Eugénie oder Die Bürgerzeit. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Eugénie oder Die Bürgerzeit - Heinrich Mann страница 6
»Auch morgen ist wieder schönes Wetter und Frau Konsul lassen sich schaukeln«, verhieß der arme Kessel, schwermütiger als er selbst wußte. Nur der Dichter verstand ihn. Er ahnte einen demütigen und reinen Frauendienst, ihm ging von eigenen Erinnerungen das Herz auf. Kaum bedacht, schlug er an sein Glas, stand auf und sprach.
Er habe fremde Menschenart erfahren, viel Buntes, Wildes auf seinen Sängerfahrten. Blicke seien ihm eröffnet worden in die Abgründe violetter Meere und auch in Herzen, nicht weniger finster und stürmisch. Am Ende von allem aber wolle er allein noch seine Heimat kennen. Hier wirke Rechtlichkeit, heller Sinn, hier werde Maß gehalten, Gesundheit des Leibes und der Seele verbürge hier so Dauer wie Glück. Sie betrachteten ihn, sie wunderten sich, daß er es nicht in Versen sagte. Denn seine Augen leuchteten weihevoll, der Ton schwang sich hinan oder grollte. Freilich warf er den Kopf auch wie ein Schwan, sein blütenweißer Knebelbart stieg in die Luft, um seine Glatze tanzten vom Luftzug weiße Büschel. Im Grunde belächelten die Zuschauer ihn milde, nur wußten sie es selbst kaum bei ihrer Befangenheit. Sie blieben vor ihm befangen: sie dachten, weil er berühmt sei. Aber was ihre Geister ihm gefügig machte, saß tief, wie ein Glaube, der Glaube mehrerer Geschlechter an ihre Dichter.
Seine Rede inzwischen näherte sich ihnen, sie betrat dies Bürgerhaus selbst, atmete seinen Frieden, seine Zuversicht, sie ruhte in der Anmut grade dieser Frauen, und der Mut dieser Männer belebte sie. Dem Dichter ward das Auge feucht. Er verschmolz mit den Seinen, und sein waren alle, hier angefangen das Land auf und ab. Ihnen hatte er lange gesungen, ihnen schon vorzeiten ihr gemeinsames Schicksal gedeutet, vorhergesagt am Leibe Deutschlands die blutigen Einschnitte und den endlichen Sieg.
Der Sieg errungen, die deutsche Einheit heimgebracht, was blieb dem Alten übrig, als in die Hände der Jungen sein Amt zu legen. »Ich führte das Schwert wie ihr«, sagte er zu den jungen Kriegern ihm gegenüber. »Ich erhielt es so lange rein und stark, bis ihr den letzten Streich tatet.« Auch hierzu nickten die Offiziere.
Im stillen zweifelten sie, ob er nicht ein Wort zu viel sagte. Die Schlachten hatten sie allein geschlagen, beim Ernstfall hatte der Dichter immerhin gefehlt!
Er widerlegte ihre Gedanken auf der Stelle. Was war der Sieg – wenn nicht die Frucht und der Segen des Glaubens an unser Volk! Den Glauben hatte auch er selbst verbreitet. Ohne, daß für uns der Gedanke stritt, wo wären wir!
Jenes Schreckensbeispiel hatten wir vor Augen. Ein Krieg, den kein Geist und Dichter mitgekämpft hatte, nahm unserem geschlagenen Gegner sein Reich, er mußte den Weg des Elends ziehn.
»Ja, als Verbannter, verzweifelt schied er dahin am Anfang dieses Jahres!«
Hier horchten alle neu auf. Die Rede endete, bevor sie eine solche Höhe verlassen hätte. Der Trinkspruch umfaßte dies Haus, seine Herrin, die Freunde, die es hatte, besonders aber sein Land, das Land, das dem Hause Frieden und Wohlstand verbürgte. Er beschwor das Glück. Bleibe ihnen treu, o Glück, denn sie selbst, Haus und Land, sind treu.
Konsul West antwortete leicht, sogar witzig. Als er den Dichter stutzen sah, entschuldigte er sich. Wie hätte er nach einem solchen Redner noch aufstehen dürfen, außer um nichts zu sagen! Denn er war zum Sprechen vom Stuhl aufgestanden, damit nicht der Alte allein feierlich gewesen sei. Der Konsul trank auf den Ruhm. Er sagte, vollkommen ernst geworden, daß in der Welt, wie er sie kenne, das zugleich Geheimnisvollste und Glänzendste der Ruhm sei. Hier streckte er sein Glas dem Gast entgegen.
