Kranichtod. Thomas L. Viernau
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kranichtod - Thomas L. Viernau страница 4
Linthdorf blieb erstaunlich gelassen, sortierte die Fischhappen und begann wortreich seinem Begleiter zu erklären, was ihm da entging: »Mensch, guck doch mal, Welsröllchen, Aalhappen, geräucherter Zander, Spießchen mit Lachs, Saibling, Lachsforelle, und als Krönung Stör!«
Schräg gegenüber Linthdorf saß ein Mann, der den Fischliebhaber mit dem großen Teller erstaunt anblickte. Vor ihm stand ein Pappteller, der mindestens genauso gut gefüllt war, wie der Linthdorfs. »Ich kenn Sie doch! Mensch, Linthdorf, ich bin’s: Hauptmeister Boedefeldt aus Linum! Erinnernse sich noch? Na das trifft sich ja jut ... Hähä!«
Linthdorf kam der kugelrunde Mann mit Igelfrisur und dem verschmitzten Gesicht bekannt vor. Natürlich, Roderich Boedefeldt, der findige Dorfpolizist, der erheblich bei der Klärung des Mordfalles Hirschfänger mitgewirkt hatte, war für Linthdorf kein Unbekannter. Seine Orts- und Menschenkenntnis hatte eine schnelle Klärung des Falles ermöglicht.
Linthdorfs Kollegin Louise Elverdink hatte so eine direkte Spur zu dem Psychopathen Peregrinus aufnehmen können. Die Ereignisse überschlugen sich damals. Ein Kollege aus Brandenburg war bei einer nervenaufreibenden Hetzjagd zu Tode gekommen. Die ganze Jagd lief innerhalb von Sekundenbruchteilen noch einmal durch Linthdorfs Hirnwindungen. Blitzlichtartige Bilderfetzen, die beklemmende Atmosphäre am nebligen Finowkanal und die zermürbenden Ermittlungen, die vollkommen ins Leere zu laufen schienen. Drei Monate im Winter hatte sich Linthdorf mit der Suche nach dem ominösen Nixenmörder beschäftigt.
Nachdem der Fall abgeschlossen war, hatte sich der Kommissar plötzlich leer und ausgebrannt gefühlt wie lange schon nicht mehr. Seinen ganzen Jahresurlaub hatte er gebraucht um wieder in die Balance zu kommen. Der Sommer war nur als eine kurze Episode von ihm wahrgenommen worden. Noch lange geisterten die toten Nixen und der Nixenschatz durch seine nächtlichen Träume, manchmal so intensiv, dass er plötzlich wie von einer Tarantel gestochen aufwachte, schweißüberströmt im Bett saß und Schwierigkeiten hatte, wieder einschlafen zu können. Er war selbst erstaunt über sich und seine Reaktionen auf dieses Verbrechen.
Eigentlich ließ er sonst seine Gefühle außen vor, wenn er ermittelte, aber hier lagen seine Nerven blank. Vielleicht waren es die vielen Todesfälle im Zusammenhang mit der Suche nach dem Schuldigen, vielleicht war es auch das etwas schale Gefühl beim Abschluss des Falles, versagt zu haben, da die wirklich Schuldigen mit einem blauen Auge davon gekommen waren.
Zweifel nagten an ihm, ob er denn auch wirklich konsequent genug gewesen war bei der Ermittlungsarbeit. Irgendwie hatte sein Chef es geschafft, die Arbeit auf der letzten Etappe zu sabotieren. Linthorf spürte dann wieder den Zusammenhalt des Klüngels, zu dem sich sein Chef bekannte und dem man mit normaler Polizeiarbeit nicht beikommen konnte.
Im Spätsommer hatte Linthdorf beschlossen, einen Schlussstrich zu setzen und sich dem Alltag und dem Jetzt zu widmen, da er sonst Angst bekam, in einer Depression zu versacken. Mit seiner ihm eigenen eisernen Disziplin begann er also wieder systematisch am normalen Leben teilzunehmen. Er traf sich mit seinen Freunden, ging abends öfters fort und fuhr an den freien Wochenenden auch wieder übers Land. Eine zerbrechliche Ausgeglichenheit stellte sich bei ihm ein.
Innerlich spürte er zwar noch immer den Unmut und das Unwohlsein, dass seit diesem letzten Winter in ihm rumorte, nach außen hatte er jedoch wieder seine ausgeglichene und ruhige Lebensart aufgenommen, so dass in seiner Umgebung keiner etwas von der seltsamen Unruhe Linthdorfs mitbekam. Manchmal glaubte er selber, dass alles wieder in bester Ordnung war. Aber dann schüttelte er diesen Trugschluss von sich ab. Spätestens wenn er an der Tür seines Chefs vorbei musste, war dieses unangenehme Gefühl wieder voll präsent.
