Gewalt gegen Frauen. Группа авторов
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Materielles Recht (Kapitel V)
In Kapitel V werden die notwendigen Zivilverfahren und Rechtsbehelfe sowie Möglichkeiten für Schadenersatz und Entschädigungsforderungen für Opfer genannt (Art. 29–30), es wird auf die Berücksichtigung von Gewaltvorfällen bei Besuchs- und Sorgerechtsentscheiden hingewiesen (Art. 31), die strafbar zu erklärenden Gewaltformen aufgezählt (Art. 33–42) und weitere für das materielle Recht relevante Punkte, wie z.B. Gerichtsbarkeit und Sanktionen, geregelt (Art. 43–48).
Polizeiliche Ermittlungen, Strafverfolgung, Verfahrensrechte und Schutzmassnahmen (Kapitel VI)
Die Vertragsstaaten werden zu umgehenden Schutzmassnahmen für die Opfer verpflichtet (Art. 50), zur Errichtung eines Bedrohungsmanagements, um wiederholte Gewaltvorfälle abwehren zu können (Art. 51), zur Verfolgung der Straftaten von Amtes wegen, auch wenn das Opfer seine Aussage oder Anzeige zurückzieht (Art. 55), sowie zu opferfreundlichen Massnahmen im Strafverfahren, wie beispielsweise die Einbindung der Opfer in den Prozess oder die Information über dessen aktuellen Stand (Art. 56).
Migration und Asyl (Kapitel VII)
Dem Bereich Migration und Asyl ist ein eigenes Kapitel gewidmet, wonach für Gewaltopfer bei besonders schwierigen Umständen auf Antrag ein von der Ehefrau oder dem Ehemann unabhängiges Aufenthaltsrecht gefordert wird (Art. 59), geschlechtsspezifische Gewalt als Form der Verfolgung anerkannt werden soll (Art. 60) und das Non-Refoulement-Gebot verankert ist (Art. 61).
Internationale Zusammenarbeit und Überwachungsmechanismus (Kapitel VIII und IX)
Im Kapitel über die internationale Zusammenarbeit werden die Pflichten zum Informationsaustausch über gefährdende Personen (Art. 63) und zum Datenschutz (Art. 65) ausgeführt. In Kapitel IX wird der Monitoring-Mechanismus für eine effektive Umsetzung des Übereinkommens geregelt.
Angebrachte Vorbehalte der Schweiz
Die Istanbul-Konvention eröffnet den Vertragsstaaten in Art. 78 die Möglichkeit, Vorbehalte, welche sehr restriktiv gehandhabt werden, anzubringen. Die Schweiz hat die vier folgenden Vorbehalte angebracht:
Art. 44 Abs. 1 Bst. e – Gerichtsbarkeit bei Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Schweiz haben: Im schweizerischen Strafrecht ist der gewöhnliche Aufenthalt per se kein Anknüpfungspunkt für die Ausübung der schweizerischen Gerichtsbarkeit. Massgebend sind namentlich der Ort der Begehung der Tat bzw. die Staatsangehörigkeit von Tatperson oder Opfer, weshalb hier die Schweiz von der Vorbehaltsmöglichkeit Gebrauch macht.[10]
Art. 44 Abs. 3 – Gerichtsbarkeit für bestimmte, im Ausland begangene Straftaten: Im schweizerischen Strafrecht sieht Art. 5 StGB[11] den Verzicht auf die doppelte Strafbarkeit für bestimmte im Ausland begangene sexuelle Straftaten dann vor, wenn diese gegen Minderjährige, nicht jedoch wenn sie gegen Erwachsene gerichtet waren. Für die Tatbestände Zwangsabtreibung und Zwangssterilisation sind ebenfalls keine entsprechenden Bestimmungen im StGB vorgesehen. Deshalb nimmt die Schweiz die Vorbehaltsmöglichkeit bezüglich der Gerichtsbarkeit von im Ausland begangener sexueller Gewalt gegen Erwachsene (Art. 189 und 190 StGB) sowie Zwangsabtreibung und Zwangssterilisation (Art. 118 Abs. 2 und 122 StGB) in Anspruch.[12]
Art. 55 – Verfahren auf Antrag und von Amtes wegen: In der Schweiz sind die gemäss Istanbul-Konvention massgeblichen Straftatbestände, mit teilweiser Ausnahme der einfachen Körperverletzung (Art. 123 StGB), als Offizialdelikte ausgestaltet. Einfache Körperverletzung wird dann von Amtes wegen verfolgt, wenn sie sich u.a. gegen ein Kind, den Ehegatten oder die Ehegattin oder den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin richten. Somit bleibt ein Randbereich von konventionsrelevanten leichten Formen körperlicher Gewalt, die nicht von Amtes wegen verfolgt werden (z.B. einfache Körperverletzung gegen Frauen im öffentlichen Raum oder im privaten Raum unter Geschwistern), so dass die Schweiz hier von der Vorbehaltsmöglichkeit Gebrauch macht.[13]
