Integrative Medizin und Gesundheit. Группа авторов

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Integrative Medizin und Gesundheit - Группа авторов

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Journal erschien (Rossano 2007). Die zentrale These von Rossano lautete: Lagerfeuer-Rituale, wie sie sich in der Form – ggf. mit Gesang, Tanz etc. – wohl erst beim modernen Menschen ereigneten und einer Art „Gruppen-Meditation“ gleichkamen, haben die Fähigkeit einer fokussierten Aufmerksamkeit trainiert, was wiederum zu einer Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses insgesamt geführt haben mag; dieses nicht nur beim Einzelnen, sondern auch im evolutiven, phylogenetischen Prozess. Rossano spekulierte, dass Meditation und das, was er „schamanistische Heilungsrituale“ nannte, unsere biologische und genetische „Fitness“ verbesserten. Jenen frühen Kult bezeichnet er, im Einklang mit anderen Wissenschaftlern, als die älteste Form einer Religion, wie sie darüber hinaus in praktisch allen traditionellen menschlichen Gesellschaften zu finden sei. So beschreibt auch Michael Balter in Science (Balter 2000), bezugnehmend auf Funde in der Grotta di Fumane in Norditalien, ca. 35.000 Jahre alte Steinplatten mit Darstellungen von menschlichen Umrissen, die deutlich Geweih als Kopfschmuck erkennen lassen – andernorts als typisch für Schamanen oder „Medizinmänner“ bekannt. Schon in den 1980er-Jahren hatten Richard Katz und andere Harvard-Anthropologen festgestellt (Katz 1982), dass schamanistische Heilungsrituale möglicherweise eine wichtige adaptive Funktion bei unseren Vorfahren hatten und einen Evolutionsvorteil darstellten. Teil jener Rituale waren wohl, folgt man u.a. Rossano, auch meditative Techniken.

      Wir können davon ausgehen, dass derartige Rituale von frühesten schamanistischen Tänzen und Heilungszeremonien, von Gruppengesängen oder dem stillen Sitzen am Lagerfeuer, über Beschreibungen religiöser Praktiken in Mesopotamien oder Ägypten, bis hin zu jahrtausendealten präbuddhistischen Yoga-Formen in Tibet, nicht rein „zufällig“ in unseren menschlichen Handlungskanon aufgenommen bzw. konserviert wurden und heute in diversen Kulturen wiederentdeckt werden. Auch die Faszination, die derartige Rituale auf viele Menschen ausüben, mag kein Zufall sein. Der Soziologe und Anthropologe James McClenon geht sogar so weit zu behaupten (McClenon 2001), dass eine gewisse „Anfälligkeit“ für die vermeintlich vorteilhaften physiologischen und psychologischen Effekte von Meditations- und Heilungsritualen einen Selektionsvorteil in der menschlichen Evolution dargestellt haben könnte. Zumindest aber scheinen wir für die gesundheitsförderlichen, präventiven oder therapeutischen Wirkungen religiöser bzw. kulturell tief verwurzelter Medizin-Praktiken „voreingestellt“ zu sein, d. h. eine Art biologische oder genetische Veranlagung zu haben. Dabei ist das Anziehende dieses Ansatzes, meinen auch McClenon und Rossano, möglicherweise weniger im Glauben zu suchen (oder in einer spezifischen Religion), sondern im praktizierten Ritual selbst, welches als transreligiös interpretiert werden kann.

      2.5 Rituale und Selbstheilung in der Medizin

      Die moderne Medizin beginnt mit Hippokrates von Kos (460–371 v.u.Z.) und den Asklepiaden. Schon damals findet sich eine Betonung von Lebensstil bzw. „Lebenskunst“ als wichtige Voraussetzung für Gesundheit und Heilung. So war Hippokrates’ „Diaita“ weit mehr als eine Ernährungslehre. Es war auch eine Anleitung zur Selbstfürsorge. Ebenfalls wird schon mit der Dreiteilung gearbeitet, die von nun an lange bestimmend in der europäischen Medizin sein sollte: Neben der Chirurgie bzw. dem ärztlichen Eingriff und der Pharmakologie waren Lebensführung und Eigenverantwortung essenzielle Bestandteile nicht nur der Behandlung, sondern eben auch der Gesundheitsversorgung (vgl. Therapeia), Gesundheitsforschung (vgl. Hygieina) und Gesundheitsvorsorge (vgl. Prophylaxis). Interessanterweise spielte, neben der Tugendhaftigkeit, der Kunst und der Wissenschaft, auch die Religion eine wichtige Rolle beim Erhalt der Gesundheit. Lebensziel war u.a. der Erhalt von Ordnung, Ausgleich und Gesundheit. Dieses war eine Frage des systematischen Vorgehens (Wissenschaft), der gemäßigten, geordneten und ausdrucksvollen Lebensweise (Tugend, Kunst) sowie eines frommen oder religiösen Lebens, d.h. des Glaubens – hier v.a. als kulturelles Konstrukt. Selbstverantwortung war ein zentrales Element. In der Philosophie dieser Zeit spiegelten sich jene Auffassungen wider (u.a. bei Aristoteles) (vgl. Esch 2014).

