Eugénie oder Die Bürgerzeit. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Eugénie oder Die Bürgerzeit - Heinrich Mann страница 10
Gewiß blieb dies Wesen immer so unschuldig, daß er ihr mit dem heraufziehenden Ernst der Dinge nie kommen durfte. Auch dies war, wie er es wollte. Nur ward es nachgerade gewagt in diesen Tagen der sich nähernden Zusammenbrüche. Sie erreichten ihn schon manchmal, wie die Flut den Fuß. Er verlor schon, weil andere die Zahlungen einstellten.
Ihn selbst machte der Zustand unsicher, daher seine Fehler, dieser Streit. Die Wahrheit war ihm schließlich entfahren im Streit, wie sollte die Frau sie fassen. Unsicherheit hatte ihn auch bei den Zumutungen Pidohns befallen. Warum? Stand es mit ihm nicht mehr so fest und klar, wie er es dem Professor von Heines noch ausgemalt hatte? Blieb er von der Spekulation in seiner wahren Natur so unberührt nicht, wie seine strengeren, weil unversuchteren Väter? Wozu dann heucheln, sich sperren.
Pidohn spekulierte glücklich, er war im Begriff, der große Mann zu werden, den die ganze Stadt grüßt. Sogar Heines blieb unbeachtet, wo Pidohn auftrat. Den Augenblick nützen! Die Geschäftsverbindung nicht von der Hand weisen! So stand es nicht, daß man das durfte.
›Wie kam ich eigentlich dazu, seine Annäherungsversuche auszuschlagen?‹ fragte Konsul West sich unwillig erstaunt. ›Ein unüberlegtes Wort von mir war nicht die richtige Antwort auf die wohlerwogenen Vorschläge des Mannes. Er kennt unsere Chancen beiderseits, nicht umsonst kommt er grade zu mir. Ich vertrete, wenn wir zusammengehen, die Solidität und Vertrauenswürdigkeit.‹
Ja, Konsul West berechnete schon, daß in seinem Gefolge die Leute leichter ihr Geld wagen würden als wegen Pidohn. Er bemerkte selbst, bis wohin seine Gedanken führten. ›Wird das Wagnis zu groß‹, so beschloß er, ›ziehe ich mich rechtzeitig heraus und warne alle anderen.‹
Die Gelegenheit durfte nicht endgültig versäumt sein. Pidohn mußte herangeholt werden. Nach dem Geschehenen war es nicht mehr leicht. Seinesgleichen will eine Rolle spielen. Gut, er sollte sie in dem Stück des alten Heines spielen, so beschloß der Konsul. Auch der Dichter war deshalb zu versöhnen. Abgemacht? Er antwortete: »Abgemacht«, – womit er schon die Tür ins Schlafzimmer öffnete.
Die Kerze brannte, er erklärte sofort:
»Das Stück wird aufgeführt, und zwar auf der hinteren Veranda. Ich habe mich überzeugt, sie ist durchaus geeignet. Die Zuschauer werden im Garten sitzen, wir laden alles ein. Bist du zufrieden?« schloß er leicht und beugte sich über das Bett.
Schlief sie? Ihr Gesicht lag in den verschränkten Armen. Die zarten Arme waren naß von Tränen. Er horchte; nein, sie schlief nicht.
Sie war erwacht. Sie hatte lange, lange in einem äußeren Mauerwinkel der Kathedrale von Bordeaux auf ihre Mutter gewartet, die sie abholen sollte. Ihre Mutter war nicht gekommen. Angst hatte sie befallen, und mit Angst war sie erwacht. Was sie vorfand, war schlimm: die Mutter tot, ihr Mann im Zorn von ihr gegangen. Wen auf der ganzen Welt hatte Gabriele?
Dies grade fühlte, über sie gebeugt, auch der Konsul. Er fühlte: ›Sie ist weit her, eine kleine Fremde. Sie hat hier keine Verwandten, die mitzählen; und wenn sie auch vor den Leuten aus der Stadt so spricht, als gehörte sie zu ihnen, wer bleibt ihr, falls es ernst wird? Nur ich ... Ich ganz allein‹, fühlte er innig und küßte ihr Gesicht, den Streifen der Wange, der freilag.
Sie rührte sich nicht, obwohl sie jetzt gern bei ihm geweint, gern seinen Trost genommen hätte. Aber es war auch gut, ihn bitten zu lassen.
›Er kommt schon wieder‹, dachte ihr in die Arme gewühltes Köpfchen, indes die Kerze den warmen blonden Schein darüber spielte. ›Er muß merken, daß man sich so nicht benimmt. Das hat man davon.‹
Hiermit meinte sie nicht mehr nur ihren Mann, auch alle anderen Menschen, ja, das Leben. Es hatte keineswegs das Recht auf Unebenheiten oder Verfehlungen. Es mußte glatt und folgsam sein, sonst strafte dies Köpfchen es mit Verachtung.
