Blutblume. Louise Boije af Gennäs
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Henke war in unsere Klasse am Gymnasium gegangen. Immer streng gekämmt, eng stehende Augen, Nerdhumor.
»Klingt super«, sagte ich.
Eine Pause entstand.
»Ich wollte fragen, ob du zu Flisan mitkommen willst«, sagte Sally dann. »Sie feiert heute Geburtstag mit Wein und Torte.«
Flisan war eins der Mädels, mit denen Sally und ich in der Oberstufe recht viel Spaß gehabt hatten. Davor hatte Flisan mich mitgemobbt, aber als wir ans Karolinska Gymnasium, das Karro, kamen, wo lauter andere Schüler von anderen Schulen zusammengeführt wurden, war das wie ein Neustart, und alles beruhigte sich. Dass ich damals ausgerechnet zu Flisan wollte, als das mit dem Tunnel passierte, machte keinen Unterschied, Flisan an sich war ziemlich lieb. Wir hatten bloß nicht mehr viel gemeinsam.
»Ja, geh doch mit.« Mama klang fast drängend. »Das klingt total gemütlich.«
Ich hörte die alte Angst in ihrer Stimme, und mir wurde ein bisschen übel.
Sara hat keine Freunde, Sara wird gehänselt, Sara ist nicht wie die anderen.
Papa hatte das nie gekümmert.
»Deine Zeit kommt noch«, hatte er nur gesagt. »Edle Früchte reifen langsam.«
»Ich dachte, wir wollten heute Abend zusammen essen, als Familie«, sagte ich. »Wo ich doch gestern erst so spät angekommen bin.«
»Dann essen wir halt vorher«, sagte Mama. »Und danach ziehst du mit Sally los. Ist doch schön, deine alten Freunde mal wiederzusehen, oder?«
»Selbstverständlich nur, wenn du willst«, sagte Sally voller Ironie und schnitt sich noch eine Scheibe Roggenbrot ab. »Wenn du es packst.«
»Natürlich pack ich das«, antwortete ich leicht säuerlich.
»Gut, dann hol ich dich gegen zehn ab.«
Am Abend tauchte Sally pünktlich auf und nahm mich auf dem Moped mit zu Flisan, die mit ihrem Freund in eine Wohnung in der Nähe des Tullängsgymnasiums gezogen war. Dazu mussten wir einmal quer durch Rynninge und nahmen dann die Grenadjärgatan ins Zentrum. Es fühlte sich an wie eine Zeitreise in die Vergangenheit; ich hinten auf Sallys Moped, die Arme um ihren kräftigen Bauch gelegt, eine Flasche Rotwein in der Tasche auf dem Rücken.
»Totales Flashback, oder?«, rief Sally. »Fühlt sich an, als wären wir wieder auf dem Karro.«
»Aber hallo«, sagte ich. »Können wir kurz bei der Schule und am Schloss vorbeifahren?«
»Klar«, gab Sally zurück.
Wir bogen nach links in die Olaigatan ab, und da lag es, mitten auf der Insel des Svartån: Örebro Schloss, das ich immer geliebt hatte. Rechts glitt unsere frühere Schule, das Karolinska Gymnasium, vorbei. Dafür hegte ich eher gemischte Gefühle.
»Wie schön das ist«, rief ich.
»Du klingst ja fast so, als wärst du nach Amerika ausgewandert«, schrie Sally zurück. »Sollen wir noch bei der Bank in der Drottninggatan vorbeifahren, wo ich jeden Tag mein Bestes gebe?«
»Nee, lass mal! Come on, Barbie, let’s go party!«, grölte ich.
Also drehte Sally auf, und wir ließen das Zentrum hinter uns.
