Gewalt gegen Frauen. Группа авторов
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Ausgangslage
Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt sind auch in der Schweiz ein weit verbreitetes gesellschaftliches Problem. Die Polizei rückt schweizweit mehrmals pro Tag deswegen aus, so beispielsweise dreizehnmal täglich im Kanton Zürich.[1] Im Jahr 2018 wurden 18’522 Straftaten polizeilich registriert, die dem Bereich der häuslichen Gewalt zugerechnet werden konnten; das sind 38% der für den häuslichen Bereich relevanten Straftaten. 73% der geschädigten Personen waren Frauen, 76% der beschuldigten Personen waren Männer. 49% der aufgeklärten vollendeten Tötungsdelikte ereigneten sich 2018 im häuslichen Bereich, ebenso 42% der Vergewaltigungen und 48% der Tätlichkeiten. Für 27 Menschen endete die häusliche Gewalt tödlich.[2] Häusliche Gewalt kostet die Schweiz vorsichtig geschätzt mindestens 164 Mio. Franken pro Jahr, alleine die Kosten für Polizei und Justiz belaufen sich auf rund 49 Mio. Franken jährlich.[3]
Angesichts dieses Ausmasses und der einschneidenden individuellen und gesellschaftlichen Folgen ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt[4] auch für die Schweiz von grosser Relevanz. Das Abkommen wurde am 11. Mai 2011 vom Ministerkomitee des Europarats in Istanbul zur Unterzeichnung aufgelegt; es wird daher auch als Istanbul-Konvention bezeichnet.
Die Schweiz unterzeichnete das Übereinkommen am 11. September 2013, am 1. April 2018 trat es in Kraft. Aktuell haben alle Europaratsmitgliedstaaten mit Ausnahme von Aserbaidschan und Russland die Istanbul-Konvention unterzeichnet oder bereits ratifiziert. Als erste internationale Organisation hat die EU das Übereinkommen am 13. Juni 2017 unterzeichnet.[5]
Grundzüge der Istanbul-Konvention
Struktur[6]
Die Istanbul-Konvention ist das bisher umfassendste internationale Übereinkommen, das sich die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zum Ziel gesetzt hat. Europaweit ist sie das erste bindende Instrument, das Betroffene vor jeglicher Form von Gewalt schützt.[7] Die Eckpfeiler dazu bilden die vier „P“ Prevention – Protection – Prosecution – integrated Policies, also Gewaltprävention, Opferschutz, Strafverfolgung und integrale, d.h. koordinierte und aufeinander abgestimmte politische Massnahmen. Ziel ist es, die verschiedenen nationalen Gesetzgebungen im europäischen Raum und darüber hinaus zu harmonisieren, die Gewalt gegen Frauen und die häusliche Gewalt auf einem europaweit vergleichbarem Standard zu verhüten und zu verfolgen und die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den Vertragsstaaten zu intensivieren und zu vereinfachen.[8] Die Konvention ist in 12 Kapitel und 81 Artikel gegliedert (Abb. 1):
Abbildung 1:Strukturelle Übersicht Istanbul-Konvention | |
Struktur: 12 Kapitel und 81 Artikel | |
I | Zweck, Begriff, Gleichstellung, allg. Verpflichtungen Art. 1-6 |
II | Koordinierte politische Massnahmen, Finanzierung, Daten Art. 7-11 |
III | Prävention Art. 12-17 |
IV | Schutz und Unterstützung Art. 18-28 |
V | Materielles Recht Art. 29-48 |
VI | Ermittlungen, Strafverfolgung, Verfahrensrecht, Schutzmassnahmen Art. 49-58 |
VII | Migration und Asyl Art. 59-61 |
VIII | Internationale Zusammenarbeit Art. 62-65 |
IX | Überwachungsmechanismus Art. 66-70 |
X-XII | Verhältnis zu anderen völkerrechtlichen Übereinkommen, Änderungen des Übereinkommens und Schlussbestimmungen Art. 71-81 |
Die Istanbul-Konvention findet auf alle Formen von Gewalt gegen Frauen Anwendung, einschliesslich der häuslichen Gewalt, welche Frauen unverhältnismässig stark betrifft (Art. 2 Abs. 1). Zudem will sie einen Beitrag zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau leisten und die Gleichstellung von Frau und Mann fördern. So müssen die Vertragsstaaten namentlich psychische, physische und sexuelle Gewalt, Stalking, Zwangsheirat, die Verstümmelung weiblicher Genitalien sowie Zwangsabtreibung und Zwangssterilisierung für strafbar erklären.[9] Aber auch die Verpflichtung zu Präventiv- und Schutzmassnahmen sind enthalten. Weiter werden die Vertragsstaaten ermutigt, das Übereinkommen auf alle Opfer häuslicher Gewalt anzuwenden (Art. 2 Abs. 2), also unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung, und dies in Friedenszeiten als auch in Situationen bewaffneter Konflikte (Art. 2 Abs. 3).
Präambel
In der Präambel wird festgehalten, „dass die Verwirklichung der rechtlichen und der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern ein wesentliches Element der Verhütung von Gewalt gegen Frauen ist“, die Tatsache anerkannt, „dass Gewalt gegen Frauen der Ausdruck von historisch gewachsener ungleicher Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern ist, die zur Beherrschung und Diskriminierung der Frau durch den Mann geführt haben“, sowie „dass Gewalt gegen Frauen als geschlechtsspezifische Gewalt strukturellen Charakter hat“ und „einer der entscheidenden sozialen Mechanismen ist, durch den Frauen in eine untergeordnete Position gegenüber Männern gezwungen werden“.
Koordinierte politische Massnahmen (Kapitel II)
Die Vertragsstaaten verpflichten sich, umfassende und koordinierte politische Massnahmen zu beschliessen und umzusetzen (Art. 7), angemessene finanzielle und personelle Mittel für die Umsetzung zu gewähren (Art. 8), mit im Feld aktiven nichtstaatlichen Organisationen und der Zivilgesellschaft wirkungsvoll zusammenzuarbeiten und diese zu fördern und zu unterstützen (Art. 9) sowie statistische Daten zu allen durch das Übereinkommen umfassten Gewaltformen zu sammeln und aufzuschlüsseln (Art. 11).
Prävention (Kapitel III)
Im Präventionskapitel werden sowohl Massnahmen zur Primärprävention wie allgemeine Sensibilisierungskampagnen (Art. 13), Allgemeinbildung zu Gleichstellungs- und Gewaltthemen im gesamten Bildungssystem (Art. 14) oder in den Medien (Art. 17) genannt als auch Massnahmen zur Sekundärprävention wie berufsspezifische Aus- und Weiterbildungen (Art. 15) oder Lernprogramme für Täter und Täterinnen (Art. 16).
Schutz und Unterstützung (Kapitel IV)
Unter den Schutz- und Hilfsmassnahmen sind die Vertragsstaaten aufgefordert, Opfer über Hilfseinrichtungen und Rechtswege in einer für sie verständlichen Sprache zu informieren (Art. 19), Schutzunterkünfte in ausreichender Zahl zur Verfügung zu stellen, insbesondere für Frauen und ihre Kinder (Art. 23), eine kostenlose, rund um die Uhr verfügbare Telefonberatung einzurichten (Art. 24), spezifische Unterstützungsangebote