Es war schwer genug, Gabriele mit der Aufführung des Heines'schen Stückes jetzt noch zu befreunden. Der Konsul nannte es eine Aufführung und sah darin eine Ehrung des Dichters. Für seine Frau gehörte es einfach zu den Maskeraden, von denen sie nach allen seinen Vorwürfen nichts mehr hören wollte. Er wußte natürlich, daß sie tief unglücklich gewesen wäre, hätte er ihr nachgegeben. Er hütete sich, er ließ nicht ab.
Sie machte immer neue Schwierigkeiten. Leutnant von Kessel sei vielleicht schon bei Professor von Heines gewesen, wenigstens habe er sich dazu erboten. Mit seiner Unerfahrenheit war er imstande, ihn noch mehr zu reizen; wer konnte wissen, ob er nicht alles endgültig verdorben hatte. Den Leutnant mußte sie vor allem zu sich bescheiden. Es geschah eines Tages, aber Kessel hatte nichts unternommen.
Zum ersten Male kam er in die Westsche Villa ohne seinen Freund Kühn, ja, am Vormittag zwischen zwei dienstlichen Pflichten. Gabriele war allein; der kleine Jürgen, der sie hätte schützen können, blieb unauffindbar. Sie empfing Leutnant von Kessel im vorderen Garten, von der Straße durfte jeder ihnen zusehn. Aber beobachtete man sie nicht vielleicht auch aus den Fenstern drüben? Hinter den dichtbelaubten Bäumen wohnten ältere Damen, die den harmlosesten Anblick zu interessant gefunden hätten. Sie ging mit Kessel ins Haus.
Ihre Besorgnisse wegen Professor von Heines hatte er mit einem Wort zerstreut, um so schwerer fiel ihr auf das Herz der Gang zu Pidohn. Sie sprach davon mit Überwindung. Der Leutnant erschrak.
»Sie, Frau Konsul, zu Herrn Pidohn!«
Sie klagte:
»Ich muß alles allein tun. Die Herren haben die Ausrede, daß sie beschäftigt sind. Liebhabertheater ist keinem wichtig genug.«
»Mir!« behauptete Kessel. Denn ihre Wünsche seien ihm wichtiger als alles. Jetzt vermaß er sich ernstlich, sowohl den Dichter als den Hauptdarsteller herbeizuschaffen. Sofort bekam sie ihren ganzen Hochmut zurück.
»Glauben Sie denn wirklich, daß ich bei dem Dichter noch jemand brauche? Ein Mensch, der den Kopf voll angeblich schöner Griechinnen hat! ... Nur ihre Schneiderin kennt er nicht!« sprach sie beiseite.
Der Offizier bewunderte im Gegenteil grade ihr Kleid, das weite, blütengleiche Gebilde aus Spitzen. Es bedeckte ausgebreitet den ganzen großen Sessel, aber viele ersehnte Schönheiten ließ es heimlich ahnen, verriet sie fast. Ein heißer Morgen endete, auch ihre Sorgen erschlafften die junge Frau, ihre Formen blieben unbewachter als üblich. Er war im Zweifel, ob unter dem Kleid ihre Füße sich nicht kreuzten und aneinanderschmiegten. Dieser von der Schwüle mattweiße Vorderarm jedenfalls hing aus zurückgefallenem Ärmel über der ovalen Lehne. Der Hals, die Schultern zeigten sich frei, der junge Mann wagte nicht hinzusehn. Aber sogar hinter geschlossenen Lidern hätte er deutlich jede der leichten Rundungen samt ihrem genauen Schimmer erkannt.
Er hörte sie wieder Pidohn nennen. Er habe wohl recht, sie wage sich nicht in das eigene Haus Pidohns. Was aber sonst? Sie wisse es nicht, sie müsse es finden, es koste was immer. Sie sprach wie in Verwirrung, die abergläubischste Furcht hatte sie sichtlich befallen.
Der junge Leutnant entrüstete sich innerlich über Konsul West, der seine zarte Frau solchen Qualen aussetzte. Er selbst betonte sogleich seine Ritterpflicht.
»Frau Konsul, mir ganz allein obliegt es, jenen Herrn wieder umzustimmen, wie ich und mein Kamerad ihn zuerst auch verstimmt haben. Das kann nicht Aufgabe einer Dame sein.«
»Möglich«, erwiderte sie nur. »Aber ich muß selbst mit ihm sprechen.«
Er sah, daß ihre Augen weiter wurden, sie schien sogar zu zittern. Dies gab seiner eigenen Person ein nie dagewesenes Gewicht. Er stand auf.
»Ich