Ein Plus für die Demokratie. Thomas Pfisterer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ein Plus für die Demokratie - Thomas Pfisterer страница 7
Für diese Beziehungen zwischen EU und Drittstaat haben sich verschiedene Formen der Verbindung entwickelt[9]. Die EU spricht von «Assoziierung» oder von «Assoziierungsabkommen» (so in Art. 217 AEUV), auch betreffend die Schweiz[10]. Ausserdem kann ein Drittstaat von sich aus seine (landeseigene) Rechtsordnung dem EU‑Recht angleichen. Man nennt diese Form in der Schweiz (hinten Ziffer 6.1.1) gemeinhin «autonomer Nachvollzug»; damit kann indessen kein Zugang zum Binnenmarkt erwirkt werden.
Der EWR als wichtigstes Beispiel
Der EWR[11] (hinten Anhang 2) ist die binnenmarktähnlichste Verbindung, welche die EU mit Drittstaaten kennt. Heute besteht der EWR aus den EU‑Mitgliedstaaten sowie aus Island, Liechtenstein[12] und Norwegen. Sie sind die drei EWR/EFTA-Staaten. Trotz EWR bleiben sie EFTA-Mitglieder, wie es die Schweiz ist. Die Beziehungen zu ihnen sind für die Schweiz bedeutungsvoll. Die EFTA[13] ermöglicht ihr, an deren Freihandelsaktivität teilzunehmen und die Verbindung mit den EWR/EFTA-Staaten besonders zu pflegen. Das EWR-Abkommen setzt sich zusammen aus dem Grundvertrag (mit 129 Artikeln), 22 Anhängen und 50 Protokollen sowie den relevanten EU‑Rechtsakten (EU‑Richtlinien, EU‑Verordnungen, Entscheidungen usw.), auf die darin verwiesen wird. Der EWR enthält einen Mechanismus zur regelmässigen Übernahme der einschlägigen EU‑Rechtsakte, mithin eine Rechtsübernahmepflicht. Angepasst werden bei den Rechtsübernahmen meist die Anhänge. Das Muster des EWR ist anspruchsvoll[14]. Immerhin funktioniert der EWR nun seit mehr als 25 Jahren. Er wird von den EWR/EFTA-Staaten als Erfolg dargestellt[15]. Allerdings wird auch auf politische Mängel an Einfluss und Kontrolle, auf Parlaments- und Demokratiedefizite, ein Ungleichgewicht in den Machtverhältnissen, zeitliche Umsetzungsmängel, den teils schwierigen Umgang mit EU-Agenturen usw. hingewiesen (hinten Ziffer 5.5, 7.4)[16].
Der EWR wird in der EU als Referenzgrösse benutzt, um andere Drittstaatenverbindungen zu beurteilen[17]. Die EU bemüht sich mit weiteren Drittstaaten, die für eine Teilnahme am Binnenmarkt geeignet sind, Regelungen zu vereinbaren, die dem EWR ähnlich sind. Die EU überprüft die Beziehungen zu den verschiedenen Drittstaaten, auch diejenigen zur Schweiz, periodisch, so geschehen 2019[18].
Interessenwahrung durch Drittstaaten bei der Vorbereitung der Rechtsübernahme: «decision shaping»
Das Zwei-Säulen-Prinzip[19] soll die Kombination zwischen den Zielen der Ausweitung des weiter entwickelten EU‑Rechts sowie der Wahrung der Eigenständigkeit des Drittstaats ermöglichen[20]. Zu diesem Zweck soll ein Interessenausgleich[21] erreicht werden. Diesen sollen die EU und der Drittstaat gemeinsam vorbereiten. Er gelingt eher, wenn die Drittstaaten ihre Interessen schon im EU‑Gesetzgebungsverfahren wahrnehmen dürfen und nicht auf die Vertragsverhandlungen nach der Verabschiedung des zu übernehmenden EU‑Rechtsakts vertröstet werden.
