Krähwinkeltod. Thomas L. Viernau
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Ein Blick nach hinten genügte, da war sie wieder, die dunkle Gestalt, die einfach nicht verschwinden wollte.
Vorn wurden ein paar Häuser sichtbar.
War hier etwa schon das Dorf?
Mitten in der größten Einöde gab es wirklich ein Dorf. Nicht groß, eher bescheiden, nur eine Handvoll Häuser, keine Kirche, nichts Bemerkenswertes. Wenn, ja, wenn man es bis dorthin schaffen würde, dann könnte man sich wirklich verstecken.
Mit der letzten Energie rannte die Person im dunklen Kapuzenshirt los. Doch es war zu spät. Hinter sich spürte sie schon den heftig keuchenden Atem des Verfolgers. Nur noch wenige Meter waren es jetzt. Eine Frage von Sekunden. Durch das Gehirn jagten alle möglichen Optionen. Keine war wirklich gut. Es blieb nur noch die allerletzte Option. Das Messer.
In der Tasche des Kapuzenshirts war es verborgen, zusammengeklappt. Ein Handgriff genügte um es herauszuholen und aufzuklappen. Oft schon hatte die dunkle Gestalt im Kapuzenshirt damit geübt.
Beim Herumdrehen bemerkte die Person, dass der Verfolger ebenfalls auf die Idee gekommen war, ein Messer zu zücken.
Dann ging alles sehr schnell. Ein durchdringender Schrei entrang sich der Kehle des Getroffenen. Das Messer lag auf der Straße, zu weit weg, um Widerstand leisten zu können. Blut spritzte im hohen Bogen aus der aufgeschlitzten Schlagader. Der Mund füllte sich mit Blut, heftig atmend blickte die Person in den klaren Sternenhimmel, spürte das immer schwächer werdende Pochen des Herzens und den nahen Tod.
Er kündigte sich an durch ein kälter werdendes Gefühl in den Füßen, dann in den Beinen und Armen, schließlich im ganzen Körper. Das Leben floss stoßweise aus dem Körper heraus. Das letzte, was die verblutende Person am Straßenrand sah, war der dunkle Schatten der anderen Person, die sich jetzt über sie beugte und sie stumm anstarrte.
Nur hundert Meter weiter war das erste Haus der kleinen Siedlung zu sehen. Der Schrei war laut und durchdringend, aber in den Häusern blieb es dunkel. Niemand hatte etwas gehört.
Aufgeschreckt von dem Schrei flatterten ein paar Krähen verstört davon. Sie hatten wohl ihr Nachtlager direkt in dem kleinen Apfelbaum am Straßenrand. Niemand kümmerte sich um ihr ärgerliches Gekrächze.
Das Dorf
Weit draußen in der Ostprignitz spärlich besiedeltes Land,
Dörfchen, verstreut wie Inseln im endlosen Feldermeer,
fast vergess‘ne Leuchtfeuer der Zivilisation,
einsame Höfe recken sich empor.
Sind sie noch bewohnt? Und wenn ja, von wem?
Wer hält es hier draußen aus?
Bei einem Pott Kaffee und einem Stück Streuselkuchen sitzend,
beobachte ich Hühner und Enten beim Suchen nach Futter,
mümmelnde Karnickel zupfen Kräuter im Garten,
ein Radio leise dudelt, Zeit vergeht wie im Fluge,
lässt keine Gedanken an Einsamkeit aufkommen.
I
Das Dorf, Haus Nr. 12
Mittwochnacht, 26. September 2007
Der Übergang zwischen dem Ruppiner Land und der Prignitz wird als Ostprignitz bezeichnet. Nicht ganz so dünn besiedelt wie der westliche Teil der Prignitz, aber immer noch an die Grafschaft Ruppin erinnernd. Die Dörfer sind gepflegt und die Entfernungen zwischen ihnen erträglich. Hier tobte im Dreißigjährigen Krieg eine der größten Schlachten. Danach war die Gegend entvölkert.
Ein Hauch von Prignitz zieht seitdem durchs Land. Alles ist flach und starker Wind pfeift ausreichend. Windräder ragen in jeder Richtung in den Himmel. Die Ostprignitz gibt sich unspektakulär und bescheiden.
Die Septembernacht war schon kalt. Der Herbst kündigte sich mit kühlen, klaren Nächten an. Ideale Nächte zum Sternegucken.
So nannte er seine heimliche Leidenschaft, die ihn, den Schlaflosen, nächtelang auf dem ausgebauten Dachboden in den Himmel starren ließ. Er hatte zwei Fernrohre aufgebaut, beides teure Präzisionsgeräte, die es ihm ermöglichten, weit in die Tiefe des Weltalls zu blicken, Planeten zu beobachten, Mondlandschaften zu studieren und den Lauf der Sterne zu bewundern.
Die ganze Woche war es schon so kalt und klar des Nachts. Vor sich hatte er diverse Astrokalender aufgeschlagen, in denen die Positionen der Planeten genau beschrieben waren.
Er suchte den Saturn, der sollte gerade jetzt im späten September gut zu beobachten sein. Ein paar Mal hatte er ihn schon ins Visier genommen. Das Fernrohr gestattete ihm eine Auflösung, die sogar das Ringsystem um den Planeten sichtbar machte.
Ein gelblich schimmerndes Scheibchen mit einem hellen Kreis, der sich schräg darumlegte. Schon seltsam, was sich die Natur für Objekte einfallen ließ.
Aus der Nähe könnte man sehen, dass es keine Ringe waren, sondern kleine Eispartikel, die von der Gravitation des Gasriesen auf diese sonderbare, ringförmige Bahn gezwungen wurden. Astronomen nahmen an, dass es wohl ein ehemaliger Mond gewesen war, der dem Planeten zu nahekam und von dessen Gravitation zerrissen wurde. Saturns Monde waren größtenteils Eiswelten. Gefrorenes Methan. Bizarre Welten mit Eisvulkanen und Nebelwolken aus Ammoniak. Überhaupt, da draußen in den Weiten des Weltalls schien alles nur noch aus gefrorenen Gasen zu bestehen. Ungemütliche Orte.
Fröstelnd zog er sich für einen Moment von seinem Beobachterposten zurück. Er schaute auf seine Uhr. Es war kurz nach drei Uhr nachts. Aus seiner Thermoskanne goss er sich einen Kaffee in seinen Becher. Die Müdigkeit kam um diese Uhrzeit mit aller Macht und setzte ihm zu. Ab um Vier ging es dann wieder. Aber genau diese Stunde zwischen Drei und Vier war immer sein Totpunkt. Nur viel starker und heißer Kaffee half darüber hinweg. Stille herrschte. Kein Geräusch drang durch die sternenklare Nacht. Der Sternengucker schlürfte seinen Kaffee und vertiefte sich wieder in die vor ihm ausgebreiteten Astrokalender.
Man könnte ja auch noch einmal auf die Suche nach dem mit dem bloßen Auge kaum sichtbaren Uranus gehen. Selbst durch sein starkes Präzisionsteleskop war dieser türkisfarbene Eisriese nur als schwacher Lichtpunkt zu sehen.
Gerade wollte er sein Fernrohr auf die Koordinaten des weit entfernten Planeten ausrichten als er zusammenzuckte. Ein Schrei durchbrach die nächtliche Stille. Markerschütternd und nicht enden wollend. Er bekam unwillkürlich