Unterrichtswelten – Dialoge im Deutschunterricht. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Unterrichtswelten – Dialoge im Deutschunterricht - Группа авторов страница 3

Unterrichtswelten – Dialoge im Deutschunterricht - Группа авторов

Скачать книгу

Die formale Vorgabe dient dazu, den Moment von Sprachlosigkeit darzustellen: das Suchen von Wörtern, das Fehlen von Wörtern, ihre Kargheit angesichts eines Ereignisses, das uns die Sprache verschlagen hat.

      Aufgabenstellung II

       (45 Minuten)

      Die Schüler*innen sollen ihre*n Banknachbar*in fragen, was der letzte Abschied war, den sie erlebt haben, und von ihnen auch dazu befragt werden. Über diesen Abschied sollen die Schüler*innen dann jeweils eine Erzählung aus der Ich-Perspektive schreiben und diese im Anschluss ihrem Banknachbarn/ ihrer Banknachbarin vorlesen, von dem oder der sie nur das Thema des Abschieds erfahren haben, aber keine Details.

      Aufgabenstellung III

       (60 Minuten)

      Die Schüler*innen sollen das Gedicht, das aus 30 je einsilbigen Wörtern besteht, in der Form einer Erzählung umschreiben, aber dabei die Erzählperspektive ändern: Wenn das Gedicht in der ersten Person geschrieben wurde, sollen sie es in der zweiten Person schreiben. Wurde es in der dritten Person geschrieben, soll es in der ersten Person umgeschrieben werden.

      Neuanfang

      Senthuran Varatharajah

      Annäherung (I)

      Einem Neuanfang muss ein Abschied vorausgegangen sein, zumindest ein Ende. Ein Neuanfang bezeichnet eine Zäsur. Diese Zäsur kann verschiedene Formen haben: ein neues Schuljahr, der Schulabschluss, ein Umzug, eine Trennung. Ein Neuanfang ist nicht einfach ein Anfang. Es gibt einen terminologischen Unterschied, der hörbar ist: bezeichnet das Wort Anfang einen objektiven Beginn, einen Beginn ohne Wertung, klingt in dem Wort Neuanfang ein Optimismus an, eine Zuversicht, die sich doppelt begründen lässt – aus dem Ende einer Vergangenheit, mit der man abgeschlossen hat, und aus einem Anfang, der eine andere Zeit verspricht.

      Wir sagen: „Das wird ein Neuanfang“, und meinen die Trennung von einem bestimmten Abschnitt in unserem Leben. Wir können uns von Dingen verabschieden, wir können uns von Menschen verabschieden. Wir können Dinge zurücklassen, Menschen zurücklassen. Das ist die Bedingung der Möglichkeit eines Neuanfangs: ein Abschied, der vollzogen werden kann, der vollzogen wurde.

      Annäherung (II)

      Neuanfang. Ein literarisches Beispiel. Obwohl es einen terminologischen Unterschied zwischen Anfang und Neuanfang gibt, gibt es dennoch etwas, was diese beiden Wörter über ihre eigene Differenz hinweg zusammenhält, wir könnten sagen: eine begriffliche und substantielle Gemeinsamkeit. Es gibt einen Unterschied: ob am Anfang oder im Anfang gesagt wird. Die Elberfelder Bibel bleibt konsequent: sie entscheidet sich immer dafür, im Anfang zu sein, 1. Moses 1:1, Johannes 1:1. D.h.: Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde. Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.

      Es gibt zwei Möglichkeiten, die Präposition im zu verstehen: zeitlich – als Augenblick in einer Zeitspanne; räumlich – als Position in einem Raum. Das im zeitlich zu interpretieren liegt nahe; es räumlich zu verstehen irritiert: Es gab bereits einen Anfang, einen Anfang vor dem Anfang, ein Anfangen bevor etwas angefangen hat; aber der Anfang vor dem Anfang – dieser Anfang: Wie nennen wir ihn? Gibt es einen Namen, einen anderen Ausdruck? Einen Begriff?

