Eugénie oder Die Bürgerzeit. Heinrich Mann

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Eugénie oder Die Bürgerzeit - Heinrich Mann

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      Heinrich Mann

      Eugénie oder Die Bürgerzeit

      Saga

       Eugénie oder Die Bürgerzeit

      Coverbild/Illustration: Shutterstock

      Copyright © 1928, 2021 SAGA Egmont

      Alle Rechte vorbehalten

      ISBN: 9788726885699

      1. E-Book-Ausgabe

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

      Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

      www.sagaegmont.com

      Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

      Erstes Kapitel

      1873 eines Nachmittags im Sommer erhob die Luft sich leicht und so hell wie Perlen über den Gärten vor der Stadt. Die Fahrstraße stand leer. Sie war eine Lindenallee und zog dahin, bis der Blick sich unter den Baumkronen verlor. Wer anhielt vor dem Landhause des Konsuls West, sah seitwärts bis in die Tiefe seines Gartens. Man sah darin klar und schleierlos hingezeichnet die Gestalten, ihre Bewegungen beim Krocketspiel, sah Falbeln und Spitzen flüchtig aufwehen. Das glückliche junge Lachen der Konsulin war einmal genau zu hören.

      Sie gewann. Denn Leutnant von Kühn schob seinen Ball absichtlich derart, daß er der Konsulin zum Fortbringen des ihren diente. Sowohl ihre Kusine als auch Leutnant von Kessel widersprachen entschieden. Kessel tat es aus Eifersucht, Emmy Nissen nur, um zu zeigen, daß sie alles durchschaute. Nicht älter als Gabriele West, hatte sie mit zweiundzwanzig Jahren doch schon Schärfe in Ton und Gesicht. Eine mißglückte Heirat lag hinter ihr. Sie hätte, wäre nicht Gabriele dazwischengekommen, Konsul West geheiratet.

      Emmy hielt Gabriele für leichtsinnig. Die junge Frau war halb fremd hier. Als noch Unerwachsene, wenigstens Emmy erinnerte sich, verwechselte sie beim Sprechen eine Menge Worte. Seither hatte sie, wie ein kleines Kind, wieder von ihrer ersten Sprache das meiste verlernt. Sie war gefallsüchtig, wohl nicht anders, als alle dort unten; aber keine wendete nun einmal hierzulande den Kopf nach einem Herrn, wie sie nach Kühn gerade jetzt.

      Wäre sie nicht auch so liebenswürdig gewesen! Emmy warf es sich vor, wieviel sie selbst an Nachsicht gewährte – dem eigensüchtigen Kind, das niemanden liebte. Für ihren Vetter Jürgen fürchtete Emmy, daß Gabriele ihn vor allem geheiratet habe, um aus dem Mädchenpensionat herauszukommen. Mit den Offizieren spielte sie nur. Hätte sie wenigstens Herz für ihr Söhnchen gehabt! Auch das nicht. Die gleichaltrige Emmy seufzte, als trüge sie Verantwortung.

      Neben ihr seufzte Leutnant von Kessel. »Beherrschen Sie sich, mein Lieber!« riet Emmy ihm. Er sagte mit Schwermut – und sie war echt, mußte ihn freilich auch entschuldigen, wenn er Unerlaubtes dachte:

      »Wie Ihre Kusine bewundernswürdig das Kleid trägt! Es wäre leicht für die Gestalten, schön zu sein, wenn der Stoff sie nur abformen, sie einfach zeigen dürfte! Hier dagegen: fünf Lagen Rüschen, gebauschte Tunika, dennoch aber siegen die jungen Glieder. Die größte Robe wird lebend, wird durchsichtig und spielt um sie wie ein Quell.«

      Emmy war errötet; sogleich rief sie: »Gabriele!«

      Die Konsulin wollte laufend dort hinten im Gebüsch verschwinden, Leutnant von Kühn ihr nach. Beide hielten an.

      »Gabriele, Herr von Kessel wünschte sehr, eure Sonate mit dir zu spielen.«

      »Ich will aber schaukeln«, rief Gabriele zurück.

