Vom Müller-Hannes. Clara Viebig
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»Kotzdonner noch ehs!« Hätte er sich doch eine Laterne mitgenommen! Die Hände in den Hosentaschen, schrill pfeifend, trabte er voran. Vom Maar her zog’s, der Maarwind kam und stieß ihn in die rechte Seite. Da blieb er einen Augenblick stehen. Allerhand Getöns war in der schwarzen Nacht, der auch der Schnee kein Licht gab. Aber sein scharfer Blick sah doch das Maar, den farblosen Spiegel, umkränzt von nackten Höhen, die jetzt, ins Ungeheuerliche vergrößert, an den Himmel stießen. Und dort, ganz im Winkel, dem steilen Hange angequetscht, in nächtigem Flor: Maarfelden.
Wanderer gehen nicht gern hier bei Nacht, der Boden schwankt eigen unter der Last der Trittes. Es war vor Zeiten hier einmal alles Maar gewesen – Maar, wo jetzt die Hütten stehen und die Kirche mit dem tiefblauen Schieferdach – Maar, wo jetzt die schilfigen Wiesen sich breiten – Maar, die Wände des Kessels bis hoch hinauf bespülend, wo jetzt die winzigen Äckerlein sich herauswinden aus Ginstergestrüpp und Brombeergerank. Die Maarfrau sitzt jetzt in die Tiefe gebannt, unten in ihrem Kämmerchen und spinnt, zieht den Faden, so lang und fein wie ihr dunkles Haar, und lauert, daß sie sich einen herunterziehe zum Zeitvertreib. Müller-Hannes lachte übermütig hinüber: die Maarfrau, puh, was ging die ihn an?! Landscheids Seph, die hatte noch längeres, noch schöneres Haar, Strähnen wie schwarze Seide! Und ein heißer Schatz war die, recht was für so eine kalte Nacht.
Jedermann wußte es im Dorf: Landscheids Seph war dem Müller-Hannes sein Schatz, seit der vom Militär heimgekommen war. Jetzt schlief sie noch nicht; sie lauschte. Der Wind stieß den Laden vor ihrem Fenster auf und klappte mit dem Riegel – horch, ob er noch nicht kam?! Sie konnte es nicht abwarten. Mit Mühe öffnete sie die kleine Scheibe im verquollenen Rahmen und zwängte den Oberkörper hinaus. Der Wind stemmte sich ihr entgegen und stieß sie vor die Brust. Aber sie wich nicht; sie war groß und stark, und lebenswarm lief ihr das Blut durch die Adern.
Der Wind wurde zum Sturm und scheuchte die finsteren Wolken überm Maar auseinander, wie eine Herde schwarzer Schafe. Nun gab’s ein wenig Licht, ein wenig zitternden, gejagten Mondschein; er verfing sich in der Seph Haaren und goß blankes Silber auf den schwarzen Scheitel. Der heftige Wind hob die schweren Strähnen und wehte sie lang zum Fenster heraus. Die nackten Arme des Mädchens, blinkend im nächtlichen Dämmer, streckten sich aus, dem Müller-Hannes entgegen.
[1]. Verspruch
2.
Das war eine wundervolle Maiennacht! Eine Nacht, in der alle Winde schlafen, in der der Mond Silber streut; eine Nacht, in der das Springen der Knospen zu hören ist. Der Wildbach fließt ruhig, und wo er bergab ins Gefälle kommt, scheint er die Steine zu küssen, über die er sich schmeichelt. Es duftet – nicht nur der Waldmeister, der im Buchenbüsch unter den braunen Blättern vergangener Herbste sprießt, nicht die Anemonen, nicht die Veilchen und Himmelschlüssel allein, die am grünen Wegrain blühen – alles duftet, die Luft, das Wasser, die Erde. Es duftet voll herber und doch süßer Frische, es duftet nach Jugend.
Die großen Kehren, in denen sich die Straße von Manderscheid abwärts zum Tal der Kleinen-Kyll schlängelt, fuhr ein Wagen hinunter. Ein Paar saß darin.
»Hott – hahr!« rief der Mann dem Pferdchen zwar zu, aber acht hatte er nicht. Gut, daß das Roß die Straße kannte! Vorsichtig bog es an den gewohnten Stellen um; sacht rollen die Räder zu Tal.
Und immer höher hob sich der Mosenkopf, der Herrscher, aus dem Gewirr all der niedrigeren Höhen. Der Mann im Wagen stand plötzlich auf, riß den Hut ab und grüßte den heimatlichen Berg mit langhallendem, jauchzendem Schrei. Ein trunkener Glanz lag dabei auf seinem Gesicht; die Zügel ließ er fahren und riß mit beiden Armen sein junges Weib zu sich in die Höhe.