Die Schweiz und ihre damaligen EFTA-Partner bemühten sich ursprünglich, auf die Weiterentwicklung des EWR-Rechts einen gleichen Einfluss wie die EU-Mitgliedstaaten zu erreichen. Diese institutionelle Gleichstellung misslang. Die EWR-Verhandlungen endeten mit einer «Integration ohne Mitentscheidung»[22]. Um sich dennoch an den wirtschaftlichen Vorteilen des europäischen Wirtschaftsraumes zu beteiligen, musste die Gesetzgebungsautonomie der Europäischen Gemeinschaft (heute EU) über die Fortentwicklung ihres Rechts anerkannt werden. Normalerweise entwickelt jedes Gesetzgebungsorgan den Inhalt seiner künftigen Gesetze selbst. Anders hier: Die EWR/EFTA-Staaten, obwohl Nicht-EU-Mitglieder, erhielten das Recht, wenigstens am EU‑Gesetzgebungsverfahren mittels «decision shaping» teilzunehmen (im Rahmenabkommen hinten Ziffer 10.3). Sie sollen bei der Ausarbeitung der EU‑Rechtsakte ihre Interessen wahrnehmen, gleichsam als Gegengewicht zur Rechtsübernahmepflicht, um später einen «blinden» Nachvollzug zu vermeiden[23]. Für die EU ist das «fremder» Einfluss, von aussen.
1 Erläuterungen InstA, S. 5. ↵
2 Behrens, Rz. 2: Einheitliche Europäische Akte 1986 und Maastricht Vertrag 1992. ↵
3 Arioli, Ziffer 1.1. ↵
4 Zum ganzen Binnenmarktrecht Arioli, Ziffer 1.1 f., 3; zum ordnungspolitischen Ansatz der EU Behrens, Rz. 5 ff., 27 ff. ↵
5 Fossum, Segmented political order, S. 27 ff.; Batora/Fossum, S. 266 ff.; Frommelt, Ausnmahmeregelungen, S. 101 ff. ↵
6 Zur Marktöffnung Behrens, Rz. 184 ff. ↵
7 Norberg/Johannson, S. 21 ff. ↵
8 Häfelin et al., Rz. 1892. ↵
9 Fossum/Graver, S. 29 f., 31 ff. ↵
10 Herrnfeld, in: Schwarze u. M., Art. 217 AEUV, Rz. 1, 8 f.; Bieber et al, § 37 Rz. 25, 28; Oesch, Europarecht, Rz. 842, 844; Oppermann et al., § 41 Rz. 4 f., 8; Behrens, Rz. 184, 193 ff. ↵
11 Behrens, Rz. 186 ff.; Fossum/Graver, S. 43 ff.; Mech, S. 35 ff.; der Bundesrat im Zusammenhang mit der Option EWR Beitritt: Evaluationsbericht 2010, S. 7312 ff. ↵
12 Zu den Besonderheiten des Wegs von Liechtenstein siehe Gstöhl/Frommelt, S. 174 ff. ↵
13 Vgl. z.B. den letzten, 59. Jahresbericht unter https://www.efta.int/About-EFTA/news/EFTAs-Annual-Report-2019-517821 (besucht 7.5.2020). ↵
14 Vgl. die Auslegeordnung bei Frommelt, Prinzipien, S. 1 ff., oder Fossum/Graver, S. 45 ff., 84 f., 93 ff., 100 ff. ↵
15 Bericht 25 Jahre Liechtenstein im EWR, S. 37 f., 82 ff.; Gétaz, S. 9 f.; Norwegen im White Paper, S. 5. ↵
16 Fossum, Representation, S. 154 ff.; vgl. auch Oesch, Incorporation, S. 23 ff. ↵
17 Gétaz, S. 10 f., 14; Baur, decision shaping, S.18. ↵
18 Schlussfolgerungen des Rates