Blieb im reizbaren Gemüt des Dichters noch ein Schatten? Die Konsulin hielt ihm sein Bild entgegen, Kusine Emmy hatte es während seiner Rede entworfen. Er erkannte seinen Knebelbart, sonst nichts. Nachsicht mit der Armen stimmte ihn um. Er war schon halb im Aufbruch gewesen. Jetzt blieb er noch, und Leutnant von Kühn stellte die Frage, die vorhin in ihrem Innern alle erhoben hatten.
»Ist Napoleon wirklich tot?«
Professor von Heines setzte sich wieder. »Der Kaiser starb diesen 9. Januar 1873 zu Chislehurst in England. Schon auf der Höhe seiner Macht hatte ein Unbekannter ihm das Haus eingerichtet, wenn er stürzte. Wirklich ist er dort gestorben. Aber Sie haben es vergessen. So wird auch der Ruhm vergessen«, sagte er nicht ohne Vorwurf zu dem Konsul, der aber die Achseln zuckte.
»Man erinnerte sich wirklich des Mannes kaum noch«, meinte der Konsul.
»Nur er selbst erinnerte sich an alles«, sagte Heines. »Zuletzt hielt er die Hand seines Arztes und stöhnte: ›Sie waren mit bei Sedan.‹«
Der Dichter beschattete die Stirn, als sähe er zuviel. »Der Sterbende«, sagte er, »gedachte nicht der Tuilerien, nicht der Feste, auch seiner Siege nicht. Wir sterben, und als letztes haftet in unserem Geist das Unglück.«
Dies überraschte. Man hörte nachträglich noch immer den Dichter seine unbegrenzte Verehrung des Glückes bekunden. Jetzt nannte er das Unglück mächtiger.
»Seine Frau war nicht im Zimmer«, sagte Gabriele. Es schien ihr die natürliche Erklärung.
»Doch. Sie war zugegen.«
Da wußte auch Gabriele keine Erklärung mehr. Professor von Heines berichtete, getragen, wie er von seinem Leben sprach:
»Einst trat ich als Gast vor das kaiserliche Paar in seiner Größe –«
»War es ein Maskenball?« rief Gabriele sogleich. »Was trug Eugénie? Nun? Wie schade. Ich hätte mir gewünscht, daß Sie uns neue Maskenkostüme beschrieben. Wir kennen nur immer dieselben.« Sie verzog den Mund. »Zigeunerin, Odaliske, was noch?«
Die anderen waren belustigt, gewiß durch Gabriele, aber auch über Heines. Nicht einmal die Griechinnen, die er doch geliebt hatte, konnte er in seinen Gesichten von Kopf bis Fuß beschreiben, – sie aber verlangte von ihm die Trachten des Pariser Hofes!
Er entschuldigte sich übrigens für seine Unwissenheit, denn er lobte die Fragende.
»Ihr eigener länglicher Gesichtsschnitt, Madame, ja, das Blond Ihrer Haare ist das Ihrer früheren Kaiserin, – die aber nicht Ihre großen Augen hat«, schloß er mit Verbeugung.
Der Konsul dagegen fragte, als sei ein großer Arzt zugegen:
»Ist sie so kindlich nur geblieben, weil sie von dort unten kommt? Hat es denselben Grund, daß ich ihr immer nur gute Nachrichten bringen darf?« fragte er über den Tisch gebeugt, hinter der Hand.
Der Dichter aber antwortete öffentlich. Er wandte sich geradezu an die Dame selbst.
»Ihre schöne Kaiserin, der Sie ähnlich sehen, war keine schlechte Natur. Sie war von Grund aus unschuldig, war nicht ohne Freundlichkeit. Selbst ihre Gefallsucht glich dem Wunsch, zu erfreuen. Freilich verwandelte die mächtige Stellung, die sie einnahm, all dies nur zu bald in Herrschsucht. Das Spiel mit wechselnden Masken begünstigte ihre Launenhaftigkeit. Um sie her verfielen die Sitten.«
»Hu!« machte Gabriele.
»Auch die Angelegenheiten des Staates hielt sie bald nur noch für ihr Kostüm und ihre Laune, ja, sogar bei höchster Gefahr. So wurde sie der böse Geist ihres Gatten.«
Alle stimmten zu, denn es war bekannt, Eugénie habe den Krieg gewollt.