Eugénie oder Die Bürgerzeit. Heinrich Mann

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Eugénie oder Die Bürgerzeit - Heinrich Mann

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      »Um die zweihundert Verse aufzusagen, muß er länger bei dir sitzen, als ich für richtig hielte.« Er sprach sehr höflich, dennoch belehrend, sogar strafend, den Ton ertrug sie nie.

      »Du kannst mir nichts vorwerfen. Du weißt, daß ich mich langweile, und du läßt mich allein. Mach mir wenigstens das Kleid auf!«

      Er tat es, dabei war er in keiner Stellung mehr, die große Strenge erlaubte. Die Kerzen zu beiden Seiten des Ankleidespiegels brannten, ihr Licht floß weich wie je über den zarten Rücken Gabrieles. Es hätte ihn auch diesmal bezaubert. Sie sagte aber nicht ohne Härte:

      »Mir immer meine Geselligkeit vorzuwerfen! Du hast gewußt, woher ich komme, was ich gewohnt bin.«

      »Gut, mein Kind« – schon ließ er sie los und trat fort. »Du bist es so gewöhnt, denn ihr lebtet auf einem großen Fuß. Daher hat dein Vater auch seine Geschäfte verkleinern müssen. Erlaube mir, dir zu sagen, daß ich es soweit nicht kommen lassen will.«

      Sie wußte keine Antwort, stampfte aber auf. Nur deshalb ward er noch schärfer, denn im Grunde bereute er, was er sagte, im voraus.

      »Du läßt dich von mir nicht lenken und hältst es für ein Verdienst; aber bei uns fällst du auf. Man spricht über dich.«

      Hier erbleichte sie, lachte aber.

      »Lache nicht!« befahl er. »Ich will nicht im Munde der Leute sein.«

      Jetzt erschrak sie ernstlich. Ihm schaden, das hatte sie nicht bedacht. Er war ehrgeizig, er wünschte seinen Mitbürgern zu gefallen. Es waren Züge, die sie begriff. Sie fürchtete, sich ihm verhaßt zu machen. Sie suchte seinen Blick, er aber bewegte sich schnell im ganzen Zimmer, er sah sie nicht. Um so stiller setzte sie sich in den Lehnstuhl neben dem Bett. Sie bedeckte sich sogar mit dem Kleide, das sie ausgezogen hatte, so sehr fühlte sie sich von ihm getrennt. Aber wohin er sich wendete, blickte sie ihm nach.

      Er stieß hervor:

      »Wenn es auch mich einmal träfe –. Eine geschäftliche Krise ist immer möglich. In diesen Zeiten, wo für so viele die Schwierigkeiten anfangen, – ich bin nicht gefeit. Willst du es wissen? Mir drohen Verluste, nur darum war ich beinahe versucht, auf Pidohn zu hören.«

      Er zitterte – doch nicht im Gedanken an Pidohn? Er fragte es sich.

      Hatte sie geantwortet, sogar gelacht? Er sah sich nach ihrem aus Ängstlichkeit zart lächelnden Gesicht mit Empörung um.

      »Wenn ich einmal allein stände, ich weiß niemand –«

      Schon wieder brach er ab, schluckte, sagte noch:

      »Vom Unglück darf hier nicht einmal die Rede sein.« Jetzt wußte er es: Heines war es. Heines und seine Erfindungen zitterten in ihm nach.

      Sie wäre jetzt aufgestanden und in das andere Zimmer gegangen, vielleicht sogar hinauf zum Kinde – nur fort. Sie war verstört, als werde eine neue, verhängnisvolle Hingabe von ihr verlangt. Sie fühlte: das geht nicht. Ich will es nicht. Das ist meine Sache nicht, dem bin ich nicht gewachsen.

      Er sah sie an, wieviel sah er? – und sagte: »Du hast im Kopf nur deine Maskerade. Wenn du aber glaubst, daß du noch lange mit Geld umherwirfst und dir den Hof machen läßt –. Geh lieber gleich zu dem Tor hinaus, durch das du in die Stadt gekommen bist.«

      Sie sprang auf. »Schäme dich!«

      Es klang hart, obwohl leise.

      »Du kannst nur immer verhindern und mich abschließen. So seid ihr wohl hier. Das sollte bei uns ein Gatte wagen! Aber was willst du, im Grunde ärgerst du dich über dich selbst, denn jetzt wird aus unserer Aufführung nichts, du hast Heines beleidigt.«

      Er drehte sich heftig weg, stieß die Tür zu der hinteren Veranda auf und war schon verschwunden. Sie lachte höhnisch hinterher, sie schlug mit den Armen großartig durch die Luft. Darauf glitt sie im Gegenteil ganz still ins Bett. Sie löschte ihre Kerze, zündete sie aber wieder an. Ihr war das Herz schwer. Sie fand das Leben empörend. Dann kamen ihr jedesmal Bilder von früher, – als hätte es ihr damals noch nichts versagt, nichts in den Weg gelegt.

