Eugénie oder Die Bürgerzeit. Heinrich Mann

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Eugénie oder Die Bürgerzeit - Heinrich Mann

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Sie! Begreifen Sie!«

      Der alte Mann beschwor dies leichte Wesen, das sich ihm widersetzte. Er kämpfte, man verstand nicht ganz, um was.

      »Die Sache ist, daß Sie endlich doch vom Unglück überzeugt sind. Verstehen Sie? Überzeugt, daß auch das Unglück kostbar, sogar liebenswert ist. Verwandelt, ihm hingegeben, erlöst durch das Unglück.«

      »Ich liebe Napoleon?« fragte sie ungläubig. »Auch noch, wenn er im Unglück ist?«

      »So wie mich, wenn ich geschäftliche Schwierigkeiten hätte«, sagte der Konsul aufgeräumt.

      »Nein. Die hat Pidohn«, sagte Gabriele.

      Den Dichter verdrossen die Vergleiche. »Meine tragischen Personen«, murmelte er gekränkt und weggewendet.

      In der eingetretenen Stille fragte die Kusine:

      »Wer soll den Napoleon spielen?«

      Es war die einfachste Frage, aber sie fiel in die Stille. Niemand wollte den Vorschlag kennen, an den alle dachten.

      Der Konsul begann:

      »Darf ich bemerken, Herr Professor, daß Sie noch vor kurzem das Unglück als eine Art Schande anzusehen schienen, oder es doch verkörperten in einer düsteren und fragwürdigen Abenteurergestalt, die in kein gutes Haus sollte eindringen dürfen?«

      Dies war der allgemeine Eindruck. Man schwieg, denn man fühlte wie der Konsul. Dieselbe Gestalt stand vor allen.

      Auch der alte Dichter war betroffen von seinen eigenen Widersprüchen. Jene junge Dame dort sollte vom Übermut und der Unwissenheit geheilt werden durch seine Erfindung. Es war eine Art Verabredung gewesen. So tragisch war es denn doch nicht gemeint. Er war unzufrieden. Hinzu kam, daß er seine Kräfte plötzlich erschöpft fand, daß es spät war und der für ihn bestellte Wagen ausblieb. Dies stieß ihm zu, eine halbe Stunde vor der Stadt, dreiviertel von seinem Haus!

      Die Luft war noch milder geworden, ein Regen schien nahe. Alle standen auf der dunklen Steinterrasse. Die Straße blieb leer, sie horchten. Weit entferntes Knarren und Kreischen – »es kommt von der andern Seite. Bauernwagen mit Gemüse, die Fischerkarren aus Suturp, sie fahren schon in der Nacht zur Stadt, denn morgen ist Markttag.«

      »Sie werden sich nicht zu den Kohlköpfen setzen wollen, Herr Professor«, äußerte der Konsul. »Dann bleibt nur übrig, daß Sie hier schlafen.«

      »Ihr Zimmer ist bereit«, versicherte seine Frau.

      Der Dichter antwortete ihnen nicht, oder sie verstanden nicht, was er etwa murmelte. Seine Laune ward immer schlechter. Er begriff nicht mehr, warum er hier den Abend verbracht, wozu sich erhitzt, überanstrengt, den Leuten ein Schauspiel geboten hatte. Jetzt war er ausgeliefert ihren Übergriffen und unzarten Scherzen. Sie weiter ertragen oder die Fahrt unternehmen auf einem holprigen Karren, der sein Tod sein konnte! ... Hier fuhr plötzlich sein Wagen vor. Im Geräusch der vielen Räder hatte man diese überhört.

