Eugénie oder Die Bürgerzeit. Heinrich Mann

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Eugénie oder Die Bürgerzeit - Heinrich Mann

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erkannte ihn an seinem hohen Schlapphut und dem gefalteten Plaid über der Schulter. Jeder hätte ihn erkannt.

      »Professor von Heines«, raunte Konsul West seiner Frau zu.

      »O Gott!« rief sie gedämpft. »Will er denn zu uns?«

      Sie grüßten ihn wohl auf der Straße; die ganze Stadt grüßte in dem alten Dichter ihren eigenen Ruhm. Aber er verkehrte bei ihnen nicht. Auf einmal stand er draußen, ja, wartete, daß sie ihn hereinholten. Hier half Emmy, dank ihren Beziehungen zur Kunstwelt.

      »Herr Professor«, begann sie mit tiefem Knicks. Schon war auch der Konsul angelangt und erbat weltmännisch die große Ehre. Heines trat ein.

      »Ich war auf einem Abendgang begriffen«, erklärte er, »als gewisse Beschwerden des Alters mich nötigten, zu rasten. Eine glückliche Fügung erlaubt, daß es geschehen darf im Licht der schönsten Jugend.«

      »Ah!« machte der Konsul aus wahrer Bewunderung. Die Konsulin sah mit groß geöffneten Augen, ob ehrfürchtig oder befremdet, in die des Dichters, – bis er sich über ihre Hände beugte.

      Er kam aus Ländern, wo man Damen die Hände küßte! Dort hatte er sein Leben verbracht, nur sein Alter gehörte der entlegenen Heimatstadt. Sie blieb im Grunde mit ihm unvertraut, sie hätte vergebens erraten wollen, welche Abenteuer, welcher Glanz oder unbekannte Schmerz fern hinter ihm verdämmerten. Seine Haltung drückte aus, daß er viel erfahren habe, aber stolz und keusch davon schweige. Sie drückte Abstand aus. Sein Gedicht und Geschick, das alle in Liedern lasen oder sangen, samt seiner Rolle als Herold der sich einenden Nation, alles erlebte er öffentlich und für ein Volk, nur war es keins in Atemnähe, es war ein innen angeschautes. Vor dem Leben hielt er zurück.

      In den schönen Augen dieser Dame aber hatte er die Spur von Tränen erblickt, vergossen um jenen abgehenden Mann, der gleichfalls weinte. Der Mann war vom Unglück gezeichnet, die Dame schön und jung. Nur der Dichter sah und verband, was anderen ohne Sinn blieb.

      Er dachte sich diesen Garten voll besonnten Jugendglückes, erst mit der Dämmerung schlich das Unglück sich ein, griff an und fand Entgegenkommen. Der alte Dichter wußte: Unglück wie Laster zogen an, sie lockten ungesund. Man ward wohl heftig, wie vorhin die junge Konsulin, im Grunde aber war man versucht. Das hatte gute Weile, noch gehst du, schöne Dame, und trägst den Kopf hoch. Für den Wissenden bist du dennoch gefährdet.

      Alle erstiegen die Terrasse, wo Windlichter brannten. Der Dichter ergriff das eine, er näherte es dem schönen Gesicht.

      »Ich schrieb noch kürzlich in ein südliches Land«, sprach er sorgfältig, »auch unter unserem Himmel wüchsen Helden und göttliche Frauen, er sei gefährlich wie irgendeiner.«

      »Danke, Herr Professor, danke«, erwiderten einstimmig die Leutnants, denn mit Recht bezogen sie dies auch auf sich. Sie nahmen die Absätze zusammen. In allem lag, daß sie ihre Pflichten gegen den Dichter kannten, wie er gegen sie die seinen. Unterdrückt lag auch noch Spott darin – zugleich mit Unsicherheit. Der Dichter warf den Kopf, sein weißer Knebelbart ward stolz gehoben, der Blick bekam Pathos.

      Der Konsul wünschte dem berühmten Gast seinen Sohn zu zeigen. Der Mutter fiel das Kind erst jetzt wieder ein. »Wo ist er? Jürgen!« Wieder begann das große Suchen. Der Junge war noch immer nicht zu Bett, keins der Mädchen kannte sein Versteck. Im Garten? Er fürchtete das Dunkel. Dennoch ward er dort zuletzt entdeckt, auch diesmal fand Leutnant von Kessel das Kind. Es lag auf dem Rasen, mit dem Gesicht im Hyazinthenbeet. Die Pflanzen dufteten nächtlich stark. Reglos lag es und atmete nur.

