Kalteiche. Ulrich Hefner

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Kalteiche - Ulrich Hefner

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er nicht einfach, sondern blieb noch immer dumpf zu spüren.

      Zärtlich streichelte er über die goldene Kette mit dem Kreuz als Anhänger, dies war alles, was aus seinem früheren Leben übrig geblieben war. Seit über dreißig Jahren war diese Kette sein einziger Begleiter und er trug sie immer bei sich. Nicht um den Hals, nicht sichtbar, denn von Gott hielt er nicht viel. Gott war nie an seiner Seite gewesen, hatte sich nie um ihn gekümmert, ganz im Gegenteil, Gott hatte ihn einfach vergessen und in seinem Elend zurückgelassen.

      Er fuhr sich über seine Handgelenke. Wenn er daran dachte, dann schmerzten noch immer die Fesseln, mit dem sie ihn an das Bett gekettet hatten, damals in diesem grauen, tristen und fensterlosen Zimmer in Zatec, dorthin würde er nie wieder zurückkehren.

      Sie fehlte ihm, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute und jede Sekunde. Er erinnerte sich an ihr Lachen, das er viel zu selten gehört hatte, an ihre Worte, die im Wind verklungen waren, manchmal sogar an ihren Geruch, der für ihn immer ein kleines Stück Geborgenheit in all dem Schrecken der vergangenen Zeit bedeutet hatte. An die Eltern erinnerte er sich nur dunkel. Zweimal war er inzwischen an ihrem Grab gewesen und hatte seinen Frieden mit ihnen gemacht. Er hatte nie verstanden, warum sie weggegangen waren und ihre Kinder einfach ihrem Schicksal überließen, dennoch hatte er Blumen an die Stelle gelegt, an der ein schmuckloser grauer Stein ihre Namen trug. Blumen, die kein Verzeihen bedeuteten, denn es gab nichts zu verzeihen.

      Er steckte das Kettchen in die Hosentasche und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Es war Zeit, niemand durfte ihn hier sehen. Er erhob sich und klopfte seine Hose ab, dann ging er zurück zur Straße, schwang sich auf das Fahrrad und fuhr über die menschenleeren Wege davon. Die Sonne schien ihm ins Gesicht und der Fahrtwind kühlte seine Wangen.

      *

      »Guten Morgen, ich bin Martin Trevisan, ich bin wieder hier.«

      Die junge Frau mit den langen blonden, zum Zopf gebundenen Haaren und dem blassen Gesicht, die hinter dem Schreibtisch saß, hieß Thorke Oselich und war seine neue Chefin. Natürlich hatte sich Trevisan vor seiner Bewerbung über die Dienststellenleiterin in Wilhelmshaven informiert. Sie war Ende dreißig und direkt nach ihrem Abitur zur Polizei gegangen. Die Polizeischule hatte sie als Klassenbeste absolviert und nach einem Jahr im Streifendienst war sie zur Ausbildungsabteilung nach Nienburg gewechselt, bevor sie drei Jahre später ihre Ausbildung für den höheren Polizeidienst begann. Anschließend hatte sie im Führungsstab der Polizeidirektion Lüneburg gearbeitet, in Osnabrück und bei der Polizeiakademie, bevor sie vor zwei Jahren die Dienststelle in Wilhelmshaven übernommen hatte. Ihre Karriere war makellos und sie war beinahe alle drei Jahre befördert worden. Doch von echter Polizeiarbeit auf der Straße stand nicht besonders viel in ihrer Vita.

      Thorke Oselich war jung, viel zu jung eigentlich, um bereits Chefin dieser Inspektion zu sein, aber diese Reform hatte viel durcheinandergewirbelt. Beck war längst in Pension und auch die ehemalige Direktorin Schulte-Westerbeck gab es nicht mehr. Es gab ein neues Dienstgebäude, in dem es immer noch nach frischer Farbe roch, neue Kolleginnen und Kollegen, die er erst einmal kennenlernen musste, und neue Zuständigkeiten, denn von dem ehemaligen Fachkommissariat war nur noch eine Außenstelle geblieben. Kleinschmidt, mit dem er sich vorgestern ein paar Minuten unterhalten hatte und der seit einem halben Jahr in Pension war, hatte ihn gewarnt. Alles war schlechter geworden. Zu wenig Personal, ein Riesenbezirk, den man zu betreuen hatte, und Vorgesetzte, die Polizeiarbeit auf der Straße nur noch vom Hörensagen kannten und sich ihre goldenen Sterne auf der Schulbank in Nienburg und Hiltrup verdient hatten, ohne jemals auch nur einen Falschparker aufgeschrieben, geschweige denn eine Leiche von Angesicht zu Angesicht gesehen zu haben.