      Alle verabschiedeten sich von ihm. Die Kusine bat ihn um eine Rolle in dem Stück, aber er antwortete nicht. Sie wohnte noch weiter draußen, die beiden Offiziere begleiteten sie. Er war erleichtert, es wäre noch gut gegangen. Da fiel aber vom Dach eine Katze. Sie hatte droben eine unliebsame Begegnung gehabt, soeben zischte sie noch drohend. Plötzlich rutschte sie hier auf dem Steinboden auseinander, als sei sie nur noch Fell. Schon aber tat das Tier einen Satz über das Geländer und verschwand im Dunkeln. Etwas verspätet, weil es zu schnell fort war, sagte der Konsul:

      »So stürze jeder Feind des deutschen Namens.«

      Es war aus einem Drama seines Gastes oder es konnte daraus sein. Der Konsul sprach es nicht besonders gehoben, fast ohne ironische Absicht, nur froh, daß es ihm so pünktlich eingefallen war. Die Verstimmung des Dichters, unverständlich wie sie war, ließ sich vielleicht doch mildern, wenn man ihn zitierte?

      Statt dessen zuckte Professor von Heines auf wie gestochen, er stieß einen Fluch aus und war von der Terrasse verschwunden, man dachte an den Sprung der Katze. Die Windlichter kamen ihm so schnell nicht nach, er gelangte im Dunkeln zu dem Wagen, er stolperte hinein.

      ›Meine Verse und eine Katze!‹ fühlte er, und mit Knirschen: ›Auch noch falsch zitiert.‹

      Damit fuhr er ab.

      Fünftes Kapitel

      Die andern folgten bis an das Gartengitter, sie verharrten dort eine Weile schweigend. Was war geschehen?

      »Siehst du, man darf nicht zitieren«, erklärte die Konsulin, als wäre ihr dies von jeher bekannt gewesen.

      »Das Stück wird er uns jetzt wohl nicht mehr schreiben«, vermutete Emmy Nissen.

      Leutnant von Kühn sagte zuversichtlich: »Dann machen wir es selbst.«

      »Schade doch.« Gabriele senkte den Kopf. Wer ihre Traurigkeit am schwersten mit ansah, war Leutnant von Kessel.

      »Ich gehe zu Herrn Professor von Heines«, versprach er ohne Besinnen. »Ich erweiche ihn.«

      Er zögerte, entschloß sich aber:

      »Befehlen Sie, Frau Konsul, daß ich auch Herrn Pidohn bitte?«

      »Um was?« fragte Gabriele hart. Er verlor sofort die Fassung.

      »Daß er den Napoleon spielt –?« sagte er zweifelnd.

      »Davon war nie die Rede.« Gabriele sah ihm in die Augen, wie weit er gehen werde. Ach, der Arme stammelte nur noch.

      »Mir schien, es ward an ihn gedacht.«

      Schon stockte Kessel. Gabriele ließ ihn stehn.

      Die Kusine wies darauf hin, daß es wetterleuchte.

      »Bei drohendem Gewitter sind alle Meinungsverschiedenheiten erklärt«, sagte sie zum Zweck der Versöhnung, worauf sie heimging im Schutz ihrer Herren. Das Ehepaar blieb allein.

      Der Konsul gähnte. Seine Frau fühlte zu gut, daß die Müdigkeit Maske, Jürgen aber unzufrieden war. Gleich beim Betreten des Hauses fing er an. Er blieb plötzlich stehen und sagte:

      »Das soll nun der Gipfel von allem sein?«

      »Was?« fragte die Frau, schon auf ihrer Hut.

      »Ein alter Mann«, – der Konsul blies durch die Nase, »erzählt Intimitäten von Leuten, die er nicht näher gekannt hat, macht aus ihnen etwas, das sie selbst nicht mehr verstehen würden, – und führt sich dabei auf wie verrückt.«

      »Du ärgerst dich, weil du ihn verstimmt hast«, antwortete die Frau, und sie betraten das Schlafzimmer.

      »Darf er, dessen ganze Tätigkeit taktlos ist, selbst so reizbar sein? Nun gut, er ist, was er ist. Wir sind nicht undankbar. Mag sein, als Fünfzehnjähriger –«. Er lauschte in die Luft. Durch seinen Kopf ging, schon vor Zeiten empfangen, eine überaus süße Wortmelodie.

      »Siehst du«, entschied Gabriele, nur damit er auch von allem übrigen, das noch kommen sollte, still sei, »Kessel kann aus seiner Elektra wenigstens zehn Seiten auswendig,

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