Durch die Knochen bis ins Herz. Christoph Heubner

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Durch die Knochen bis ins Herz - Christoph Heubner

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und verhielt sich dem Ort und dem Anlass angemessen: Sir, fragte er mich, wie viele Menschen sind hier gestorben? Niemand, antwortete ich ihm, niemand. Zuerst guckte er mich verwirrt an, dann wiederholte er leicht lächelnd die Frage – der alte Knacker hatte sie wohl beim ersten Mal nicht richtig verstanden oder war schwerhörig –, wie viele Menschen sind hier gestorben, Sir? Und ich antwortete erneut: Niemand, hier ist niemand gestorben. Sterben – das bedeutet doch eines natürlichen Todes zu sterben. Hier ist niemand gestorben. Hier wurden Menschen ermordet, mit Gas, durch Hunger, durch Schüsse – es gab viele Methoden, die Häftlinge umzubringen. Die Mörder waren sehr erfinderisch. Und die Ermordeten hat man in den Krematorien verbrannt und ihre Asche verstreut: Das ist hier geschehen. Thank you, sagte verblüfft der sympathische spanische Reporter und ich habe mich umgedreht und bin Richtung Bus gegangen, der uns zum Hotel zurückbringen sollte. Ich war ziemlich geladen, weil ich mich über die unbedachte Frage des Reporters aufgeregt hatte, aber noch mehr geärgert habe ich mich darüber, dass es im Trubel dieses Tages keine Gelegenheit gegeben hatte, dem Papst die Grüße seiner größten irischen Fans aus New York, Barry und Ehefrau, zu übermitteln. Gott sei Dank habe ich Franziskus am Abend dieses Tages noch einmal bei einer Begegnung im kleinen Kreis in Krakau getroffen. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, als ich sowohl die besagten Grüße als auch die Bitte um einen Rosenkranz für Barrys Frau anbringen konnte. Ich habe den Rosenkranz in meinem Koffer verpackt wie die Kronjuwelen und war stolz auf mich: Da hatten Barry und seine Frau, die mittlerweile genauso klapperalt sind wie ich, im Tennisclub etwas zu erzählen, denn Spielen, das kommt für uns alle schon längst nicht mehr in Frage, aber unsere Plätze an der Bar sind immer noch reserviert.

      Leon und ich waren im Mai 1946 in Amerika angekommen. Gemeinsam mit anderen Waisen, deren Eltern im Holocaust ermordet worden waren, hatten wir ein kollektives Visum für die USA erhalten. Ich habe damals Europa mit gemischten Gefühlen verlassen. Hinter uns beiden lagen nicht nur die entsetzlichsten Monate unseres Lebens im Ghetto und in den Lagern und der Verlust unserer Eltern, sondern auch die Erinnerung an die Liebe dieser Eltern und eine glückliche Kindheit. Ich habe Amerika damals nicht idealisiert, ich wusste viel zu wenig über diese Welt jenseits des Meeres, aber ich habe mich fest darauf verlassen und fest daran geglaubt, dass wir in ein Land kommen, in dem es nie eine SS geben wird und in dem nie irgendwelche Nazis Macht haben werden. Nie würde ich in diesem Land über Auschwitz sprechen müssen. Daran haben Hannah und ich uns in den ersten Jahrzehnten gehalten. Jetzt bin ich alt, Leon ist schon lange tot und auch Hannah musste gehen. Die letzten Jahre sind Jahre der Abschiede. Meine Haut ist dünner geworden, und die Traurigkeit, die Wolf schon viel früher gepackt hat, greift auch nach mir. In meinem ganzen Leben bin ich gegenüber Antisemiten und Holocaust-Leugnern ein zorniger und hoffentlich mutiger Mensch gewesen. Immer wieder hat der Zorn meine Angst und meinen Pessimismus besiegt. Für mich war mein Zorn auch immer ein Zeichen der Hoffnung, dass ich nichts verloren gebe. Heute sehe ich in den Nachrichten Menschen, die Auschwitz nicht mehr leugnen, sondern die es wieder aufbauen wollen. Sie tragen T-Shirts, auf denen »Camp Auschwitz« steht, und sie stecken in der Welt wie Kugeln im Lauf. Was soll ich noch sagen? Bei meinen Gesprächen mit jungen Leuten habe ich zum Schluss immer zwei Dinge betont: Noch mehr als die Grausamkeit der Täter hat uns alle damals die Gleichgültigkeit der Vielen verzweifeln lassen, die sahen, was geschah und sich weggedreht haben. Die Erinnerung an diese Menschen überzieht mich bis heute mit Eiseskälte. Das ist das eine. Und das andere? Wir wollen nicht, dass unsere Vergangenheit die Zukunft unserer Kinder wird. Ja, das ist eigentlich alles. Über viele Jahre meines Lebens habe ich Fragen beantwortet: Barry, mein Freund, du warst der Erste, der mich gefragt hat. Und ich denke an meinen Bruder Leon, der mich ermahnt hat, zu antworten. Die beiden haben mich auf den Weg geschickt, und dafür werde ich ihnen immer dankbar sein.

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