Menschen und andere Tiere. Mara-Daria Cojocaru

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Menschen und andere Tiere - Mara-Daria Cojocaru

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(Theorie-)Wende“ in der Tierethik genannt worden ist, mache einen Vorschlag zu einer Art Mehrebenen-Tierpolitik und suche Inspiration in wissenschaftlichen wie technologischen Neuerungen, um echte Dilemmata zu umgehen.

      Mit der Berücksichtigung von Politik und der Begeisterung für neue Wege der Forschung hoffe ich der Tradition des philosophischen Pragmatismus zu entsprechen, der ich mich intellektuell am nächsten fühle – dazu sage ich mehr in den Hinweisen zur Methode ab S. 30. „Pragmatisch“ ist mein Ansatz aber auch, weil ich der Meinung bin, dass wir zumindest in mancherlei Hinsicht mit dem Geschäft des moralischen Forschens am Ende sind, und zwar immer dort, wo wir eine gute andere Wahl haben, als Tiere zu schädigen und für menschliche Zwecke zu missbrauchen. Dass Tierversuche und Nutztierhaltung wirklich problematisch sind, ist gerade keine Minderheitenmeinung. Hier stehen wir nicht mehr vor dem Problem moralischer Erkenntnis, sondern vor dem ihrer – auch politischen – Umsetzung. Doch mit der Umsetzung des Minimalkonsenses sind wir noch nicht fein raus und sollten den Zweifel daran lebendig halten, ob wir anderen Tieren in den vielen Beziehungen und Verhältnissen, in denen wir mit ihnen stehen können, ganz einfach gerecht werden können. Pragmatisch zu denken bedeutet aber auch, optimistisch zu sein und echte Probleme gemeinsam zu durchdenken. Dazu möchte ich Sie ebenfalls einladen. Zunächst aber zu meinen Erfahrungen, die mich motiviert haben, nach Alternativen zu suchen, in der Hoffnung, dass Sie sich mit auf den Weg machen.

      1.1Als ich dachte, ich könnte mich als „Ethikerin“ richtig nützlich machen: Ein Versuch über Tierversuche

      Es ist Sommer 2014: Die Sonne scheint in mein Büro, als ich einen dicken, an den Knickstellen zerschlissenen DIN-A4-Umschlag mit der oberbayerischen Landesregierung als Absenderin von meinem Schreibtisch nehme und in meinen Rucksack schiebe. Der Umschlag enthält die Unterlagen für meine erste Sitzung als Mitglied in den Kommissionen, welche die zuständigen Behörden bei der Beurteilung von Tierversuchsvorhaben nach § 15 des deutschen Tierschutzgesetzes (TierSchG) unterstützen. In Deutschland müssen alle, die für Tierversuche töten müssen, folgende Kenntnisse vorweisen: „Ethik in Bezug auf die Beziehung zwischen Mensch und Tier, intrinsischer Wert des Lebens“8. Alle, die Tierversuche planen und durchführen, müssen darüber hinaus „Argumente für und gegen die Verwendung von Tieren zu wissenschaftlichen Zwecken“9 kennen. Ich bin gespannt auf die Gespräche mit diesen Menschen.

      Vor ein paar Wochen bin ich vereidigt worden; mir wurde ein Verschwiegenheitsgelübde abgenommen und auch erklärt, dass diese Kommissionen keine „Tierethikkommissionen“ seien. In der Tierschutz-Versuchstierverordnung werden sie tatsächlich nur „Tierversuchskommissionen“ genannt (TierSch-VersV § 42). Das mag erklären, warum ich in der Liste der Mitglieder aller Kommissionen nur einen einzigen Namen eines philosophischen Kollegen gefunden habe. Und das war die erste Erschütterung des Gefühls, dass ich in einem Kontext, in dem es für Tiere wirklich um etwas geht – nämlich mindestens um Leben, Schmerzen oder Ängste –, aus tierethischer Perspektive etwas bewirken könnte.

      Dieses Gefühl hatte ich aber, als ich von der Hochschulleitung der Landesregierung für diese Aufgabe vorgeschlagen worden bin. Immerhin arbeite ich in der Tradition des philosophischen Pragmatismus, die als wissenschaftsfreundlich und praxiszugewandt gelten kann. Also muss man sich auch in eine so Praxis hineindenken und prüfen, ob die ethischen Argumente dort etwas bewirken können. Was das Hineindenken betrifft, so habe ich zu Beginn eifrig bei der Behörde nachgefragt, was ich denn wissen oder lesen müsste, um gut vorbereitet zu sein. Die knappe Antwort hat mich überrascht: Ich „könne“ mir das TierSchG und die TierSchVersV durchlesen. Bis zum heutigen Tag ist übrigens nicht verbindlich geklärt, welche Voraussetzungen genau man für die Kommissionsarbeit mitbringen muss.10 Das hatte mir die Behörde damals aber nicht so gesagt.