»Kuckste, Tina, lao es hän, dän Mosenkop!« Er schwenkte noch einmal den Hut: »Boschur! Ech sein eweil widder hei! On kuk hei, dat Tina es mein’ Frau – ech haon se! Hallo – ho, ho!«
Das Echo war erwacht und antwortete aus allen Schlünden und Schründen. Die stille Nacht ward plötzlich laut, wie erschreckt von der starken Stimme. Im Gebüsch rauschten Vögel, ein aufgescheuchtes Reh setzte in Sprüngen über den Weg, und ein Fuchs stahl sich schlau beiseite. Zurück gen Manderscheid, und unten den Bach im Grund entlang, bis hinauf zum Mosenberggipfel und noch höher, bis an die Wolken, bis zum blanken, glänzenden Rund des Mondes gellte der Ruf:
»Dat Tina es mein’ Frau – ho, ho!«
Hannes schlang den linken Arm um den Nacken seiner Jung-Angetrauten, er mußte sich ein wenig stützen; aber es war nicht all der genossene Hochzeitswein, der ihn taumeln machte. Mit der Rechten wies er hinauf zum Berggipfel. Der Wind streichelte den Kopf des alten Riesen; jeder Grat, jedes Grätchen, jede Schrunde, jeder Riß war sichtbar im vollen Licht. Auch auf des Hannes Gesicht lag Mondglanz, aber da war noch keine Falte, kein Fältchen – alles glatt.
Ausgelassen rief er:
»Tina, kuckste hei dän Mosenkop? Dän es nach meinem Gu[2]! Lao stieht hän schon an de dausend Jaohr on kehrt sich’n Dreck, wat de Welt micht. Siehste, hei bauen ech noch ehs en schien Haus. Groß muß dat sien on kommod. Dann siehn ech de Mosel on dän Rhein, on ech spucken de Leut uf dän Kop!«
Hatte er zu viel getrunken? Die junge Frau hielt ihn fast ängstlich am Arm fest. Drei Tage hatten sie Hochzeit gefeiert, dann waren sie heut morgen von Hause fort – sollte der Abschiedstrunk, den die Verwandten und Gefreundten ihnen kredenzt, als sie schon auf dem Wagen saßen, noch so nachwirken?! Sie suchte seinen Blick, aber er erwiderte ihn nicht; er sah sie gar nicht. Glänzend waren seine Augen auf den Berg gerichtet. Und er reckte sich, atmete tief und brach dann in ein so anhaltendes Gelächter aus, daß das Pferd die Ohren spitzte, den verständigen Trott aufgab und in ganz unvernünftigen Sprüngen, den Wagen hinter sich dreinschlenkernd, bergab jagte. Das ging wie der Blitz. Die Kehren hinab – rechtsum – linksum – die Ebereschenbäumchen an der Ansturzseite flogen wie Schatten vorüber.
Tina schrie erschrocken auf und haschte nach den Zügeln. Aber ihr Mann stand ihr nicht bei, er hatte sich hintenüber auf den Sitz geworfen und klatschte sich die Lenden. Angst?! Warum denn? Ei, das war gerad’ schön! Er ergriff die Peitsche, berührte noch die Seiten des Pferdes und hieb dann, derb knallend, in die Luft. »Hä, hä, voran gemach, hä, hä!«
Immer rascher, rascher. Tina hätte weinen mögen vor Angst. Windschnell waren sie unten. Nun verfiel das Pferd von selber in ruhige Gangart, denn der Weg war steinig, stieg bald und fiel bald, immer auf und ab, jeder Windung der Kleinen-Kyll folgend. Auch Hannes wurde ruhiger im nächtigen Schatten des tiefen Tals, dessen Grund der Mond nicht erreichte.
Er zog Tina an sich und küßte sie zärtlich verliebt; wahrhaftig, es tat ihm jetzt bitter leid, daß er sie geängstigt hatte.
Sie vergaß ganz, daß sie ihm eigentlich böse war wegen der tollen Fahrt – so leichtsinnig, ohne Zügel und Bremse!
Und sie flüsterten miteinander. Müde wurden sie darüber, und eine Sehnsucht stieg in ihnen auf nach dem Ehebett, das in der Mühle jetzt ihrer harrte, festlich bereitet von neuem, weißem, glattem Linnen für ein neues Glück.
Die Alten hatten Wohnung im Dorfe genommen und die Mühle dem jungen Paar ganz allein überlassen. Beim Sohn auf dem Altenteil zu bleiben, das paßte dem Müller-Matthes nicht; von seinem Vater selig her wußte er’s noch, wie unzuträglich es ist, wenn einer da ist, der noch kommandieren möchte, wo doch jetzt ein anderer zu kommandieren hat. »Wann Heu und Stroh beisammen kommen, dann entsteht leicht ein Brand«, und »man soll sich nicht austun, bevor man schlafen geht«, das waren Sprichwörter,