Herbstblatt. Isolde Kakoschky

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Herbstblatt - Isolde Kakoschky

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      Cosima ahnte, dass es kein gutes Wiedersehen werden würde. Auf ihr vorsichtiges »Guten Morgen!« kam keine Antwort. Stattdessen knallte ihr Robert Weihtmann einen Stapel Akten auf den Schreibtisch.

      »Wenn Sie gesagt hätten, dass es so lange dauert, hätte ich eine Vertretung aus der Verwaltung geholt!«

      Ihre Erwiderung »… ich wusste doch auch nicht

      …« hörte er schon nicht mehr, er hatte das Büro bereits verlassen.

      Schweigend machte sie sich daran, die liegen gebliebene Arbeit zu erledigen. Und ein großer Druck lag auf ihr.

      Am nächsten Morgen kam sie früher und wischte das seit zwei Wochen nicht mehr gesäuberte Büro. Zwischen ihr und dem Chef fielen nur die nötigsten Worte und Cosima wurde fast schon wieder krank, vor seelischer Qual. Sie wollte mit ihm zusammen arbeiten und das möglichst gut. Er musste sie ja nicht mögen, aber wenigstens respektieren.

      Noch ein Tag verging schweigend, dann kam er ins Büro:

      »Gibt es hier noch mal Kaffee oder muss ich in die Kneipe gehen?«

      Cosima flog fast zum Wasserhahn. Sie hätte tanzen können vor Freude, er sprach wieder mit ihr! Als der Kaffee durch die Maschine lief, ging sie zur Toilette. Sie musste nicht, nein, sie setzte sich auf den Toilettendeckel und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie war so erleichtert. Irgendwie hatte sie sich schuldig gefühlt. Nun war wieder alles gut.

      Sie wünschte sich so sehr sein Vertrauen. Und manchmal schenkte er es ihr auf seine ganz eigenwillige Weise. An einem Tag wollte er zu einem Geschäftspartner in die Kreisstadt fahren.

      »Nehmen Sie Ihre Sachen und kommen Sie mit!« forderte er Cosima auf. Sie saß neben ihm im Auto und konnte sich nicht vorstellen, wofür er sie brauchte.

      In der Kreisstadt traf er den Geschäftsfreund und ging zu dessen Auto.

      Zu Cosima gewandt sagte er: »So, ich begleite den Herrn und Sie fahren jetzt mit meinem Wagen zurück in die Firma.«

      In diesem Moment brach ihr der kalte Schweiß aus. Sie fuhr schon gerne Auto, war aber noch nicht so wirklich sicher mit den neuen Fahrzeugen. Im letzten Augenblick fiel ihr noch ein, zu fragen, wo denn der Rückwärtsgang wäre, dann war sie mit dem neuen Auto vom Chef und ihrer Angst alleine. Sie fuhr übervorsichtig, bremste trotzdem viel zu stark und erschrak heftig, als das ABS einsetzte. So lang war ihr diese Strecke noch nie vorgekommen. Endlich erreichte sie den Firmenhof und stellte das Auto wohlbehalten ab. Sie wagte nicht, daran zu denken, was gewesen wäre, wenn sie es nicht geschafft hätte.

      Weil es in ihrer Firma auch einen kleinen Landhandel gab, musste Cosima an manchen Tagen sehr zeitig morgens zum Großmarkt fahren. Das bedeutete für ihre beiden Söhne, dass sie dann alleine aufstehen mussten. Tim und Tom waren inzwischen knapp 12 und 9 Jahre und eigentlich sehr selbständig. Eines Tages, als Cosima von einer solchen Fahrt zurück kam, traf sie fast der Schlag, was der Chef ihr berichtete.

      Die beiden hatten verschlafen. Das bedeutete für Tim, dass der Schulbus zum Gymnasium weg war. Er hoffte, in der Firma Mutti oder Vati doch anzutreffen, damit ihn einer in die Schule bringen konnte. Tom hätte zwar gut zu Fuß in die Grundschule gehen können, wie jeden Tag, doch er tat im Zweifel immer das, was sein großer Bruder auch tat und trottete hinterher. Dort las sie Robert Weihtmann auf.

      »Das waren vielleicht zwei Häufchen Unglück!« grinste er Cosima an. Fassungslos hörte sie weiter zu.

      Jedenfalls packte Robert die beiden Jungs ins Auto und fuhr erst den Kleinen in die Grundschule und dann den Großen zum Gymnasium. Da kamen sie nun zwar eine Stunde zu spät, aber wohlbehalten an.

