Kranichtod. Thomas L. Viernau
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Abschlussveranstaltung mit dem Harfenquintett »Veneziana« und anschließendem Comedy-Slapstick-Abend mit unserem Allround-Entertainer Siggi Keule-Paschulke
V
Lankenhorst - Das Alte Gutshaus
Sonntagnacht, 22. Oktober 2006
Der alte Quappendorff schlief schlecht. Schon seit vielen Jahren hatte er diese Probleme mit dem Einschlafen. Lange Zeit konnte er durch abendliche Einnahme von Baldrian-Tropfen dem Problem eine wirksame Lösung entgegensetzen. Aber seit längerem wirkten die Tropfen nicht mehr.
Er spürte es schon vor dem Zubettgehen. Immer wenn er sich aufgeregt hatte, blieb diese Anspannung in ihm, die es unmöglich machte, einzuschlafen. Heute war wieder so ein Tag. Die abendliche Diskussionsrunde mit seinen drei Getreuen und die hohen Erwartungen, die dem morgendlichen Stiftertreffen galten, erzeugten jenes, dem alten Baron so wohlbekannte Kribbeln, das ein Einschlafen unmöglich machte.
Oftmals half da ein nächtlicher Spaziergang durch den Park. Der Baron besann sich kurz und zog dann seine alten Stiefel an, warf seinen grünen Lodenmantel über und suchte auch seinen Schlapphut, den er immer bei seinen nächtlichen Ausflügen zu tragen pflegte.
Draußen war es neblig, feucht und kühl. Tief sog er die sauerstoffreiche Luft in sich ein und ging langsam los. Er lief immer eine Runde, die ihn quer durch den Park führte. Wenn er langsam ging, brauchte er zwanzig Minuten, wenn er rüstig ausschritt, schaffte er den Rundweg auch in einer Viertelstunde. Den Weg kannte er. Selbst im tiefsten Dunkel der Nacht wusste er, wohin er seine Füße zu setzen hatte. Zuerst kam immer das Wegstück quer durch die Rhododendron-Büsche.
Jetzt im Herbst waren sie zu unscheinbaren Schatten ihrer selbst geworden. An die Hecken schloss sich eine größere Wiese an. Der Weg zog sich linkerhand an einem kleinen Wäldchen entlang, bog dann scharf rechts ab und gabelte sich nach wenigen Schritten. Der rechte Weg führte weiter hinein in das Wäldchen, entlang der alten Parkmauer bis hinter, in den noch weitgehend unberührten Teil des Parks. Der linke Weg hingegen zog sich in einem sanften Bogen zu dem kleinen Pavillon und dem gleich dahinter liegenden Teich. Dieser Teil des Parks war von Meister Zwiebel bereits wieder instand gesetzt worden. Das Unterholz war ausgedünnt, neue Sträucher und Bäumchen angepflanzt worden und der Ententeich hatte eine neue Uferbefestigung bekommen. Zwiebel hatte sogar ein kleines Holzhüttchen gezimmert. Es stand nun mitten im Teich und diente den beiden Stockenten und ein paar Blesshühnchen als Unterschlupf.
Der Baron mochte diesen Teil des Parks sehr. Direkt am Teich hatte er eine Parkbank aufgestellt. Hier saß er oft und sah den gefiederten Bewohnern des Teichs bei ihrem Tun zu.
An dieser Stelle war auch der am weitesten entfernte Punkt seines Rundwegs erreicht. Meistens verweilte er hier kurz, genoss die vollkommene Stille, die ihn umgab.
Er hatte sich gerade bequem hingesetzt als er sie sah. Am anderen Ufer des kleinen Teichs bewegte sich durch den Nebel eine weiße Gestalt. Sie schien zu schweben. Lautlos wie die Erscheinung gekommen war, verschwand sie auch wieder. Dem Baron fröstelte es. Er schüttelte kurz den Kopf.
Wahrscheinlich narrte ihn sein übermüdetes Gehirn und gaukelte ihm Spukgestalten aus seinem Unterbewusstsein vor. Er erhob sich langsam und setzte seinen nächtlichen Rundgang fort. Das Gutshaus war als tiefschwarze Silhouette zu erkennen. Der Weg führte durch eine kleine Bodenwelle zurück. Hier wartete ein alter Eiskeller, der seit Urzeiten schon verfallen war.
Mit Zwiebel hatte er das alte Gewölbe begutachtet. Zwiebel meinte zwar, dass man den Keller wieder instand setzen könne. Aber das müsse wohl ein Spezialist machen. Er selbst traue sich das nicht zu. Der Baron hatte den Eiskeller daraufhin erst einmal verschließen lassen, damit nicht jemand dort noch verschüttet werden konnte.