      Kleinschmidt war froh darüber gewesen, dass er endlich in Pension gehen konnte, denn auch die Spurensicherung war inzwischen zentralisiert und zur Direktion nach Oldenburg verlegt worden. Nur aufgrund seines Alters hatte er in Wilhelmshaven bleiben können. Wie eine ungeliebte Altlast war er sich vorgekommen. Zwar hatte man ihm staatlicherseits das Gnadenbrot in Wilhelmshaven gegönnt, dennoch hatte ihn stets das Gefühl verfolgt, dass niemand etwas dagegen gehabt hätte, wenn er vorzeitig in Pension gegangen wäre, um einem jungen, dynamischen Kollegen Platz zu machen.

      Trevisan hatte nur mit der Schulter gezuckt. In den letzten fünf Jahren, die er bei der Präventionsabteilung in Oldenburg zugebracht und besorgten Bürgern die Vorzüge von Doppelverglasungen und dreifach gesicherten Türen nahegebracht hatte, war die Entwicklung innerhalb der Polizei irgendwie an ihm vorübergegangen. Er war nun selbst über fünfzig und hatte lange überlegt, ob er sich tatsächlich auf die ausgeschriebene Stelle beim Kriminalkommissariat in Wilhelmshaven bewerben sollte. Den Ausschlag hatte die Entfernung nach Oldenburg gegeben, denn seit einem halben Jahr wohnte er wieder an der Küste. Lea, seine Lebensgefährtin, hatte den Peerenhof unweit von Horumersiel gekauft, in den sie sich auf den ersten Blick sofort verliebt hatte. Auf der Suche nach einem neuen Atelier war sie dem Charme und der kreativen Ausstrahlung des alten Gemäuers erlegen. Sechshunderttausend Euro waren kein Pappenstiel, aber schließlich war Lea vermögend. Sie malte nicht nur Bilder und formte Skulpturen, sondern war inzwischen eine anerkannte und hoch gelobte Restauratorin sakraler Kunst, so dass es an Aufträgen nicht mangelte.

      »So früh habe ich Sie eigentlich noch gar nicht erwartet«, entgegnete Thorke Oselich und erhob sich. »Nehmen Sie Platz, Herr Trevisan! Schön, dass ich Sie endlich persönlich kennenlerne. Sie waren schon einmal hier auf dieser Dienststelle, hörte ich.«

      Trevisan nickte und nahm Platz. »In der Peterstraße, das ist lange her.«

      »Ja, sehr lange«, bestätigte die Inspektionsleiterin. »Wie ich erfuhr, sind Sie damals wegen Ihrer Tochter nach Hannover zum Landeskriminalamt gewechselt. Sie musste dort in ärztliche Behandlung.«

      Trevisan nickte.

      »Wie geht es ihrer Tochter heute?«

      Trevisan winkte ab. »Es geht ihr gut, sie arbeitet inzwischen auch hier in Wilhelmshaven.«

      »Sie ist auch bei der Polizei?«

      »Nein, beim Ozeanographischen Institut am Arsenalhafen. Sie hat Meeresbiologie studiert.«

      »Ah, ich verstehe. Sind Sie deswegen wieder zurückgekommen?«

      Trevisan lächelte und schüttelte den Kopf. »Paula ist inzwischen erwachsen, wobei Kinder für Eltern natürlich immer Kinder bleiben. Ich glaube kaum, dass sie begeistert wäre, wenn ich mich in ihr Leben mische. Nein, ich wohne inzwischen auf dem Peerenhof bei Horumersiel und nach Oldenburg sind es siebzig Kilometer. Außerdem fehlte mir die Küste. Ich glaube, wenn man an der Wiege des Windes aufgewachsen ist, dann zieht es einen immer wieder hierher zurück. Manchmal fühlte ich mich in den Städten wie ein Fisch auf dem Trockenen.«

      »Das kann ich verstehen«, entgegnete Thorke Oselich. »Ich bin aus Schortens.« Die Kriminaldirektorin kramte aus ihrem Postkorb Trevisans Akte hervor und blätterte darin. »Sie waren damals Leiter des 1. Fachkommissariats.«

      »Ja, anschließend war ich fünf Jahre beim LKA, dann wurde ich auf eigenen Wunsch nach Oldenburg versetzt.«

      »Wie ich sehe, arbeiteten Sie zuerst bei der Koordinierungsstelle für Verbrechensbekämpfung und anschließend bei der Kriminalprävention. Sie sind sich aber im Klaren darüber, dass die ausgeschriebene Stelle des Kommissariatsleiters eine Sachbearbeiterstelle ist?«

      »Ich bin mir im Klaren darüber, dass dies auch Außendienst bedeutet, und das kommt mir auch gelegen. Ich habe den Bürodienst satt.«

      Thorke Oselich klappte die Akte zu. »Dann ist es ja gut, Herr Trevisan. Ich denke, ich stelle Ihnen nun die Abteilung vor. Allzu viele sind wir ja nicht mehr. Bei größeren Ereignissen unterstützen uns die Kollegen

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