Der Brockopath. Marie Kastner

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Der Brockopath - Marie Kastner

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das waren auch so ziemlich die einzigen Modernisierungsmaßnahmen, die seine Großmutter mit ihrer schmalen Witwenrente in Angriff nehmen hatte können. In diesem bescheidenen Haus war Oma Frieda 1929 geboren worden und hier war sie im vergangenen Februar im Alter von siebenundachtzig Lebensjahren plötzlich und unerwartet verstorben, mehr als zwanzig Jahre nach seinem Großvater.

      Ihn gruselte immer noch ein wenig bei der Vorstellung, dass ihre Leiche nach einem Hirnschlag drei Wochen lang auf dem Küchenfußboden gelegen hatte, bis der Briefträger wegen des gekippten Küchenfensters auf den süßlichen Verwesungsgeruch aufmerksam geworden war und die Behörden alarmiert hatte.

      Auch wenn er als Kripobeamter durchaus an ekelhafte Anblicke gewöhnt war – die eigene Oma hätte er doch nicht madenübersät vorfinden wollen. Er behielt sie lieber so in Erinnerung, wie er sie als Junge gekannt hatte. Eine dickliche, stets fröhliche, aber resolute Frau war sie gewesen, die ihm gelegentlich auch schon mal den Hintern versohlte. Vermutlich hatte er, der ungezogene Lausbub, es wirklich gebraucht, dass man ihm ab und zu den Hosenboden stramm zog … na, jedenfalls hätte er ihr ein solches Ende nie und nimmer gewünscht. Wenigstens war es schnell zu Ende gegangen, sie hatte nicht leiden müssen.

      Mader schüttelte das ekelerregende Bild ab, das sich vor seinem geistigen Auge zusammengefügt hatte, setzte sich widerwillig im Bett auf, streckte sich vorsichtig und gähnte. Sein steifer Nacken hatte sich über Nacht trotz des großzügig aufgetragenen Franzbranntweins, den er in Omas Spiegelschränkchen gefunden hatte, kein bisschen gebessert. Schon bei der kleinsten Bewegung fuhren ihm Schmerzblitze die Halswirbelsäule hinunter. Es fühlte sich fast so an, als sei ein glühend heißes Kabel zwischen Hinterkopf und Rückenmuskulatur eingebaut, welches bei jedweder Bewegung am Knochen scheuerte und Schmerzreflexe auslöste.

      Verdammte undichte Fenster, sicherlich habe ich mir in der Nacht einen Zug geholt! Ich muss so bald wie möglich in den Baumarkt nach Wernigerode fahren, Material zum Abdichten holen. Das Dach müsste ebenfalls isoliert werden, auf alle Fälle noch vor dem nächsten Winter, sinnierte der dreiundvierzigjährige Kriminalbeamte seufzend, während er seinen schlafwarmen Kater vorsichtig von seinem Lieblingsplatz zwischen den Knien hob und ihn anderswo auf der Daunendecke platzierte.

      Stubentiger Felix öffnete eines seiner grasgrünen Augen, rollte sich dann wieder zusammen und gab einen zufriedenen Seufzer von sich. Anschließend befand er sich wieder im Katzentraumland. Ja, manchmal war Mader neidisch auf das silbergrau getigerte Fellbündel, das ihm erst vor vier Wochen zugelaufen und zu seinem verlässlichsten Freund geworden war.

      Im Badezimmer beschränkte er die Morgentoilette darauf, sich einen Schwall kaltes Wasser ins müde Gesicht zu werfen, sich die Zähne zu putzen und kurz durch die Haare zu fahren.

      Ich kenne dich Wrack zwar nicht, wasche dich aber trotzdem, dachte er schwarzhumorig beim Blick in den Spiegel. Ein attraktiver, aber mitgenommen aussehender Mann in den besten Jahren starrte ihm entgegen. Kantiges Kinn, leuchtend blaue Augen, braunes, stoppelkurz geschnittenes Haar und Dreitagebart … die Damen standen auf ihn. Dennoch hatte Sabine ihn wegen eines Anderen verlassen. Der Schichtdienst … viele Polizistenehen endeten bekanntlich auf ähnliche Weise. Er würde sich künftig nie wieder festbinden, aus die Maus.

      Er schlurfte in die Küche, fütterte die neu angeschaffte Kaffeemaschine mit einem Pad und kramte in einer der gelblich lackierten Schubladen unter der Arbeitsplatte der altmodischen Küchenzeile nach dem Fahrplan der HSB. Seit gestern galt der Sommerfahrplan und die Züge der Schmalspurbahn fuhren das Brockenplateau wieder häufiger an. Er würde sich sehr beeilen müssen, um rechtzeitig zur Abfahrt um zehn Uhr fünfundzwanzig am Bahnhof Wernigerode einzutreffen, stellte er erschrocken fest. Der Zug sollte laut Fahrplan, wie anno dazumal, mit einer Dampflok bespannt sein.