Der alte Mann trabte tief in Gedanken versunken durch diese kleine Senke. Plötzlich streifte ihn ein kühler Luftzug. Er blickte kurz auf und sah direkt über dem Eiskeller wieder einen hellen Fleck im Nebel. Er rieb sich kurz die Augen und sah ein zweites Mal hin. Es schien die Silhouette einer Person zu sein. Aber so richtig fassbar war sie nicht. Die Konturen verschwammen. Ob es nun am Nebel lag oder an dem spärlichen Licht, das in dieser Oktobernacht nur die Lichtungen etwas erhellte, jedenfalls konnte der Baron nicht mit Sicherheit feststellen, ob ihm seine übermüdeten Sinne einen Streich spielten oder ob da wirklich etwas war.
Er beschleunigte seinen Schritt, zählte in Gedanken seine Schrittfrequenz und sah sich nicht mehr um. Es war alles etwas zu viel gewesen am heutigen Abend. Außer Atem erreichte er endlich das Gutshaus. Vorbei der Spuk, dachte er noch beim Eintreten und ging dann still und leise die Treppe hinauf zu seinem Schlafzimmer.
Bevor er die Tür hinter sich schloss, hörte er jedoch einen merkwürdigen Klagelaut. Es war ein äußerst ungewöhnlicher Klageton, den er so noch nie vernommen hatte. Der alte Baron trat ans Fenster und spähte in die dunkle Nacht. Es war nichts zu sehen. Aber vielleicht täuschten ihn auch seine überreizten Sinne. Im Dunkel glaubte er sich bewegende Schatten zu erkennen. Er griff sich seine Jagdflinte, die er stets in einem stabilen Eckschrank seines Schlafzimmers aufbewahrte und zog sich seinen Morgenmantel über um noch einmal hinunter zu laufen. Etwas irritiert von dem Laut, der sich wie ein lang gezogenes Klagen anhörte, trat er noch einmal vor die Tür. Auf den ersten Blick war nichts zu erkennen, doch dann sah er diese dunkle Kontur direkt vor der Treppe. Plötzlich war auch Brutus, sein Berner Sennhund neben ihm und knurrte. Der Hund spürte, dass da etwas nicht stimmte und lief auf dieses dunkle Etwas zu. Schnüffelnd umkreiste er den dunklen Haufen. Beim Näherkommen erkannte der alte Quappendorff, worum es sich handelte. Vielleicht fünf oder sechs Kadaver von großen Vögeln lagen da. Die Köpfe waren abgetrennt und lagen etwas verstreut im Gras. Blut und Federn waren überall verteilt.
Ein Massaker, dachte der Baron zuerst. Beim zweiten Blick erschien ihm alles jedoch wie genau arrangiert und ausgerichtet. Eher eine rituelle Opferung oder eine Art Hinrichtung. Der alte Mann zog den Hund zurück, schaute sich noch einmal um und lief zurück ins Haus.
In der Speisekammer, gleich hinter der Küche lag immer eine große Regenplane. Die holte er jetzt und bedeckte damit die Überreste dieses blutigen Gemetzels. Dann schloss er sorgfältig die Tür, hing die kleine Kette vor und ging nachdenklich nach oben. Lange lag er diese Nacht noch wach und grübelte. Er wollte sich am Morgen mit Zwiebel noch einmal bei Tageslicht alles ansehen und dann entscheiden, wie weiter hier vorzugehen sei.
VI
Die Entertainerin
Gunhild Praskowiak wusste schon seit ihrer frühesten Kindheit, dass sie zu etwas Höherem berufen war. Aufgewachsen bei ihrer Großmutter, hatte sie stets nur diesen einen Gedanken: raus aus dem grauen Nichts und hinein ins grelle Rampenlicht. Sie liebte es, sich heimlich aus dem Kleiderschrank der Großmutter diverse Röcke und Blusen zu stibitzen und damit dann die aktuellen Schlager nach zu trällern. Als Mikrofon diente ein Schaumschläger und das dankbare Publikum waren ihre Püppchen und Teddybären.
Ihre Großmutter schüttelte über das aufgeweckte Kind den Kopf und ließ sie gewähren. In der Schule sang sie natürlich im Singeclub mit und war auch als Dampfplaudertasche bei Schulfeiern nicht mehr wegzudenken.
Später machte Gunhild, die ihren Vornamen eigentlich nicht so mochte, da ihre Umgebung stets den Namen irgendwie verniedlichte oder abkürzte, dann erst mal ganz brav eine Lehre als Verkäuferin für Lebensmittel. Auch hier war die dralle Blondine