      »Sofort hierher!« rief der Konsul drohend. Als Jürgen aber kam, ward ihm vom Vater die Backe nur gestrichen, wie im Spiel. Der Vater lachte dabei wohlwollend. Ungeduldig war nachgerade die Mutter.

      »Ich kenne dich, du willst, daß ich mich ängstige!«

      Sie übergab das Kind dem Mädchen, damit es nur wegkomme.

      Einzig der alte Dichter hielt es an der Hand noch zurück. Er sah ihm streng in die Augen, dies Kind gefiel ihm nicht.

      »So lagest du und berauschtest dich?« fragte er – ließ das Kind aber los, bevor es antworten konnte; es verschwand gedemütigt.

      Konsul West und seine Gattin luden eindringlich zum Abendessen, dennoch überlegte der Dichter, ob hier seines Bleibens sei. Das Kind war sinnlichem Überschwang zugeneigt, der Verderbnis vielleicht bestimmt. Ihm drohte für die Zukunft ein Weg: ach! seine schöne Mutter betrat ihn schon. Verdächtige Gäste klopften hier an. Warum näherten frische junge Krieger sich den wankenden Mauern dieses Hauses? Tragisch war das Los des tätigen Mannes, der es errichtet hatte mit eigener Kraft, und dies Ende eines ganzen tüchtigen Bürgerstammes! Der Dichter war voll Eifer und Reinheit für die Dauer des Bürgertums, aller seiner Stämme. Er tat auch hier seine Pflicht. ›Dies Haus sei von den Göttern preisgegeben. Gleichviel, ich bleibe.‹

      Außerdem drängte sein altes Leiden ihn, noch zu verweilen. Er nannte es nicht, erklärte nur: »Ich holte es mir auf meinen Sängerfahrten«, und bat, sich für kurze Zeit zurückziehen zu dürfen.

      »Heines ist sonderbar«, sagte alsbald die Konsulin.

      Der Konsul lächelte. »Ihn wandeln menschliche Gefühle an.«

      Hierüber verzogen beide Damen das Gesicht, es war gewagt. Der Konsul konnte gewagt sein. Die Offiziere erlaubten sich nicht, zu lachen.

      Gabriele hatte nur sagen wollen, daß Heines trotz allem sich wichtiger nehme, als sie je geglaubt hätte. Freilich versicherte grade ihre unüberwindliche Befangenheit sie, daß er recht habe. Er wäre, für sich allein genommen, lächerlich gewesen, mit Glatze, Kopfrücken, erhabenem Blick. Aber hinter ihm gab es Welten,– er hatte sie gekannt, und sie verlor man nicht. Gabriele wußte es. Vor ihrem Innern erschienen zwei mit Standbildern gekrönte alte Säulen an einem besonnten, breiten Fluß.

      »Ich würde dich bitten, jetzt nicht zu träumen«, – der Konsul zog nur die eine seiner blonden Brauen hinan.

      Der Tisch war vorzubereiten. Während auch sie selbst dabei half, unterrichtete Fräulein Emmy Nissen doch die drei Herren über Eigenheiten des Ehrengastes. Sie war ihm in anderen Häusern begegnet; so weit entfernt die Ehrenplätze dort von dem ihren lagen, sie hatte sich umgesehen. Professor von Heines aß dies und jenes nicht, er trank vor allem keinen weißen Wein. »Sehr vernünftig«, bemerkte der Konsul.

      »So nennst du ihn nicht mehr lange«, verhieß seine Kusine ihm. Hierauf erwähnte sie noch auffallendere Eigenheiten Heines'.

      Der alte Dichter war empfindlich über jedes gewohnte Maß. Sie bat ihren Vetter dringend, seine Neigung für Gewagtes ganz zu unterdrücken.

      »Vor allem aber darfst du nie bezweifeln, daß alles, was er aus seinem Leben erzählt, auch wahr ist.«

      »Du glaubst doch nicht, daß er lügt?« fragte Gabriele, die geschlossene Hand an ihrer schmalen Wange.

      Emmy zuckte die Achseln.

      »Er dichtet, – und versteht mich alle wohl! Nichts anderes steht in der Welt für ihn obenan, einzig das Dichten.«

      Die Konsulin verzog den Mund. Aber der Konsul sagte:

      »Der Ansicht kann man sein.«

      Drittes Kapitel

      Die Tür

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