Flisan und ihr Freund waren in eine Dreizimmerwohnung in einem Mietshaus in Söder gezogen. Sie gehörten zu den ersten aus unserem Freundeskreis, die diesen Schritt gewagt hatten, aber ich war alles andere als neidisch darauf. Die Wohnung platzte fast aus den Nähten vor lauter Menschen: viele ehemalige Mitschüler, mit denen ich manchmal noch zu tun hatte, wenn die Abstände auch immer größer wurden, aber auch viele, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Flisan ging strahlend und mit einem Weinglas in der Hand herum, auf dem Sofa saß ihr Freund Kevin und trank Wodka-Shots mit seinen Kumpels. Flisan und Kevin waren seit mehreren Jahren zusammen, würden es sicher auch bleiben und bald Kinder bekommen. Ich schaute mich in ihrer Wohnung um und spürte, wie mir der kalte Schweiß auf die Stirn trat. Die gerahmten Poster an den Wänden; die Ikea-Sofas; der Esstisch, auf dem halb gegessene Torten und offene Schnapsflaschen standen.
Erinnerungen an die Schulzeit überkamen mich. Neben Kevin saß Liam, einer meiner schlimmsten Peiniger aus der Schulzeit. Er trug ein kariertes Flanellhemd über seinem T-Shirt. Ein Bäuchlein ließ sich erahnen, und er sah weniger muskulös aus als früher, war an beiden Armen tätowiert und hatte einen borstigen Schnurrbart, aber er war es definitiv. Während ich ihn betrachtete, stieß er einen lauten Schrei aus, warf den Kopf in den Nacken und stürzte einen Shot hinunter. Anschließend knallte er das Glas vor sich auf den Tisch und stieß einen weiteren Schrei aus – dann erblickte er mich. Er runzelte die Stirn, wohl um sich zu konzentrieren.
»Shit, dich kenne ich doch!«, rief er und zeigte auf mich. »Komm her.«
Er klopfte auffordernd neben sich aufs Sofa, aber ich schaute ihn nur ausdruckslos an.
Jetzt sah auch Kevin mich und lehnte sich zu Liam.
»Das ist doch nur Sara«, sagte er halblaut. »Fucking boring.«
Dann lachte er, dass sein Bauch hüpfte, ohne mich aus den Augen zu lassen.
»Die war das im Tunnel, weißt du noch?«, fuhr er etwas leiser fort. »Letzten Winter …«
Seine Stimme verlor sich im allgemeinen Gemurmel. Liam lauschte aufmerksam und pfiff dann durch die Zähne, aber auch er löste den Blick nicht von mir.
»Oh, shit«, sagte er.
Als wäre ich gar nicht da. Es kostete mich große Mühe, aber es gelang mir, mich abzuwenden. Und dann entdeckte ich Henke, den Einzigen aus unserer Klasse, der ähnlich viel gebüffelt hatte wie ich. Er war noch genauso dünn, wie ich ihn in Erinnerung hatte, aber noch strenger gekämmt. Und er lächelte mich an, ein Funkeln in den eng stehenden Augen.
»Sara!«, sagte er und machte einen Schritt auf mich zu.
Er gab mir einen Kuss auf die Wange und musterte mich von Kopf bis Fuß, während er meine Hand hielt.
»Wie hübsch du bist!«, sagte er bewundernd. »Anders irgendwie. Größer und … eleganter!«
Ich hob die Augenbrauen und zeigte ihm einen meiner Absatzschuhe, worüber er lachte.
»Heftig«, sagte er mit funkelnden Augen. »Wie geht’s dir? Du wohnst doch jetzt in Stockholm, oder?«
»Ja, ich arbeite bei einer PR-Agentur. Kapier nicht ganz, warum die ausgerechnet mich wollten, aber so ist es jedenfalls. Und wie geht’s dir? Sally hat erzählt, dass ihr bei derselben Bank arbeitet.«
»Ich kapier’s voll und ganz«, sagte Henke. »Warum sie dich wollten.«
Etwas entfernt trank Sally direkt aus einer Weinflasche, streckte dann die Arme über den Kopf und jubelte.
Ich trank selbst einen Schluck aus meinem Glas. Henke lächelte mich breit und irgendwie