Lasst uns Paradiese pflanzen!. Timm Koch

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Lasst uns Paradiese pflanzen! - Timm Koch

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von ihm.«

      Damit hat sie natürlich einerseits recht, was den Respekt vor der Kreatur angeht. Andererseits finde ich, dass man über diese Dinge nicht schweigen darf. Als sie, nach allen Regeln mexikanischer Kochkunst letztendlich auf unseren Tellern lagen, hätte der Unterschied zwischen den beiden Tieren nicht größer sein können. Das Hähnchen meiner Mutter wartete mit dunklem, festen Muskelfleisch auf. Es war zart, hatte aber dennoch einen gewissen Biss und viel Geschmack – fast schon wie Wild. Das andere war weich und labberig, ohne wirkliche Textur und schmeckte immer noch ein wenig so, wie es von Anfang an gerochen hatte.

      Viel tiefer will ich in diese Materie nicht eintauchen. Die perversen Auswüchse der modernen Massentierhaltung sind bekannt. Sie geschehen weder zum Vorteil der Menschen, die von schlechter Nahrung genauso krank werden können wie das arme Huhn aus dem Großstall krank wäre, würde man es nicht mit Antibiotika vollpumpen. Nur so kann es die wenige Tage Leben, die der Mensch ihm gönnt, ohne ernsthafte Infektionen überstehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass kommende Generationen wegen unseres Umgangs mit unseren Nutztieren mit derselben Abscheu und demselben Unverständnis auf uns blicken werden, mit der wir heute jene Vorfahren betrachten, die das grausame Geschäft der Sklaverei betrieben haben. Der Wille dazu, all dies zu ändern, ist in großen Teilen unserer Gesellschaft Konsens. Allein, es fehlen die Konzepte. Selbst in Betrieben, die nach Demeter-Maßstäben arbeiten, kommen die Küken aus dem Brutschrank und müssen ohne Mutter aufwachsen. Auch in Biobetrieben sind Hühner eine gesichtslose Masse, ohne wirklichen Anspruch auf ein lebenswertes Leben und nur dazu da, dem Menschen Nahrung zu sein und Profit zu erbringen.

      Schuld an den Auswüchsen und Grausamkeiten der industrialisierten Landwirtschaft sind in erster Linie weder die Bauern noch die gierigen Banker im Hintergrund noch die Maschinenbauer, die die Traktoren liefern, und auch nicht die chemische Industrie, die das Gift und den Kunstdünger beisteuert. In Wahrheit sind die Schul­digen jene Betriebswissenschaftler, welche die Grundgedanken »Spezialisierung und Arbeitsteilung« – die bei technischen Abläufen mit unbelebter Materie ja funktionieren mögen – auf Ökosysteme anzuwenden suchten. So schuf man Eintönigkeit, wo vorher Vielfalt herrschte. Bewährte bäuerliche Betriebsweisen, die stets Ertrag abgeworfen hatten, wurden an den künstlichen Tropf staatlicher Förderung gehängt und unrentabel gemacht.

      Millionenfach in Brutkästen gezüchtete Hybridhühner gibt es erst seit den 1960er-Jahren. Vorher lebte die bunte Vielfalt der Hühner dieser Welt mehr oder weniger so wie die Hühner meiner Mutter. Viele Betriebswirtschaftler werden bei dieser Vorstellung reflexartig rufen: »So etwas kann heutzutage kein Mensch mehr gewinnbringend betreiben!« Dem will ich Folgendes entgegnen: Auch vor 1960 konnten Hühner profitabel gehalten werden, schließlich waren auch damals schon Profis am Werk. Allerdings wurde im Gegensatz zu heute die Hühnerhaltung, inklusive Hühnermast und Hühnerzucht, ganzheitlich gedacht. Man vermehrte Hühner, indem man Hennen, sobald sie in Brutlaune kamen (der Fachmann nennt es »Glucken«), ihre Eier ausbrüten und dann ihre Küken großziehen ließ. So wie es ihrer Natur entsprach. Niemand wäre auf die Idee gekommen, eine gute Legehenne nur deshalb zu schlachten, weil sie in die Mauser kam. Mit frischem Federkleid ging das Eierlegen ja munter weiter. Dieses Wirtschaften funktionierte gut, weil man eben nicht spezialisiert war. Die Hühnerhaltung war nur ein Standbein von vielen, die das komplexe Ökosystem Bauernhof mit all seiner Artenvielfalt und Biodiversität am Laufen hielten. Diese Systeme waren äußerst stabil und funktionierten durchgehend seit dem Neolithikum, also der Entstehung von Hirten- und Bauernkulturen vor mehr als 10 000 Jahren. Sie werden von vielen als einer der wichtigsten Faktoren für menschlichen Fortschritt und Entwicklung gesehen.

      Blickt man hingegen heute, also Anfang der 2020er-Jahre auf den Zustand unserer landwirtschaftlichen Betriebe, so kann man sagen, dass sie äußerst instabile Systeme geworden sind. Der BÖLW (Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e. V.) hat errechnet, dass seit 2005 in Deutschland im Schnitt jede Stunde ein Hof stirbt. Richtig los ging das große Sterben bei uns Anfang der 1970er-Jahre, also rund zehn Jahre, nachdem das erste Hybridhuhn aus seinem Ei schlüpfte. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wurde im März 1957 – also etwa drei Jahre vor diesem Ereignis – unter anderem mit dem Ziel gegründet, die Industrialisierung der Landwirtschaft in den Mitgliedsstaaten voranzutreiben.