      In den folgenden Jahrhunderten tauchte immer wieder die Betonung der Selbstfürsorge im medizinisch-therapeutischen Kontext auf, aber auch im religiösen, denn nach wie vor waren beide Bereiche eng miteinander verbunden. Häufig äußerte sich diese „Synthese“ oder Einbindung im Sinne einer „inneren Kraft zur Heilung“, d.h. unter der Annahme einer Selbstheilungstendenz und -fähigkeit des Menschen. Wir finden eine derartige Komplementarität zwischen der „äußeren Medizin“ (oder Religion) einerseits und der Selbstfürsorge/-heilung (dem „inneren Arzt“) andererseits u.a. bei Galen im 3. Jahrhundert (vgl. van der Eijk 2011). Dieser orientierte sich an Hippokrates und Aristoteles und zeichnete eine Medizin vor, die davon ausging, dass Gesundheit – und nicht Krankheit – der Normalzustand sei (der Mensch also von Natur aus „gesund“) und dass funktionale Zusammenhänge und innere Regulationsprozesse zu beachten seien, welche prinzipiell die Tendenz zur Heilung hätten, d.h. zum „inneren Gleichgewicht“ führten. Der Arzt war in diesem Kontext mehr Unterstützer und Ermöglicher als eigentliches „Pharmakon“ oder „Agens“ – Medizin bedeutete, dass der Therapeut bzw. Behandler mit der Natur zusammenzuarbeiten hatte. Der Einzelne hatte in hohem Maße Einfluss auf die Gesundheit. Ähnliches finden wir später bei Paracelsus (vgl. Esch 2014) im 16. Jahrhundert, der u.a. das Zusammenspiel zwischen dem „Medicus“ – zuständig für medizinische Prozeduren und die Therapie (inkl. der Agenzien) – und „Archaeus“ beschrieb. Die Idee eines Archaeus entsprach dabei weitestgehend jenem „inneren Arzt“, einer ordnenden Kraft, die nach Paracelsus auch eine Verbindung zum fein- oder nichtstofflichen Bereich besaß. Gemeint war hier wohl das, was wir heute mit „Bewusstsein“ oder „Geist“ (engl. mind) bezeichnen – Konzepte, die es in dieser Form im heutigen Europa, kurz vor Descartes, nicht gab. Auch in der Ordnungstherapie eines Sebastian Kneipp im 19. Jahrhundert tauchen deutliche Analogien auf.

      All diesen oben beschriebenen Entwicklungen war gemein, dass Heilung mit der Annahme regulativer Prozesse einherging, d.h. sie war dynamisch und strebte im Normalfall von sich aus zum Gleichgewicht, zur Gesundheit also, die wiederum der Beeinflussung durch den Einzelnen zugänglich war. Wenn diese „natürliche Tendenz“ zu Gesunderhalt oder Wiederherstellung (Restitutio) nicht ausreichte oder die Selbstregulation überfordert war, konnte Einflussnahme von außen geboten sein. Noch bei Rudolf Virchow im 19. Jahrhundert (Virchow 1875) findet sich jene Idee der Selbstregulation (und Krankheit als Manifestation einer Überforderung derselben), bevor sie im Zuge der aufkommenden Naturwissenschaft aus dem Blickfeld der Medizin geriet. Es kam zu einem Auseinanderdriften der zugrunde liegenden Konzepte, mit der Konsequenz, dass „Glaube“ (im beschriebenen Sinn) und Selbstregulation zunehmend an den Rand gedrängt wurden, zusammen oder getrennt voneinander. Dort, in der Naturheilkunde und Komplementärmedizin usw., überdauerten sie und führten, bis vor kurzem, ein bescheidenes, aber doch reales Dasein. In der sogenannten Schulmedizin tauchten sie als Placebo-Effekte (auch als Kontext- oder unspezifischer Effekte bezeichnet und seit dem Jahr 2000 zunehmend wissenschaftlich erforscht) immer wieder auf. Hier allerdings kamen sie aus der Hand des Arztes oder Wissenschaftlers, deren Bedeutung in einer Art Gegenbewegung kontinuierlich gewachsen war.

      2.6 Heilung in der modernen Medizin

      Heute sieht die Situation anders aus. Sei es aus Gründen der Kosteneffizienz, einer stärkeren „Kundenorientierung“, einer zunehmenden Hilflosigkeit bei chronischen und funktionellen Erkrankungen oder tatsächlicher wissenschaftlicher Erkenntnis in der Medizin: Ein zunehmender therapeutisch-medizinischer Pluralismus hält Einzug. Integration löst Separation ab, sagen Befürworter. Das blieb nicht ohne Widerstand, gerade auch in Deutschland. In den USA verlief die Debatte weniger aufgeregt: Dort hatten viele der geschilderten Ideen nicht nur in der Psychologie überdauert, was u.a. am großen William James lag, sondern z.B. auch in der Soziologie, die ebenfalls über Gesundheit und Ressourcen forschte. Themen wie Salutogenese, Kohärenz, Hardiness und Resilienz, d.h. innere Faktoren für Gesundheitsschutz, Widerstandsfähigkeit und Stressresistenz (vgl. Esch 2002), hatten es geschafft, sich auch an Elite-Universitäten zu halten und sich immer wieder – auch im medizinischen Kontext – Gehör zu verschaffen.

      Ein

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