      Cosima war sprachlos. »Vielen Dank!« brachte sie mit einem Kloß im Hals heraus. Und ihr Herz tat einen kleinen Sprung.

      Zu Hause fand sie am Nachmittag zwei schuldbewusste Jungs vor.

      »Na sagt mal, was war das denn heute früh?« nahm sie sich die beiden vor. Sie lächelte, denn böse konnte sie ihnen doch nicht sein.

      Und da platzte der Kleine raus: »Na toll war das! Dein Chef ist aber nett! Der hat uns mit dem Jeep in die Schule gefahren!« Dass der »Jeep« ein betagter Lada‐Niva war, interessierte nicht, die Jungs waren begeistert.

      Und Cosima dachte: Ja, er kann schon manchmal sehr nett sein, manchmal …

      Doch viel zu oft war der Arbeitshimmel getrübt. Robert konnte wegen Kleinigkeiten an die Decke gehen und schrie sie dann an, dass sie oft genug danach heulend in einer Ecke saß und sich fragte, bin ich jetzt eigentlich Weibchen oder Männchen? Und noch schlimmer erging es ihren Kollegen.

      Wenn da etwas schief ging, musste sie das Büro verlassen, wenn der betreffende Fahrer rein kam. Doch die Lautstärke wurde nur unwesentlich durch die Tür gedämpft und Cosima verkroch sich dann am liebsten ganz weit weg.

      «Sind doch alles Dilettanten!« tobte er danach noch rum und Cosima fühlte sich von diesen Worten fast persönlich getroffen.

      Die Angst vor ihrem Chef war allgegenwärtig. Nachts wachte sie aus Albträumen auf, die auch nach dem Erwachen noch völlig realistisch waren. Sie lief weg. Sie lief und lief und lief, sie wollte weg. Doch ihr Verfolger kam immer näher. Sie schrie vor Angst und erwachte mit klopfendem Herzen. Und immer war der Verfolger ihr Chef.

      So gut auch die Zusammenarbeit meistens mit ihm war, so groß war doch der Druck, unter dem sich Cosima befand. Der Wunsch, ihm alles recht zu machen, lag wie ein schweres Gewicht auf ihr.

      Mit der Getreideernte kam neue Arbeit auf Cosima zu. In den Lagerhallen, in denen bis vor kurzem noch Kartoffeln gelagert wurden, die hunderte Frauen sortierten und schälten, wurde nun Getreide angenommen, zwischenzeitlich gelagert und wieder verladen. Geschäftsfreunde von Robert Weihtmann hatten zwei neue große 40‐Tonnen‐Kipper angeschafft, die nun regelmäßig in der Firma Getreide abholten. Cosima war schon immer ein LKW‐Fan gewesen. Dadurch hatte sie sogar ihren Mann kennen gelernt. Und deshalb war sie auch so gerne mit ihren Kollegen zusammen. Und nun gab es nicht Besseres, als mit den fremden Fahrern zu sprechen und die großen Sattelzüge zu bewundern. Sie mochte die LKW‐Fahrer und war sehr rasch wieder beim kameradschaftlichen »Du« angekommen. Doch sie merkte schnell, dass das ihrem Chef ein Dorn im Auge war. Wenn er sie bei vertrauten Gesprächen erwischte, folgte die Strafe auf dem Fuß. Entweder verbot er ihr, das Büro zu verlassen oder er redete kaum noch mit ihr. Beides traf sie hart und er wusste es nur zu genau.

      Wenn aber gute Stimmung war, dann bezog er sie in seine Gedanken und Entscheidungen ein. So wusste sie bald, dass es auch in ihrer Firma demnächst einen neuen Sattelzug geben würde. Die alten 10‐Tonnen‐LKW aus DDR‐Beständen wollte er nach und nach aus dem Verkehr ziehen. Und noch etwas wusste sie bald, dass er ihren Mann Reiner als einen Fahrer für den Sattelzug vorgesehen hatte. Da in absehbarer Zeit die beiden Firmen fusionieren würden, war das möglich geworden, ohne dass Reiner vorher die Firma wechselte. Reiner verstand sich eigentlich recht gut mit Robert Weihtmann und Cosima versuchte, ihn nicht zu beeinflussen, indem sie ihre Probleme für sich behielt. Nur, immer gelang das nicht.

      An dem Tag, als der neue LKW geliefert wurde, fand sich alles was Beine hat, auf dem Hof ein. Zu gerne wäre auch Cosima dabei gewesen. Sie wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte. Sie

      fragte sich, wofür er sie bestrafte. Sie hoffte, er würde sie noch raus gehen lassen. Doch sie musste im Büro bleiben, dort,

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