      Da war, schneller als jemand es denken konnte, der schwermütige Kessel ins Gebüsch gesprungen. Kaum, daß die langen Schöße seines Interim-Uniformrockes noch einmal hervorflatterten, fort war er. Die anderen fanden seine flache Infanteristenmütze im Grase liegen, wie nach einem Gefecht. Sie folgten ihm durch die bitter duftende Hecke, schon hatte er sich der Schaukel bemächtigt, schon der Dame die Kissen geordnet. Auch hielt er die Hände unter ihren Fuß, damit sie aufsteige. Zwei ihrer gespreizten Finger zupften am Kleid ein wenig, ihr Fuß erschien. Emmy errötete, Leutnant von Kühn verneigte sich.

      Er verneigte sich, sooft die Schaukelnde aus den schwankenden Wipfeln herab und auf ihn zu fuhr. Der Wind von ihren aufrauschenden Röcken bewegte seinen Schnurrbart. In seinem roten Gesicht blinzelten die hellen Wimpern. Er fragte:

      »Was hat davon nun Kessel, daß er sie schaukeln darf?«

      »Er hat die Ehre, mir Vergnügen zu machen«, sagte aus den Wipfeln die Konsulin.

      Ihre Kusine drunten sagte zu Leutnant von Kühn: »Wollen Sie mir, bitte, mein Album holen?«

      Er ging ohne Zögern. Er behauptete: »Es ist mir eine Auszeichnung«, – obwohl er schwer den Platz räumte. Inzwischen fragte Emmy:

      »Gabriele, würdest du Herrn von Kessel erlauben, daß er mir den Tisch aufstellt?«

      Die Konsulin lachte droben wie ein Kind, das begreift. »Wenn du mir nun alle meine Kavaliere weggenommen hast, was wirst du dann anfangen?«

      »Dich zeichnen, weil du hübsch aussiehst«, sagte die Kusine, schon kam Kühn mit dem Album. Sie machte einige Striche. »Ist es so?« fragte sie ihn. Es waren aber Buchstaben. Er las: »Sie werden sich zu mir setzen und uns von den Manövern unterhalten.«

      »Es ist so«, bestätigte er. Dann rief er aber Kessel, auch der Kamerad mußte den Befehl lesen.

      Die Manöver standen für den nächsten Monat bevor. Sie sollten weit fort in der Heimatprovinz der beiden Offiziere sein. »Warum nicht hier?« fragte Gabriele, gab ihrer Schaukel noch mehr Schwung, und dazu jauchzte sie. Ihre Stimme war melodisch und klein.

      »Das fehlte noch«, murmelte die zeichnende Kusine.

      Die Konsulin verlangte:

      »Daß die Herren mir nur pünktlich zum Herbst wieder da sind! An die Kostüme für unseren Maskenball können wir nicht früh genug denken.«

      Hierauf schwiegen beide Leutnants so lange, bis Gabriele erstaunte.

      »Warum auf einmal so still, und niemand schaukelt mich mehr?«

      Diesmal war Kühn der Schnellere. Um sie in Bewegung zu setzen, umspannte er von hinten ihre ganze Taille. »Der oder jener kann versetzt werden nach den Manövern«, sagte er, als sie aus der Luft in seine Hände zurückkehrte.

      »Ohne daß ich gefragt werde?« bemerkte die Konsulin, wieder auffliegend.

      Leutnant von Kessel betrachtete, was die Kusine zeichnete. Er lobte es, indes er aber dachte, es sei vergebens. ›Wer gab die Leichtbeschwingtheit wieder, dem Unglück fremd und abgeneigt. Wem gelang unter dem hohen, weichglänzenden Haar, das der Zopf krönte, dies ovale Gesicht, seine noch unbeschattete Helligkeit und freundlich ungeprüfte Lust‹ – dachte Kessel. ›Goldene Augen, leise gelöst der Mund mit Perlenreihe‹, dachte Kessel, ›wer sagt eure ganze zutrauliche Freundschaft zum Leben. Euren heiteren Himmel!‹

      Ihn

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