Geschichten aus dem Alltag. Susanne Wilting

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Geschichten aus dem Alltag - Susanne Wilting

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Abend besuchen Andrea und Frank ein thailändisches Restaurant. Die stilvolle Einrichtung, die ruhige Atmosphäre mit dem aufmerksamen und höflichen Service entspricht genau der Beschreibung in dem neuen Restaurantführer, den Andrea aus der Buchhandlung mitgebracht hat. Von den exotischen Speisen sind die beiden so begeistert, dass sie spontan beschließen, mit ihrer Tochter wiederzukommen. Nach der Frühschicht hat Nadine angerufen und Andrea in ihrer unbeschwerten Art gratuliert und sie sofort aufgeheitert. Andrea ging es gleich besser, viel besser. Frank fühlt sich erleichtert, vielleicht wird ja alles wieder gut.

      Noch einmal überreicht Frank seiner Frau ihr Geburtstagsgeschenk, das er so liebevoll ausgewählt hat.

      Andrea freut sich über die ausgefallene Designerkette, doch dann wird sie ernst. „Wie sieht es mit meinem Geburtstagswunsch von heute morgen aus, Frank? Hast du es dir überlegt?“

      „Das war doch nur Spaß, oder? Du willst mich provozieren, nicht?“

      Andrea funkelt ihn über den Tisch hinweg wütend an, ihre Traurigkeit ist verflogen, sie sieht fest entschlossen aus.

      „Und ob ich das ernst meine.“

      „Warum? Ich verstehe das nicht. Was fehlt dir denn? Oder bist du nur neugierig?“

      „Ich möchte es ausprobieren, Frank, gegen die Leere, die Langeweile.“

      „Das kann doch nicht wahr sein! So ein Club, das ist doch kein Allheilmittel.“

      Beharrlich schweigt Andrea.

      „Hast du mal an mich gedacht? Das ist doch auch eine Kritik an mir als Person oder an unserer Ehe.“ Frank macht eine Pause und trinkt betont langsam einen Schluck Bier. „Außerdem weißt du, dass ich diese Art Clubs generell ablehne, ich finde das Ganze unmoralisch.“

      Andrea lacht. „Du bist ja spießig!“

      Frank fühlt sich verletzt, auch ein wenig beleidigt. Spießig! Und er langweilt also seine Frau, so, so. Gut zu wissen. Ein Moment vergeht, dann greift Andrea nach ihrer Handtasche und zieht etliche Computerausdrucke hervor, die sie Frank diskret über den Tisch zuschiebt. Ihrer Meinung nach kommt es nur auf umfassende Informationen an, dann wird ihr Mann seine Meinung schon ändern. Als Frank die letzte Seite ansieht, auf der interessierte Paare unverbindlich zu Club-Parties eingeladen werden, fühlt sie eine gewisse Aufregung. Frank sieht seine Frau völlig verstört an, es ist ihr tatsächlich ernst. Jetzt strahlt sie auch noch.

      „Ich habe uns schon sexy Outfits besorgt, Frank, in Schwarz, was meinst du?“

      „Zahlen, bitte! Sofort!“ Er verspürt eine heftige Übelkeit, die gewiss nicht das exzellente Essen verursacht hat.

      Ein Besuch im Swinger-Club bildet jetzt das regelmäßige Thema beim Abendessen - und im Schlafzimmer. Das empfindet Frank nicht nur unangenehm, sondern auch peinlich. Manchmal bleibt der Ton locker, dann gibt es schon fast „Was-wäre-wenn-Bilder“ und manchmal enden die Gespräche in einem handfesten Streit. Nämlich dann, wenn Frank sich strikt weigert, an einer Club-Party teilzunehmen. Andreas jahrelang erfolgreich angewandte Durchhalte-Strategie, die auf der Erfahrung basiert, dass Frank am Ende Andrea Alles zu liebe tut, scheint in diesem Fall nicht zu funktionieren. So ruht das Thema nur an den wenigen Wochenenden, an denen Nadine nach Hause kommt.

      Kurz vor einer großen Jubiläums-Party im Swinger-Club erreicht Andrea endlich ihr Ziel. Entnervt gibt Frank seine Blockadehaltung auf und stimmt zu, wenigstens ein einziges Mal mit seiner Frau eine Swinger-Party zu besuchen. Sie vereinbaren, lediglich als Zaungäste das Partygeschehen zu beobachten, nur etwas zu trinken. Ein einziges Mal. Völlig irrational erhofft sich Andrea, die allgemeine Krisenstimmung mit einem außergewöhnlichen Event zu überwinden. Der Partyabend verläuft genau wie verabredet, beschwipst kommen die beiden nach Hause. Beim Abschminken gesteht Andrea zerknirscht, dass sie von der Party maßlos enttäuscht ist, sich sogar angewidert fühlt. Auf keinen Fall wünscht sie eine Wiederholung, sie hat immer noch diese Bilder im Kopf. Frank lächelt unbestimmt und geht wortlos zu Bett. Dankbar lächelnd sieht Andrea ihrem todmüden Mann nach. Danach kehrt das Alltagsleben wie von allein zurück. Sogar die Freude an ihrem Arbeitsplatz findet Andrea wieder und meldet sich zu einem mehrtägigen Fortbildungsseminar über effiziente Verkaufsgespräche im Buchhandel an.

