Satzfetzen. Isabel Morf

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Satzfetzen - Isabel Morf

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Sie mich durch!«, rief sie. »Sofort. Das ist ein öffentlicher Ort. Ich habe das Recht, hier zu sein.«

      Buhrufe und höhnisches Gelächter antworteten ihr.

      »Was fällt dir ein hierherzukommen!«, schrie eine ältere, pummelige Frau mit grauen Locken, die, so glaubte sich Valerie zu erinnern, einen Stand mit gebrauchten Kleidern und Schuhen hatte. »Das ist unser Ort und du willst ihn kaputtmachen.«

      »Jetzt stehst du uns Red und Antwort!«, rief ein anderer Flohmarkthändler, ein hagerer, kahler Mann um die 40, der jeweils Geschirr und Pfannen, aber manchmal auch elektronische Geräte feilbot. »Was spielst du da für ein schmutziges Politspielchen? Wem willst du in den Arsch kriechen? Kriegst du das bezahlt?«

      Legler hatte ihre Überlegenheit noch nicht verloren. Sie straffte sich. »So diskutiere ich nicht mit Ihnen!«, rief sie. »Ich bin Politikerin. Ich bin mitverantwortlich dafür, dass Gesetze eingehalten werden. Und das hier ist ein rechtsfreier Raum. Das geht einfach nicht!«

      Wieder Buhrufe. Die Leute kamen ihr näher. Sie wich einen Schritt zurück. Aber auch hinter ihr war eine Wand von Menschen. Nun schien sie nervös zu werden, sie fuhr sich mit der Hand durch die dunklen, kurzen Haare. Ihr Gesicht, selbst im November noch gebräunt, wurde um eine Schattierung blasser.

      Valerie, die mit dem Hund am Rand stehen geblieben war und durch die Menschenmenge spähte, schüttelte für sich den Kopf. Diese Legler war ja sträflich naiv. Die begriff nicht, was hier abging. Es war ihr überhaupt nicht klar, was sie mit ihrer Forderung, den Flohmarkt zu schließen, ausgelöst hatte, sonst wäre sie nicht hergekommen. Jedenfalls nicht ohne Begleitung. Und es kam ihr offenbar auch nicht in den Sinn, dass sie in Gefahr sein könnte. Die Stimmung war explosiv. Hoffentlich hält sie endlich den Mund, dachte Valerie nervös, nicht dass irgendein Choleriker ausrastet und sie tätlich angreift.

      Sie drehte sich um und warf einen Blick auf die verlassenen Marktstände. Da bemerkte sie einen jungen Mann, der die Gelegenheit nutzte, sich ein kleines Fernsehgerät von einem Tisch griff und sich damit davonmachte. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen, dachte Valerie schulterzuckend. Dann wandte sie sich wieder dem Knäuel von aufgebrachten Leuten zu und suchte mit den Augen Beat in der Menge. Er war nicht besonders groß, aber an seinem roten Haarschopf zuverlässig zu erkennen. Sie sah, dass er sich zu Angela Legler durchgearbeitet hatte und sie am Arm fasste.

      »Stopp«, rief er, »Polizei! Sie lassen die Frau jetzt passieren.«

      Geraune erhob sich, aber es wurde ruhiger, einige Leute zogen sich zurück.

      »Bullenstaat!«, rief jemand vom Rand her. Streiff drehte nicht einmal den Kopf. Er hielt seinen Blick auf die ihm gegenüberstehenden Leute gerichtet, die jetzt langsam und widerwillig den Weg freigaben. Er fühlte, dass Legler zitterte. Offenbar war ihr die Situation jetzt bewusst geworden und sie hatte ihre Sicherheit eingebüßt. Bevor er sie hinausführen konnte, riss sie sich los und rannte davon. Huhn, dachte er ärgerlich. Die Menge johlte hinter ihr her. Dann ging es sehr schnell. Aus dem Augenwinkel nahm Streiff eine Bewegung wahr, die Bewegung eines Arms in einem farbigen Pulloverärmel, der etwas schleuderte, kaum konnte er den Stein sehen, der durch die Luft flog. Dann sah er Angela Legler stürzen und hörte ihren Schrei. Er sah sich nach der Person um, die den Stein geworfen hatte, konnte aber nicht ausmachen, wer es gewesen war. Kein bunter Pullover war zu sehen. Es wurde sehr still. Die Politikerin lag am Boden, reglos. Die Flohmarkthändler und Kunden zogen sich langsam zurück. »Scheiße«, sagte einer, »na und?« ein anderer.

      Bevor Streiff Legler erreicht hatte, kniete schon jemand bei ihr.