      Die entscheidende Waffe zur Zerschlagung der bis dahin so stabilen bäuerlichen Strukturen war die Marktmanipulation mithilfe von Agrarsubventionen. Wirtschaftlichkeit stand bei der Produktion von nun an nicht mehr im Vordergrund, Hauptsache, der Umsatz konnte gesteigert werden. Letzteres hat leider so gut funktioniert, dass die Menschheit heute ein massives Problem mit der Überproduktion von Lebensmitteln hat und unvorstellbar gigantische Mengen tagtäglich auf dem Müll landen. Der schmerzliche Witz dabei ist, dass die meisten Bauernhöfe dennoch aus wirtschaftlichen Gründen kaputtgehen. Oft finden sich auch einfach keine Nachkommen für die Übernahme der Betriebe in Familienhand. Der Hof wird dann vom Nachbarn oder einem Heuschreckeninvestor geschluckt. So führt das Dogma von Arbeitsteilung und Spezialisierung letztlich zu immer riesigeren Höfen, welche durch die flächenbezogenen Agrarsubventionen auch noch strukturelle Vorteile gegenüber den kleineren Betrieben genießen. Dennoch geraten auch die Großen oft in eine wirtschaftliche Schieflage, weil sie gezwungen sind, ständig neue Investitionen für weiteres Wachstum zu tätigen – gleichzeitig sind die Erzeugerpreise so niedrig, dass auch die Produktion gigantischer Mengen die Gestehungskosten nicht auffangen kann.

      Obwohl laut Weltagrarbericht noch immer ein Drittel der Menschheit in der Landwirtschaft arbeitet und dieses Drittel zum überwiegenden Teil aus Kleinbauern besteht, geht der Trend eindeutig in Richtung »Wachse oder weiche!«. Nach wie vor führt der Homo industrialis geradezu einen Krieg gegen seine Bauern und Hirten. Besonders krass fand dieser Krieg seinen Ausdruck während der sogenannten Entkulakisierung unter Josef Stalin, die ungefähr im Jahr 1928 losging. In dieser, von vielen heute als Völkermord betrachteten Menschheitstragödie, entledigte man sich der kleinbäuerlichen Strukturen durch Massenerschießungen, Deportationen und Unterbringung in Straflagern, den sogenannten Gulags. Allein in der dadurch ausgelösten Hungersnot kamen mehr als fünf Millionen Menschen um. Mit Kolchosen und Sowchosen entstanden landwirtschaftliche Großbetriebe, die nach dem Ende der Kommandowirtschaft Anfang der 1990er-Jahre ebenfalls wegen Unwirtschaftlichkeit zusammenbrachen.

      Der Megatrend in Richtung immer größerer Gebiete, die industriell bewirtschaftet werden, ist seit etwa 1870, dem Beginn der industriellen Revolution, ungebrochen. Bemerkenswert ist, dass die amerikanischen Megafarmen, die neokolonialistischen Landgrabber in Afrika und die Regenwaldvernichter in Brasilien von heute sich aus ökologischer und ökonomischer Sicht mit »Wachse oder weiche!« dieselbe Zielsetzung gesetzt haben wie einst die Bolschewiken. Am Beispiel der 2016 pleitegegangenen KTG Agrar, Deutschlands bis dato größtem landwirtschaftlichen Konzern, sieht man jedoch, dass die Strategie des Immer-größer-Werdens von dem, was einst das komplexe Ökosystem Bauernhof darstellte, nach wie vor nicht aufgeht. Solange auf Spezialisierung und Arbeitsteilung zwischen den Betrieben gesetzt wird, wird sich daran auch nichts ändern. Spezialisierung bedeutet im Pflanzenbau zum Beispiel, dass ein Bauer nur noch Getreide und Mais anbaut, um nur noch eine Tierart, sagen wir Schweineferkel aufzuziehen. Die werden von einem Zuchtbetrieb geliefert, der die Muttertiere in stählernen Kastenständen hält. Ein weiterer, ebenfalls hochspezialisierter Zulieferer bringt Soja von den abgeholzten Regenwaldflächen Südamerikas. Als Totschlagargument für diese Verarmung einer einstmals bunten Produktpalette der Bauernhöfe wird unausweichlich die Wirtschaftlichkeit angeführt. Ganz gleich, ob der betroffene Bauer, der Politiker oder der Agrarökonom spricht: Stets heißt es, landwirtschaftliche Betriebe stünden unter internationalem Konkurrenzdruck und müssten wirtschaftlich arbeiten. Dabei ist aber genau diese Wirtschaftlichkeit selten gegeben. Agrarökonomen sprechen hier von einem Phänomen, das sich »Landwirtschaftliche Tretmühle« nennt. Professor Harald von Witzke von der Humboldt-Universität zu Berlin, definiert sie so:

      »Die Weltlandwirtschaft hat … immer mehr Nahrungsgüter für immer mehr Menschen zu immer geringeren Preisen und in immer besserer Qualität bereitgestellt. Und daher kommt der Ausdruck Landwirtschaftliche Tretmühle. Die Landwirte sind weltweit immer produktiver geworden. Bildlich gesprochen

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