Art. 59 – Aufenthaltsstatus: Opfern einer Gewaltform der Istanbul-Konvention, deren Aufenthaltsstatus vom Zivilstand der Ehe oder eingetragener Partnerschaft abhängt, ist bei einer Auflösung dieser Ehe oder Partnerschaft eine eigene Aufenthaltsgenehmigung von begrenzter Dauer zu gewähren.[14] Bei Vorliegen wichtiger persönlicher Gründe (z.B. Opfer ehelicher Gewalt) haben Ehegattinnen und Ehegatten von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern sowie Niedergelassenen nach Art. 50 AIG[15] einen Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nach Auflösung der Familiengemeinschaft, nicht aber Ehegattinnen und -gatten von Jahres- und Kurzaufenthaltern; die Schweiz nimmt deshalb die Vorbehaltsmöglichkeit in Anspruch.[16]
Überwachungsmechanismus
Die Istanbul-Konvention verfügt über einen Überwachungsmechanismus, mit dem die Einhaltung ihrer Bestimmungen geprüft wird. Dieser Überwachungsmechanismus basiert auf zwei Säulen: der Expertengruppe zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt GREVIO (Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence) und dem Ausschuss der Vertragsstaaten (Committee of the Parties), einem politischen Organ aus offiziellen Vertreterinnen und Vertretern der Vertragsstaaten des Übereinkommens.[17]
GREVIO besteht aus 15 Mitgliedern. Die Aufgabe von GREVIO[18] besteht im Monitoring der Umsetzung der Konvention durch die Vertragsstaaten, dabei kann sie generelle Empfehlungen zur Umsetzung der Konvention verabschieden. Sie prüft die Staatenberichte und kann auch Länderbesuche vorsehen. Der Ausschuss der Vertragsstaaten[19] ist für die Wahl der GREVIO-Mitglieder zuständig. Er kann aufgrund der Berichte und Schlussfolgerungen von GREVIO Empfehlungen an die Vertragsstaaten erlassen.
Die Schweiz gibt GREVIO in Form eines Staatenberichts Auskunft über den Stand der Umsetzung der Istanbul-Konvention. Nichtregierungsorganisationen (NGO) haben die Möglichkeit, Schattenberichte einzureichen. Der erste Staatenbericht der Schweiz ist im Februar 2021 einzureichen.[20] Dieser erste Bericht wird als „Baseline-Report“ bezeichnet und stützt sich auf einem umfangreichen Fragebogen[21] von über 210 Fragen und Unterfragen Auskunft über den aktuellen Stand der Umsetzung geben soll.
Umsetzung der Istanbul-Konvention in der Schweiz
Gemeinsames Vorgehen von Bund und Kantonen
Die Umsetzung der Istanbul-Konvention ist eine Querschnitts- und Verbundaufgabe, die in unterschiedlichen Politikfeldern, auf unterschiedlichen föderalen Ebenen und unter Einbezug der Zivilgesellschaft erfolgt. Neben Bund und Kantonen sind es Fachpersonen aus einem breiten Spektrum von öffentlichen und privaten Stellen, die in der Schweiz mit Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Berührung kommen und in ihrem professionellen Alltag einen Beitrag zur Umsetzung der Konvention leisten – sei es in der Gewaltprävention, der Unterstützung von Gewaltopfern und von gewaltausübenden Personen oder in der Strafverfolgung. Für eine wirksame Umsetzung der Istanbul-Konvention braucht es das Engagement des Bundes, der Kantone und der Zivilgesellschaft.
Auf nationaler Ebene ist das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) für die Umsetzung und die Berichterstattung an den Europarat zuständig. Das EBG koordiniert auch die Umsetzung der Massnahmen des Bundes. Auf interkantonaler Ebene koordiniert die Schweizerische Konferenz gegen Häusliche Gewalt (SKHG) im Auftrag der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) und der Konferenz der kantonalen