      »Ich bin Arzt«, sagte er, zu Streiff aufschauend.

      Streiff drehte sich zu den Umstehenden. »Wer hat den Stein geworfen?«, fragte er scharf.

      Natürlich sagte niemand etwas. Er wandte sich an die ältere Frau, die die Politikerin angeschrien hatte: »Haben Sie etwas gesehen?«

      »Nein, gar nichts.«

      »Das war eine Straftat, eine Körperverletzung. Sie sind verpflichtet, es zu sagen, wenn Sie etwas bemerkt haben.«

      Er fixierte den Mann, der den Stand mit den Elektronikgeräten hatte. Er hatte bei ihm schon einmal ein Handy gekauft. Der zuckte die Schultern, schaute weg und wandte sich seinem Stand zu. Gleich darauf hörte man ihn schimpfen: »Mir ist ein Fernsehgerät weggekommen. Verdammt, hat jemand etwas gesehen?«

      Streiff hätte beinahe gelacht. »Meinen Sie mich?«, fragte er höflich. »Leider nicht.«

      Der Mann warf ihm einen bösen Blick zu.

      Der Arzt untersuchte Angela Legler. Sie war bei Bewusstsein.

      »Ich glaube, Sie sind nicht ernsthaft verletzt«, sagte er. »Der Stein hat Sie nur gestreift. Es blutet zwar, aber das hört bald auf. Haben Sie Kopfschmerzen? Ist Ihnen übel?«

      »Nein.« Angela Legler setzte sich auf. Ignorierte heroisch das Blut, das ihr von der Schläfe die Wange hinabrann. Ihr Schrecken hatte offenbar bereits in Wut umgeschlagen. »Nun erst recht«, erklärte sie. »Dieser Hort für Kriminelle muss geschlossen werden. Und Sie«, sie wandte sich anklagend an Streiff, »wenn Sie schon Polizist sind, warum sind Sie nicht imstande, eine unbescholtene Bürgerin zu schützen? Wissen Sie, wer ich bin? Angela Legler, Kantonsrätin.«

      »Sehr erfreut«, konterte Streiff sarkastisch.

      Der Arzt warf seiner Patientin einen zweifelnden Blick zu, murmelte etwas von »doch besser einen Krankenwagen rufen und genauer untersuchen« und hängte sich ans Handy.

      »Legen Sie sich besser wieder hin«, riet er Legler mit ärztlicher Sachlichkeit, »Sie haben einen Schock erlitten.«

      »Dieser Vorfall wird am Montag im Kantonsrat diskutiert werden«, erklärte Legler drohend, als ob der Arzt schuld am Ganzen wäre.

      »Ja, ganz sicher«, meinte dieser beruhigend.

      »Ich habe Drohbriefe erhalten«, fuhr Legler fort, wieder zu Streiff gewandt. »Man will mich fertigmachen.«

      »Drohbriefe?« Beat wurde aufmerksam.

      »Ja, aber ich habe sie nicht hier.«

      »Ich werde mich mit Ihnen in Verbindung setzen«, versprach Streiff. Es hatte keinen Sinn, jetzt mit einer Befragung zu beginnen. Vielleicht fantasierte sie ja nur. Er bestellte per Handy eine Streife her, die die Leute zu dem Vorfall befragen sollte. Das war ja eigentlich nicht sein Gebiet und außerdem hatte er frei.

      Valerie hatte der Szene aus einiger Entfernung zugesehen. Lorenz. Sie erkannte ihn sofort, seine große, schlanke, fast magere Gestalt; offensichtlich hatte er keinen Bauch angesetzt wie die meisten Männer seines Alters, aber sein früher dunkelblondes Kraushaar war ziemlich grau geworden. Sie hatte ihn schon seit Jahren nicht mehr getroffen. Nach ihrer Trennung vor, sie rechnete, etwa vor acht Jahren, hatten sie sich aus den Augen verloren. Und doch waren sie sich lange Zeit nahe gewesen. Vor ein paar Jahren waren sie sich zufällig über den Weg gelaufen. Das war wenige Monate nach dem Mord im FahrGut gewesen. Valerie hatte sich noch nicht wirklich von jenen Ereignissen erholt gehabt, aber sie war frisch verliebt in Beat und sie hatte sich gefreut, Lorenz anzutreffen. Aber er war kühl gewesen und hatte ganz reserviert getan. Hatte überhaupt nicht gefragt, wie es ihr ginge, dabei musste er doch aus den Medien erfahren haben, was ihr zugestoßen war. Offenbar wollte er wirklich gar nichts mehr mit ihr zu tun haben.

      Deshalb zögerte sie jetzt.

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