Blutblume. Louise Boije af Gennäs

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Blutblume - Louise Boije af Gennäs Widerstandstrilogie

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Boden. Er hatte auch noch meine andere Hand genommen.

      »Wie geht es dir denn wirklich?«, fragte er besorgt. »Alles okay? Ich meine, nach dem, was im Winter passiert ist und dann mit deinem Vater?«

      Ich holte tief Luft und lächelte.

      »Absolut«, sagte ich gezwungen. »Alles bestens.«

      Das würde ein sehr langer Abend werden.

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      Am Montagmorgen saß ich schon um halb acht im Büro. Aufgestanden war ich bereits um halb sechs, weil ich um fünf aufgewacht war und nicht wieder hatte einschlafen können. Das Morgenlicht fiel durch die Vorhänge, und mein Bett war plötzlich unbequemer denn je. Lautes Schnarchen drang durch die Wand zu Sixtens Zimmer, und Siv hatte einen Zettel mit der Information in den Flur gehängt, dass die Küche renoviert würde und erst im November wieder benutzbar sei.

      Ich musste an meine Rückfahrt am Sonntagabend denken. An die herbstdunkle Landschaft, durch die der Zug schnellte, an den Nebel über den Feldern und die nassfeuchte Kälte, die durch Mark und Bein zu dringen schien. Der Hauptbahnhof war ruhig und menschenleer gewesen, und in der U-Bahn saß bis Vällingby außer mir nur ein weiterer Passagier. Keine Spur von Zorro oder meinen anderen Hirngespinsten.

      Der Herbst war da, und ich hatte Örebro auf deutlich mehr Arten hinter mir gelassen, als ich mir einzugestehen wagte. Aber richtig angekommen war ich in Stockholm trotzdem noch nicht, egal, was ich meinen früheren Mitschülern auch hatte vormachen wollen. In Wahrheit verabscheute ich das enge, trostlose Zimmer und die gierige Vermieterin und wäre am liebsten sofort aus dem Vorort weggezogen. Die Anfahrt zur Agentur war lang, zu den Hauptverkehrszeiten sogar noch länger. Ich hatte keine Freunde in Stockholm und fühlte mich mutlos und einsam.

      Nicht dass das in Örebro anders gewesen wäre. Zwar war es schön, meine Mutter und Lina zu besuchen, aber kaum kam ich in Kontakt mit meinen früheren Mitschülern und wurde an die Sache im Tunnel erinnert, zeigten sich die ersten Anzeichen einer aufkommenden Depression. Mittlerweile kannte ich das Muster, die Symptome. Die Umgebung verlor jede Farbe, als würde man einen Schwarz-Weiß-Filter vor die Augen legen. Die Welt kam so abrupt zum Stehen wie ein scheuendes Pferd, sodass man über dessen Kopf flog und auf den Boden knallte. Plötzlich schien der Tod sehr verlockend.

       Was konnte ich tun?

      Ich schloss die Tür zur Agentur in dem Glauben auf, ausnahmsweise mal die Erste zu sein. Aber der Flur war schon erleuchtet, und aus der Küche drang der Geruch von frischem Kaffee. Ich hängte gerade meinen Mantel auf, als Bella mit einer Tasse im Türrahmen erschien.

      »Hallo«, sagte sie. »Du bist ja früh dran. Wollen wir ein Tässchen zusammen trinken, bevor wir loslegen?«

      »Gern«, sagte ich.

      Schnell verschwand ich in der Küche, um mir ebenfalls eine Tasse zu holen, und folgte Bella in ihr Büro. Sie hatte sich schon aufs Sofa gesetzt und betrachtete den grauen Himmel und die Regentropfen, die gegen die Fensterscheibe prasselten.

      »Diese Jahreszeit ist schwer für mich«, sagte sie und trank einen Schluck Kaffee.

      Ich wartete ab, weil ich das Gefühl hatte, sie wollte mir etwas erzählen.

      »Ich habe ein paar Jahre lang mit jemandem zusammengelebt, den ich wirklich geliebt habe«, sagte sie zögerlich, ohne den Blick vom Fenster zu lösen. »Und dann haben wir uns getrennt. Passten nicht zusammen. Wollten nicht dasselbe.«

      Wieder schwieg sie, und ich wartete.

