Big Ideas. Das Ökologie-Buch. John Farndon
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Jedes Wolfsrudel im Yellowstone-Nationalpark hat sein eigenes Revier, viele überlappen sich. Die Anzahl der Wölfe schwankt von Jahr zu Jahr, 2016 wurden 108 Tiere gezählt.
Prädatorenschlüsselarten
Der Seeotter ist ein Meeressäugetier in den pazifischen Küstengewässern Nordamerikas. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde er intensiv wegen seines Fells gejagt. Im frühen 20. Jahrhundert waren diese Tiere in einigen Gebieten völlig ausgerottet, man schätzte ihre damalige Gesamtpopulation auf weniger als 2000 Individuen. Seit 1911 hat der gesetzliche Schutz zu einer langsamen Zunahme geführt.
Seeotter sind wichtig, weil sie eine große Menge Seeigel fressen. Diese auf dem Meeresboden lebenden Wirbellosen grasen an den Stängeln, mit denen der Seetang am Boden verankert ist, sodass die Pflanzen wegtreiben und sterben. Mit dem Tang verschwinden aber auch viele andere wirbellose Meerestiere, die ihn abgrasen. Tangwälder nehmen außerdem große Mengen Kohlendioxid auf und schützen Küsten vor Sturmfluten, weil sie Wasserströmungen bremsen. Der Schutz, den die Seeotter dem Tang gewähren, ist an offenen Küstenabschnitten also besonders wichtig.
»Jede Art der Küstenzone wird in der einen oder anderen Form durch die ökologischen Wirkungen von Seeottern beeinflusst.«
James Estes US-amerikanischer Meeresbiologie Interview, The Guardian, 2016
Anders als Seeotter sind einige Schlüsselarten zugleich Spitzenprädatoren, also Räuber an der Spitze der Nahrungsketten, etwa der Wolf. Vor 1995 hatte es seit mindestens 70 Jahren im Yellowstone-Nationalpark keine Wölfe gegeben. Wapitis (aus der Familie der Hirsche) waren häufig, aber es gab nur eine Biberkolonie. 1995 wurden 31 Wölfe im Nationalpark ausgesetzt. 2001 war ihre Zahl auf über 100 angestiegen, vor allem dank der reichlich vorhandenen Wapitis als Beute.
Die Wölfe brachten die Wapitis in Bewegung. Statt die Weiden, Espen und Pappeln an bevorzugten Orten zu überweiden, mussten sie wandern, sodass sich die Pflanzen erholen und anderen Tieren Nahrung bieten konnten, beispielsweise dem Biber. Nach zehn Jahren hatte sich die Zahl der Biberkolonien auf neun erhöht. Biberdämme tragen dazu bei, Feuchtgebiete zu beleben. Mehr erlegte Wapitis nutzten auch den Aasfressern, darunter Coyoten, Rotfüchse, Grizzlybären, Steinadler, Raben, Elstern und kleinere Tiere.
Jaguare sind die Spitzenprädatoren in süd- und mittelamerikanischen Wäldern und jagen mehr als 85 Beutearten. Zwar gibt es pro Fläche nur sehr wenige Jaguare, aber ihr Einfluss auf andere Räuber – etwa Kaimane, Schlangen, große Fische und Vögel – sowie auf Pflanzenfresser wie Capybaras (Wasserschweine) und Hirsche ist von oben nach unten auf das gesamte Ökosystem erheblich. Ohne diese Kontrolle würden die Pflanzenfresser die meisten Pflanzen stark verringern und das Habitat zerstören, von dem so viele Arten abhängen.
Schlüsselpflanzen
Nicht alle Schlüsselarten sind Tiere. Ein Beispiel ist der Feigenbaum, von dem es etwa 750 Arten gibt und der vor allem in Tropenwäldern vorkommt. In diesem Lebensraum haben die meisten Pflanzen mit fleischigen Früchten ein oder zwei Reifeperioden im Jahr. Feigen dagegen tragen ganzjährig Früchte und ernähren so viele Tiere, wenn andere Bäume fruchtlos sind. Über 10 % aller Vogelarten und 6 % der Säugetierarten (zusammen 1274 Arten) fressen Feigen, zudem ein paar Reptilien und sogar Fische. Feigen sind also eine essenzielle Nahrungsgrundlage für viele fruchtfressende Lebewesen. Flughunde, Vögel und andere Arten sind auf sie angewiesen.
»Durch den Schutz einer Schlüsselart wie des Präriehunds könnte man die Öffentlichkeit über den Wert der Erhaltung von Ökosystemen aufklären.«
Brian Miller US-amerikanischer Ökologe The Prairie Dog and Biodiversity, in: Conservation Biology, 9/1994
Robert Paine
Der in Cambridge (Massachusetts, USA) geborene Robert Paine studierte in Harvard. Nach seiner Zeit in der Armee, die er als Bataillonsgärtner verbrachte, konzentrierte er seine Forschungen auf marine Wirbellose. Seine Studien der Beziehung zwischen Seesternen und Muscheln an der US-Pazifikküste führten ihn zum Konzept der Schlüsselart, die überproportionalen Einfluss auf das Ökosystem hat.
Paine war die meiste Zeit seines Arbeitslebens an der Universität von Washington in Seattle tätig, wo er manipulative Freilandexperimente populär machte – die »Tritt-es-und-guck«-Ökologie. Er erhielt im Jahr 2013 von der Nationalen Wissenschaftsakademie den International Cosmos Award. 2016 starb er.
Hauptwerke
1966 Food Web Complexity and Species Diversity, in: American Naturalist
1969 A Note on Trophic Complexity and Community Stability, in: American Naturalist
1994 Marine Rocky Shores and Community Ecology: An Experimentalist’s Perspective
Die Rückkehr des Bibers nach Großbritannien
Biber wurden in Großbritannien vor 400 Jahren ausgerottet, heute ist der Nutzen dieser Schlüsselart besser bekannt. Sie sind natürliche Baumeister, die Dämme und Kanäle bauen. Ihre Anwesenheit erhöht die Artenvielfalt.
2009 wurden elf Biber im Knapdale Forest (Schottland) freigelassen, 2011 setzte der Devon Wildlife Trust ein Paar in einem umzäunten Gebiet aus. Bei beiden Projekten wurde genau beobachtet, was daraufhin in der Umwelt geschah. Im Knapdale Forest veränderten die Biberdämme den Wasserstand eines Sees. In Devon bauten die Biber mehrere Dämme im Oberlauf des Flusses Tamar, wodurch 13 neue Weiher entstanden, was die Umgebung feuchter machte.
Die neuen Feuchtgebiete in Devon führten dazu, dass nun mehr Bryophytenarten (Moose und Lebermoose) vorkommen, die Zahl der Arten aquatischer Wirbelloser ist von 14 auf 41 gestiegen. Die Zunahme an Fluginsekten hat die Vielfalt der Fledermäuse verbessert; zwei seltene Arten sind in das Gebiet eingewandert. Weitere Auswilderungsprogramme sind in Großbritannien geplant.
WIE FIT EIN NACH FUTTER SUCHENDES TIER IST, HÄNGT VON SEINER EFFIZIENZ AB
OPTIMALER NAHRUNGSERWERB
IM KONTEXT
SCHLÜSSELFIGUREN
Ronald Pulliam (*1945),
Graham Pyke (*1948),
Eric Charnov (*1947)