil es immer wieder vorkam, dass dort Diebesgut verhökert wurde. Auf den Leserbriefseiten gingen die Wogen hoch. Die einen Schreiber stimmten ihr aus tiefstem Herzen zu: Gesindel triebe sich dort herum, Randständige, ein Pack, das nicht arbeitete, sondern die fürstliche Sozialhilfe mit dem Verkauf von wertlosem Müll oder geklauten Sachen aufbesserte. Die Empörung der anderen Seite war nicht geringer: Der Flohmarkt sei ein kleiner Freiraum im kapitalistischen Getriebe, eine Notwendigkeit für Leute, die in der Wirtschaftskrise unter die Räder geraten seien, dazu ein lebendiger Multikulti-Ort. Und es werde eben gerade verhindert, dass Dinge zu Müll würden, indem sie verkauft statt weggeworfen wurden.
Valerie hatte die Diskussion amüsiert verfolgt. Im Gegensatz zur Öffentlichkeit wusste sie, dass Angela Legler höchstselbst vor vier Jahren auf dem Flohmarkt ein gestohlenes Rad erstanden hatte. Geklaut worden war es in Valeries Veloladen an der Schmiede Wiedikon. Es war für Legler, damals noch nicht Politikerin, eine sehr peinliche Geschichte gewesen.
Valerie hatte sich nicht wirklich daran erfreuen können, denn jene Zeit war überschattet gewesen von einem Mord, der in ihrem Geschäft geschehen war. Valerie dachte ungern daran zurück, an jenen langen Monat, in dem ihre Welt in Stücke zu gehen schien. Im Allgemeinen war sie ein optimistischer Mensch und meist voller Elan. Mit viel Arbeit und guten Ideen hatte sie das kleine Fahrradgeschäft ihres Vaters, das sie vor 15 Jahren übernommen hatte, zu einem Laden aufgebaut, der in der ganzen Stadt einen ausgezeichneten Ruf hatte. Als sie vor vier Jahren aus heiterem Himmel Drohbriefe erhalten hatte, als ein Kunde ermordet und ihre Schaufenster mit hässlichen Parolen verschmiert worden waren, hatte sie das tief verletzt und verunsichert. Aber jetzt war wieder alles im Lot. Seit drei Jahren arbeitete Priska Betschart bei ihr, eine junge, frische, engagierte Mechanikerin. Luís Zafar hatte seine Ausbildung abgeschlossen und war von Alban Tihic abgelöst worden. Immer noch kamen die jüdischen Kinder aus dem Quartier bei ihr vorbei, um den alten Veloanhänger auszuleihen, und sogar Adele Goldfarb, die jetzt 14 war und ins Gymnasium ging, schaute ab und zu herein. Auch sie hatte bei jenen Ereignissen eine Rolle gespielt. Nie mehr kommen würde Salome Zweifel, die alte Frau, die im selben Haus gewohnt und sich bemüht hatte, Valerie zu helfen. Sie war gestorben. Es tat Valerie nicht mehr weh, wenn es ihr in den Sinn kam. Das war nun einfach Vergangenheit.
Zur Gegenwart gehörte Beat Streiff. Er hatte damals in jenem Mordfall ermittelt, und so waren Valerie und er, die früher einmal eine kurze Affäre gehabt hatten, wieder in Kontakt gekommen. Nach der Aufklärung des Falls, an der Valerie insofern beteiligt gewesen war, als sie zuerst entscheidende Informationen aus Trotz zurückgehalten und sie dann endlich doch rausgerückt hatte, hatte Streiff sie zum Essen eingeladen, sich in Schale geworfen und ihr Blumen mitgebracht. Nachdem er sie ein paar Wochen mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit, selbstironischen Kommentaren und sparsam dosierten Anzüglichkeiten umworben hatte, hatte Valerie ihm nachgegeben. Seither waren sie ein Paar.
»Im Ernst«, fragte Beat, »wie kommt die Frau dazu, einen solch hirnrissigen Vorstoß zu machen? Du kennst sie doch. Was bezweckt sie bloß damit?«
Valerie kannte Angela Legler schon seit Jahren. Sie hatte sie als unverschämte Kundin im Laden gehabt und sie nach einer lautstarken Szene hinausgeschmissen. Seit einiger Zeit saßen sie sich regelmäßig an den Sitzungen der Arbeitsgruppe Kantonales Velowegkonzept, kurz AG KVK, gegenüber. Legler, Mitglied der Verkehrs- und Umweltkommission des Kantonsrates und selbst überzeugte Radfahrerin, hatte die AG KVK initiiert, um ein Radwegnetz für den ganzen Kanton Zürich auszuarbeiten. Neben Kantonsräten und Verwaltungsvertretern waren auch externe Experten in der Kommission. Unter anderem die Fahrradhändlerin Valerie Gut. Wie sie zu dieser Ehre gekommen war, war ihr nicht ganz klar. Ganz sicher war es nicht Leglers Vorschlag gewesen. Vermutlich hatte diese widerstrebend zugestimmt, weil ihr kein guter Vorwand eingefallen war, Valeries Mitwirkung zu verhindern, und weil sie keine schlafenden Hunde wecken wollte.
»Ich vermute, sie will sich einfach profilieren, sich in die Medien bringen«, meinte