      Ein paar Monate später erhält Andrea einen Anruf. Regina, die langjährige Lebensgefährtin von Ralf, Franks engstem Kollegen und Freund, meldet sich fast unverständlich. Frank und Ralf sind gerade von einer anstrengenden Dienstreise zurückgekehrt und entspannen an diesem Abend beim Squash spielen.

      Regina weint laut und erzählt etwas von Betrug auf dieser Dienstreise. Andrea hört erst still zu, denn Ralf betrügt Regina nicht zum ersten Mal. Doch dann schreckt sie jäh auf.

      „Die beiden waren in einem dieser mega freien Swinger-Clubs, ich fasse das nicht. Und sie besuchen solche Clubs schon seit Monaten. Hörst du überhaupt zu, Andrea? Andrea? Die beiden betrügen uns seit Monaten in diesen Clubs und ich habe keine Ahnung davon. Keinen Schimmer! Ich weiß ja, dass Ralf kein Kind von Traurigkeit ist, aber so was, das ist ganz neu. Ich bin nur durch Zufall dahinter gekommen, weil er sich verplappert hat. Und weiß du, wie er sich rausgeredet hat?“ Sie schluchzt jetzt völlig hemmungslos. „Er sagt, das ist dein Geheimrezept, gegen ein Stimmungstief. Ist das zu fassen?“

      Behutsam, als ob es noch etwas zu zerschlagen gäbe, unterbricht Andrea das Gespräch und schlägt die Hände vors Gesicht. Es kommen keine Tränen, ihre Augen bleiben trocken.

      Frank betritt fröhlich pfeifend das Haus.

      Daniela

      Frank startet den nagelneuen, roten Firmen-Truck und macht sich auf den Heimweg. Er ist heilfroh, wieder seine regelmäßige Lieblingsroute von Rosenheim nach Bergen in Norwegen und zurück zu fahren. Die Veränderungen der Landschaft bereiten ihm Freude, er kann stundenlang Radio hören und seinen Gedanken nachhängen. Doch die sind seit einiger Zeit so trübsinnig, dass er sich richtig deprimiert fühlt. Dabei könnte alles so schön sein.

      Seine Frau Daniela und er haben sich jahrelang auf die Geburt ihres ersten Kindes gefreut und alles liebevoll, bis ins kleinste Detail, vorbereitet. Als Daniela dann endlich mit Maja schwanger war, hat sie Schritt für Schritt begonnen, ihr gemeinsames Leben auf den Kopf zu stellen. In welchem Ausmaß, wird ihm erst jetzt bewusst, als er den LKW vorsichtig durch einen skandinavischen Schneesturm lenkt, doch er mag diese Witterung, die den Trucker ganz fordert.

      Nach ihren hektischen Arbeitstagen an einer Discounterkasse hat Daniela schon während der Schwangerschaft alle Freizeitaktivitäten auf Babypflege und Kleinkinderziehung ausgerichtet. Frank verschweigt ihr seine Meinung bis heute, doch sie hat sie eine viel zu teure Elternzeitschrift abonniert und überflüssige, teilweise sogar esoterische Volkshochschulkurse besucht. Er kann nicht einmal genau beschreiben, was seine Frau im Einzelnen gelernt hat. Die Schwangerschaftsgymnastik war für sie absoluter Kult. Vorsichtig wagt er erst zu protestieren, und zwar vergebens, als Daniela ihre gemeinsame Ernährung radikal umstellt. Sie kauft nur noch biologisch erzeugte Lebensmittel und kocht vegetarisch. Eigentlich eine tolle Idee. Insgeheim hofft Frank, langfristig seine Ernährungssünden etwas ausgleichen zu können. Vielleicht nimmt er ja auch etwas ab? Und er gibt auch gerne zu, dass die Fotos in dem Kochbuch, das Daniela im Internet bestellt hat, frisch und richtig appetitlich aussehen. Im Eingangskapitel steht außerdem etwas von Genießerküche. Nur die Kreationen, die Daniela daraus produziert, sind das absolute Gegenteil. Jedes Mal aufs Neue stellen sie sich als fade und völlig ungenießbar heraus. Lässt sie die Gewürze weg oder verdoppelt sie die Garzeit? Er hat keine Ahnung, warum sie plötzlich so ungenießbar kocht. Mittlerweile

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