      Der dicke Brief mit den naturwissenschaftlichen Anträgen passt nicht ganz in meinen Rucksack. Ich schnaufe und lasse die Arme fallen. Ich habe das Wochenende durchgearbeitet und unter anderem einiges über Lebertumore erfahren, über Vorstellungen dazu, wie man Angstlernen in Mäusen modellieren könnte, über bildgebende Verfahren und verschiedenste Tötungsmethoden. Mir ist manchmal schwindelig, manchmal kalt und manchmal schlecht geworden, wenn ich versucht habe zu verstehen, warum man manche Tiere vergasen und anderen das Genick brechen muss, wenn ich versucht habe, mir die Abbruchkriterien richtig vorzustellen, das struppige Fell oder wie der Tumor andere Organe zu quetschen beginnt, wenn ich versucht habe, das Video zum erzwungenen Schwimmtest zu ertragen oder auch überhaupt nur die Tiere hinter ihren Modellnamen und ihr Leid hinter den klinischen Begriffen zu erkennen. Viele Fragezeichen haben sich ergeben, aber in die Anträge etwas hineinzuschreiben habe ich mich nicht getraut. An ethischer Information oder an Informationen, die auch nur irgendwie in die Richtung ethischer Argumentation gingen, war gar nichts enthalten. Da stand immer nur sinngemäß: Weil das Versuchsziel wichtig ist und es keine Alternativen gibt, ist der Tierversuch ethisch gerechtfertigt.11 Ich muss den dicken Brief biegen, um ihn in meinen Rucksack zu kriegen, habe aber darauf geachtet, dass alle Anträge wieder in ihren Plastikhüllen stecken und in der richtigen Reihenfolge sortiert sind. Passt – fast: Da war noch etwas. Wie verstehen die hier eigentlich „Ethik“? Mir schwirrt der Kopf, und ich beschließe, in der ersten Sitzung nur zu beobachten. Ich muss los.

      Die Sitzung findet in den Regierungsräumen in der Maximilianstraße in München statt. Ich bin die Jüngste; man begrüßt sich per Handschlag. Es gibt Wasser, Saft und Kaffee, so viel man will, „ad libitum“ würde das in einem Antrag heißen, aber bei Menschen sagt man das natürlich nicht so. Man ist professionell. Man guckt mich interessiert an. Ich sage nicht viel.

      Der Vorsitzende stellt den ersten Antrag vor. Das geht sehr schnell. Ich staune. Fragliche Punkte werden suggestiv in den Raum gesprochen, als seien sie schon geklärt. Ich höre kurz Zweifel. Lachen. Überhaupt wird doch viel gelacht. Ich staune weiter, versuche diesen Balanceakt des Gemüts einigermaßen hinzukriegen: zwischen Anspannung im Angesicht des prospektiven Todes Tausender belasteter Tiere und gelöster Kollegialität. Schon sind wir bei der Abstimmung. Trotz einiger Diskussionen sind alle für den Antrag. Aus mir platzt Opposition heraus oder vielleicht einfach nur so etwas wie der Wunsch innezuhalten. Einen Moment. Dann sage ich etwas, das mich als eine Bewegte identifiziert. Man nickt verständnisvoll. Ich versuche etwas aus genuin ethischer Perspektive zu sagen. Jemand anderes wird seinerseits bewegt und verteidigt sich, dass er immerhin auch „eine Moral“ habe. Das war mir klar, sage ich, aber man könne das ja vielleicht etwas systematisieren. Ich habe den Eindruck, darüber haben wir hier noch gar nicht gesprochen. Wir können aber auch gar nicht darüber sprechen, denn es fehlt das ethische Vokabular. Ich bezweifle daher einfach die Vorstellung, dass eine im Labor induzierte Angst einer Maus dabei helfen kann, die mannigfaltigen Ängste des Menschen zu verstehen und auch noch zu beheben. Das funktioniere schon, werde ich belehrt. Depression zum Beispiel sei schon geheilt. Ich staune, fühle mich weit außerhalb meines Kompetenzbereichs. Aber man muss so eine Belehrung nur kühl genug äußern – dann entsteht beim Gegenüber schon die Angst vor dem Nichtwissen, die sich in eine Hemmung übersetzt, überhaupt etwas zu sagen, und wenn es nur eine weitere Frage ist.

      Offenbar gibt es auch eine mehr oder weniger klare Rollenverteilung. Ich bin hier wohl diejenige, die gegen Tierversuche ist, oder wie war das? Ich fühle mich in die Rolle derjenigen gedrängt, die nichts wirklich weiß, die von Moral quasselt, also von etwas, bei dem doch jedem das Bauchgefühl reicht, und die die Bedeutung von Forschung geringschätzt. Den Stolz auf die Wissenschaften im Vergleich zur Nutztierhaltung trägt man ostentativ vor sich her. Überlegen Sie mal, wie gut es so ein Versuchsschwein im Vergleich zu dem in der Mast hat. Ist doch so: In einer Gesellschaft, in der 200-mal so viele Tiere gegessen und unter qualvollen Bedingungen und mit weitgehender moralischer Skrupellosigkeit gehalten werden, kann man gegen Tierversuche, für die jedes einzelne Tier genehmigt werden muss, nichts sagen. Wieder Lachen. Ist doch so. Klar.

      Apropos Schweine: Ein anderes Mal ist plötzlich der Statistiker gegen einen Versuch an Schweinen; er kann es nicht erklären, bei Schweinen sei das einfach was anderes. Er verzieht den Mund zu einem schiefen Lächeln. Nennen

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