Und just in diesem Augenblick, beim Anblick des friedlich ihm gegenüber sitzenden Dorfpolizisten Roderich Boedefeldt, stellte sich auch dieses Gefühl in voller Macht wieder in ihm ein, drängte sich in sein Gehirn und durchflutete wie ein dunkler Schatten sein Herz.
Beim Anblick dieses Mannes fiel ihm wieder seine Kollegin Louise Elverdink ein, die er seit dem Ende der Ermittlungen nicht mehr gesehen hatte und die bei ihm so etwas wie ein kleines Tauwetter ausgelöst hatte. Er wollte sich selbst nicht eingestehen, dass Louise ihm weit mehr bedeutete als nur eine kompetente Kollegin. Andererseits hatte er auch keine große Lust, sich wieder auf unbekanntes Glatteis zu begeben. Zu oft hatte er schon böse Einbrüche erlebt. Die Zeiten der Erholung wurden von Mal zu Mal immer länger und die Herzschmerzen erreichten ein Ausmaß, welches es selbst ihm mit seiner Selbstdisziplinierung immer schwerer machte, den Alltag zu meistern. Allerdings ahnte er auch, dass die Art und Weise zu leben, die er seit der Trennung von seiner Frau führte, keine große Zukunft hatte.
Ein ständiges Unzufriedensein hatte sich in ihm eingenistet. Linthdorf konnte es nur schwer beschreiben, denn eigentlich ging es ihm ja leidlich gut. Er hatte einen festen Job, der recht aufregend war, zwei wohl geratene Kinder, einen stabilen Freundeskreis, dennoch nagte das Unwohlsein an seinem Gemüt. Meistens ließ er solche Gedanken nicht zu. Dann flüchtete er in die Arbeit, oder, falls es mal so etwas wie Freizeit gab, trieb es ihn hinaus aus der engen Stadtwohnung ins Brandenburgische. Das war der eigentliche Grund für seine guten Kenntnisse der Mark. Endlos die Wege, die er befahren hatte, endlos auch die Zeiten, die er hier in der Einsamkeit verbrachte. Er war ein Eigenbrötler geworden ohne es zu merken.
Schmerzlich wurde ihm das bewusst, als er sich nach der Trauerfeier für Alfred Stahlmann von ihr verabschiedete. Die Zusammenarbeit mit ihr hatte ihn beflügelt. Er hatte sich an ihre dunkle Stimme und den leichten Duft nach ..., ja, wonach duftete Louise überhaupt? Linthdorf hatte eine Idee, die ihm aber zu verwegen erschien. Er kramte in seiner Manteltasche nach seinem Handy, durchforstete seinen Speicher und lächelte einen kurzen Moment später. Jetzt konnte er sich auch entspannt dem Dorfpolizisten zuwenden.
»Ja, Mensch Boedefeldt, klar kenn’ wir uns!«
»Was hat Sie denn hierher verschlagen?«
»Na, die Kraniche und natürlich der Fisch.«
Linthdorf grinste und zeigte auf seinen reichlich gefüllten Pappteller. Boedefeldt lachte und verwies ebenfalls auf seinen Teller. »Wir ha’m denselben Jeschmack. Jeräucherter Stör is wat janz feines ... Hmm!«
Linthdorf nickte wissend.
»Und wie geht’s sonst so? Viel Arbeit? Was macht denn Ihre nette Kollegin aus Brandenburch?«
»Naja, der übliche Kram. Viel Büroarbeit, viele Überstunden, wenig Freizeit. Sie kennen das ja. Und meine nette Kollegin ... Ja, also, die ist wieder in Brandenburg an der Havel. Hab sie lange nicht mehr gesprochen.«
»Mein Jott, Linthdorf! Die Frau ist doch ne wahre Sahneschnitte und sie ijnorieren se! Det kann doch nich wahr sein! Wie die Ihnen hinta her jekuckt hat ..., also, Mann o Mann! Det müssten se doch jespürt ha’m.«
Linthdorf war irritiert. Was der Dorfpolizist ihm da so leicht entrüstet zwischen zwei Fischhappen erzählte, lief ihm wie ein warmer Schauer den Rücken hinunter. Krespel und seine beiden Jungs beschäftigten sich glücklicherweise mit irgendwelchen bunten Heftchen und waren damit abgelenkt.
Verlegen lächelte er Boedefeldt an.
»Na ja, so richtig Zeit hatte ich bisher nicht.«
»Ach, kommen se, Linthdorf, Sie sind doch kein Kostverächter, nee, so sehnse wirklich nicht aus!«
»Ja, vielleicht sollte ich ...«
»Na klaar, sollten se ..., so lange ist die Frau nicht mehr frei auf’m Markt. Det können se mia glauben!«
Eigentlich war Linthdorf das Thema inzwischen zu privat geworden,