      Sie sah den Salon im Hause ihrer Eltern am Cours de Gourgue zu Bordeaux. Die Möbel waren grüner Rips und mit Bronze beschlagen. Ihre Freundinnen ergingen sich dazwischen. Mehrere hatten Brüder mitgebracht, es ergab Paare, die sich mit den Augen suchten, indes alle, wohlerzogen und leicht, ihre Spiele miteinander trieben. Es war Sommer, in den Bildern Gabrieles war unverwandt Sommer. Die Läden blieben halb geschlossen, die Gesichtsfarbe der kaum erwachsenen Knaben war von edler gelber Blässe. Dem, der auch singen konnte, fiel eine glänzend schwarze Locke über das linke Auge.

      Ja, er stand neben dem Flügel, den ihre Freundin anschlug, sang die Romanze vom Friedhof, dem Gespenst, und fand, während beiden süß schauderte, die Augen Gabrieles.

      ›Habe ich nicht doch ihn, nur ihn geliebt?‹

      Gleich darauf vergaß sie ihn, denn ihre Mutter trat ein, sie selbst mit dem Tablett. Gabriele lief hin, sie nahm es ihr ab. Gabriele allein hier in ihrem Bett hatte ihre Mutter zurück, wußte nicht mehr, daß sie tot war, nahm ihr einfach das Tablett mit den Erfrischungen ab.

      Schon sah sie auch die Mutter nicht mehr. Sie stand als Kind neben der Magd bei einem Brunnen, aus dem sie beide Wasser holten. Es war ein Brunnen mit einer großen, steinernen Frau, die auf einem Knie ruhte, und mit Türen aus Schmiedeeisen. Man kam dorthin durch eine enge Gasse. Einst, als die Magd bei anderen schwatzte, ging Gabriele, das Kind, allein davon. Es war das erstemal, sie gelangte zuerst auf jene weite Terrasse, wo über dem Hafen die beiden Säulen ragen. Schiffsschnäbel stehen aus ihnen vor und die Plattform einer jeden behauptet ein stolzer Römer, – als führe er schwelgerisch droben durch den Himmel, der Meeresbläue hat. Es ist im Traum nicht schöner, als es damals war.

      Wäre das Kind nur nicht weitergelaufen bis auf die große Garonne-Brücke, die kein Ende nimmt. Die Weite ängstet es, und daß alle Menschen taub bleiben, obwohl es schreit. »Mama! Mama!« ruft die schlafende Gabriele ... Ach! Die Kathedrale. Plötzlich findet das Kind sich im Umkreis der großen Kirche, Gabriele in ihrem Bett sieht das Licht und den Schatten. Eine Straße dringt vom Dom her schmal in die Tiefen der Stadt, die Schatten fallen über die Häuser treppenförmig und so schroff, daß eine hellgebliebene Mauer sie blendet.

      Gabriele in ihrem Bett ist innen geblendet. Sie sucht auf den Vorsprüngen der Kathedrale ihre alten Bekannten, die steinernen Tiere. Vergebens blinzelt sie nach den launischen Gebilden, die schon ihre Kinderaugen erlernten. Fledermäuse, Katzen, dort hockt ihr, zeigt euch! Nein? So seid ihr. Ihr versteckt euch. In den vielen bemoosten Winkeln der alten Kirchenmauer verstecke ich mich selbst, Mama soll mich finden. »Mama!« Gabriele ruft es auch hier wieder. Aber es ist nur noch ein Hauch. Sie atmet langsamer und tiefer. Frau Konsul West ist eingeschlafen, sie hat den Streit mit ihrem Mann für den Augenblick vergessen.

      Konsul West draußen auf der hölzernen Veranda rauchte Zigaretten. Er hielt sich vor, daß er der Klügere sei und die Dinge in Ruhe ansehen müsse, indes die Frau sie aber nur noch in der Stille des Traumes betrachtete. Wie dumm fand er jetzt sein Wort von dem Tor, durch das sie gekommen sei und wieder gehn könne! In Wirklichkeit war er stolzer auf ihr fremdes Gesicht, als auf alle seine gefüllten Speicher.

      Ihre Leichtigkeit, diese schmalen Augen, die groß und sonnig wurden bei allem, was sie bestaunte, und das war viel: ja, schon der kupferne Schimmer auf ihrem noch immer nachdunkelnden Haar zeichnete sie in jeder Gesellschaft als einzig und

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