      Wenn es diesen Begriff gäbe, dann scheint er – in der Erzählung des Alten und des Neuen Testaments – vor der Sprache zu liegen, vor dem Sprechen. Erst nach dem Anfang nach dem Anfang, erst nach dem Anfangen nach dem Anfangen gibt es Himmel und Erde; das Wort; etwas, das da ist; etwas, das sagt. Über den Anfang – und ein Neuanfang lässt sich nur verstehen, wenn die Idee des Anfangs begriffen wurde – wurde in der Geschichte der Philosophie immer schon nachgedacht. Auch Aristoteles‘ Überlegungen zur Bewegung – und die Zeit ist, in unserer Vorstellung, eine Bewegung, die sich nicht aufhalten lässt – können als eine Reflexion über den Anfang verstanden werden. Wenn es Bewegung gibt, dann muss es etwas geben, das das, was bewegt wurde, das Bewegte, in Bewegung gebracht hat. Aristoteles führt jede Bewegung notwendigerweise auf eine Urbewegung zurück, die am Anfang der Bewegung, am Anfang aller Dinge steht. Aristoteles nennt sie den unbewegten Beweger. Ein Anfang ist also immer auch eine Konstruktion: Ein Anfang lässt sich zwar in den meisten Fällen mit einer gewissen Sicherheit bestimmen, aber diesem Anfang ist immer bereits etwas anderes vorausgegangen, was einem Anfang, einem Neuanfang seine Bedeutung und begriffliche Berechtigung gibt. Es gibt keinen Neuanfang ohne Anfang. Und um neu anfangen zu können, müssen wir uns von einem anderen Anfang verabschiedet haben.

      Annäherung (II)

      Neuanfang. Ein literarisches Beispiel. Peter Weiss schreibt in seinem autobiographischen, 1962 veröffentlichten Roman Fluchtpunkt von einem erzwungenen Neuanfang:

      Am 8.November 1940 kam ich in Stockholm an. Vom Bahnhof fuhr ich zu Schedins Pension in der Drottninggata, wo Max Bernsdorf ein Zimmer für mich bestellt hatte.

      Mit diesen beiden Sätzen beginnt der Roman. Fluchtpunkt erzählt davon, wie der 24-jährige Weiss nach seiner Flucht in Stockholm ankommt, und wie er versucht, ein Leben als Künstler in der schwedischen Emigration aufzubauen. Fluchtpunkt ist im Grunde genommen eine Fortsetzung seines, ein Jahr zuvor veröffentlichten, autobiographischen Romans Abschied von den Eltern, an den er auch thematisch anschließt. Der Abschied ist auch hier die Bedingung der Möglichkeit eines Neuanfangs: ein Abschied, der vollzogen werden kann, der vollzogen wurde – der vollzogen werden musste. Ein Abschied von den Portalfiguren meines Lebens, den Eltern:

      Die Trauer galt der Erkenntnis eines gänzlich mißglückten Versuchs von Zusammenleben, in dem die Mitglieder einer Familie ein paar Jahrzehnte lang beieinander ausgeharrt hatten. Die Trauer galt dem Zuspät, das uns Geschwister am Grab überlagerte, und das uns dann wieder auseinandertrieb, ein jedes in sein eigenes Dasein.

      Es gibt keinen Neuanfang ohne Abschied. Es gibt keinen Abschied ohne ein Ausmaß der Trauer.

      Abschied von den Eltern erzählt von dem repressiven großbürgerlichen Umfeld, in dem Peter Weiss erzogen wurde, und von der Intimität seines Widerstands: von seiner Affinität zur Kunst. Fluchtpunkt hingegen erzählt von den Schwierigkeiten des Neuanfangs, des Neuanfangens – dem Gefühl der Unzugehörigkeit und der künstlerischen Unzulänglichkeit; Fluchtpunkt erzählt von seinen Selbstzweifeln:

      Mein Leben war nutzlos, ich hatte nicht einmal etwas verloren, weil ich nie etwas besessen hatte, ich konnte keine Wunden, keine Narben aufweisen, weil ich an keinem Kampf teilgenommen hatte, ich hatte nichts zu berichten, weil mir nichts widerfahren war.

      Es gibt keinen Neuanfang ohne Anfang. Und um neu anfangen zu können, müssen wir uns von einem anderen Anfang bereits verabschiedet haben. Der terminologische Unterschied zwischen Anfang und Neuanfang wird im letzten Satz des Romans ausgesprochen:

      An diesem Abend, im Frühjahr 1947, auf dem Seinedamm in Paris, im Alter von dreißig Jahren, sah ich, daß ich teilhaben konnte an einem Austausch von Gedanken, der ringsum stattfand, an kein Land gebunden.

      Je länger der Abschied dauert, desto bedeutsamer war das, von dem wir uns verabschieden. Das Buch endet mit der bestimmten Zuversicht eines Neuanfangs, eines neuen Anfangens. Von diesem Punkt an wird es kein Zurück mehr geben.

      Schreibaufgaben

      Aufgabenstellung

Скачать книгу