      Wenn seine Dresdner Kollegen wüssten, wie schwierig es hier sein konnte, überhaupt bis zu einem Tatort zu gelangen … nun, sie hatten ihn ja eindringlich davor gewarnt, sich in die tiefste Provinz versetzen zu lassen. Jetzt hatte er den sprichwörtlichen Salat, konnte nicht mehr kneifen.

      Natürlich hatte er die Kollegin von der Leitstelle gefragt, ob man nicht einfach mit dem Auto auf den Brocken fahren könne. Sie hatte verneint und angemerkt, dass man hierzu eine Sondergenehmigung der Naturschutzbehörde benötigen würde und die schlecht befestigten Wege um diese Jahreszeit ohnehin nur mit Schwierigkeiten befahrbar wären.

      Die andere Möglichkeit, eine Zugfahrt zu vermeiden, sei der Kremser, hatte Celia amüsiert gesagt. Man könne sich mit einem Pferdefuhrwerk in ›nur‹ zwei Stunden hinauf zum Gipfel chauffieren lassen.

      Na toll, er hatte sich zum Gespött einer Zwanzigjährigen gemacht.

      Hektisch schlüpfte Bernd A. Mader, wie auf seinem Klingelschild zu lesen stand, in verwaschene Jeans, einen groben flaschengrünen Strickpullover und seine heißgeliebten Doc Martens-Boots, angelte die gefütterte Rindslederjacke vom Kleiderrechen und nahm einen großen Schluck Kaffee aus der geblümten Jumbotasse. Die Eile brachte ihm eine verbrannte Unterlippe sowie eine schmerzende Zunge ein.

      Ei, verbibbsch … der Tag fängt ja gut an!, dachte er auf Sächsisch. Fluchend schnappte er sich den Autoschlüssel, zog die Haustür nur hinter sich zu, anstatt noch abzusperren. So abweisend, wie das Haus im Moment von außen aussah, würde sich ohnehin kein Einbrecher freiwillig damit abgeben.

      Mit quietschenden Reifen fuhr der pflaumenblaue Opel Corsa vom Hof. In Dresden war das alte, aber liebenswerte Fahrzeug als Zweitwagen und Winterauto genutzt worden. Die Familienkutsche, einen neuwertigen BMW X 5, hatte seine Frau Sabine behalten – so wie fast alles andere auch, inklusive der gemeinsamen Kinder.

      Am Bahnsteig traf Mader auf zwei Beamte von der Spurensicherung, den glatzköpfigen Gerichtsmediziner Rainer Müller und eine Horde Ausflügler, die auf bequeme Weise den Gipfel stürmen wollten.

      Klar, die werten Kollegen konnten ja auch nicht anders da hinauf gelangen … meine Güte, dann ist der Tatort vielleicht noch gar nicht abgesperrt. Hoffentlich haben die vier Typen vom Bauhof mitgedacht und lassen keine sensationsgierigen Touris in die unmittelbare Nähe der Leiche, dachte der Kommissar erschrocken.

      Der groben Beschreibung nach, die ein Herr Wolters abgeliefert hatte, war der grausige Anblick nichts für schwache Nerven. Zudem bestand die große Gefahr, dass an der Ablagestelle des Leichnams wertvolle Spuren achtlos zertrampelt wurden. Dieser Gedanke machte ihn nervös. Er durfte gar nicht darüber nachdenken, wie lange der Bummelzug brauchen würde, um sich bis hinauf zum Brockenbahnhof zu mühen. Bis dahin war der Täter wahrscheinlich längst über alle Berge und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Zeit arbeitete in diesem Mordfall von Anfang an gegen ihn.

      Die Kollegen schienen all das lockerer zu nehmen. Sie scherzten ausgelassen miteinander, so als würden sie zu einem heiteren Regenausflug ins Grüne aufbrechen. Seine Wenigkeit hatten sie zwar alle mit Handschlag begrüßt – vermutlich, weil das Dienstrang und Höflichkeit geboten –, doch jetzt stand er wieder ein Stückchen abseits, wurde nicht mehr behelligt. Bislang hatten die eingeborenen Provinzler weder mit ihm noch er mit ihnen richtig warm werden können. Er wusste nicht einmal zu sagen, ob er das bedauerte.

      Endlich. Der Zug dampfte mit fünf Minuten Verspätung gemächlich auf dem Schmalspurgleis heran und es roch penetrant nach Öl und anderen Schmiermitteln. Drei historische dunkelgrüne Personenwaggons zog die kleine Lokomotive hinter sich her. Quietschend bremsten die Räder. Metall schleifte auf Metall und die Lokomotive stieß laut zischend eine riesige Dampfwolke aus. Aus einem Lautsprecher über dem Bahnsteig verkündete eine blechern schnarrende Stimme, dass der Zug 8925 abfahrbereit an Gleis drei stehe. Die Fahrgäste mögen bitte sofort einsteigen und an der Bahnsteigkante Vorsicht walten lassen.

      Am Bahnhof Wernigerode schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Keine hochmodernen, aerodynamischen

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