      »Im Herbst wird das immer so greifbar«, fuhr sie fort. »Die langen Abende vor dem Fernseher. Man geht zum Training, kommt zurück. Steht vor dem Kühlschrank und hat überhaupt keine Idee.«

      Wenn man einen Kühlschrank hat, dachte ich.

      »Was ist denn mit deinen Eltern?«, fragte ich. »Wo wohnen sie?«

      »Sie haben sich scheiden lassen und jetzt beide neue Familien. Ich liebe meine kleinen Geschwister, wirklich. Aber ich bin die, die ›übrig geblieben‹ ist. Ich gehöre in die Lücke zwischen zwei neu entstandenen Familien und bin darin verschwunden.«

      Sie lächelte, aber es war ein trauriges Lächeln. Nicht selbstmitleidig, eher niedergeschlagen.

      »Ich verstehe mich gut mit ihnen allen, wir sehen uns zu Weihnachten und so«, fuhr sie fort. »Aber … mich vermisst auch niemand, wenn ich nicht dabei bin.«

      »Du Arme«, sagte ich. »Wo wohnen sie denn?«

      »Mein Vater wohnt in Skåne, und meine Mutter ist gerade mit ihrer Familie nach England gezogen.«

      Mit einem Mal verstand ich Bellas Drang, an den Wochenenden unterwegs zu sein, viel besser.

      Sie lachte.

      »Ich hätte gern ein Haustier«, sagte sie. »Als ich klein war, hatten wir immer eine Katze.«

      Ich musste an Simåns denken. Immerhin ein Haustier hatte ich.

      In diesem Moment drehte Bella den Kopf und betrachtete mich aus dem blauen und dem grünbraunen Auge. In ihrem Blick lag eine Ernsthaftigkeit, die ich bislang noch nicht gesehen hatte.

      »Vielleicht werde ich das bereuen«, sagte sie, »aber dann müssen wir eben eine andere Lösung finden. Wie auch immer, ich hab am Wochenende viel nachgedacht. Und ich will dich etwas fragen.«

      Sie klang so ernst, dass sich mein Puls beschleunigte. Plötzlich hatte ich einen ganz trockenen Hals. Was hatte sie vor? Wollte sie mich bitten, wieder zu kündigen? Wollte sie mir kündigen? Wollte sie, dass ich mein Gehalt zurückgab oder die ganzen neuen Klamotten doch selbst bezahlte? Was, wenn sie selbst kündigen wollte, was würde dann aus mir werden, schließlich war ich ihre Assistentin! Gullbritt und Eva hatten gesagt, ich könnte jederzeit wiederkommen, aber das wollte ich unter keinen Umständen. Außerdem wollten sie mich mittlerweile vielleicht gar nicht mehr.

      Mit einem Mal sah ich vor mir, dass ich gezwungen war, nach Örebro zurückzukehren. Wie im Schnelldurchlauf spulte sich der Samstagabend vor meinem inneren Auge ab. Die anderen Gäste, die zu betrunken gewesen waren, um zu tanzen, und ständig gegeneinanderstießen. Henkes ungeschickte Einladungen und der angeschickerte Vorschlag, »dich in Stockholm besuchen zu kommen«. Sallys freizügiges Gackern, das ihre rotweinfleckigen Zähne entblößte. Das Paar, das auf dem Sofa saß und extrem fummelte. Liams Hand auf meinem Hintern und mein Impuls, ihm dafür eine zu scheuern – dem ich nicht nachkam, weil ich wusste, dass ich ihn sonst richtig verletzen würde.

      Das überwältigende Gefühl von Einsamkeit.

      Und dann der eiskalte Spaziergang nach Hause und alle Erinnerungen, die er zum Leben erweckte. Die Angst, die mich überkam, sobald ich ein unerwartetes Geräusch hörte. Ich war gegangen, ohne mich zu verabschieden und in der Überzeugung, der kurze Spaziergang würde dazu beitragen, dass es mir gleich wieder besser ging. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich mich verfolgt fühlen würde. Jemand lief ein Stück hinter mir: Ich konnte Schritte hören, selbst vereinzeltes Räuspern, aber immer, wenn ich mich umdrehte, war niemand dort. Mein Herz schlug schneller, und als ich endlich meine Straße erreicht hatte, fing ich an zu laufen. Ich war überzeugt, dass mir ein Schatten folgte und nur auf die Gelegenheit wartete, sich auf mich zu stürzen.

      Wer

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