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über das Motto „Black lives matter“ (Warum heißt es nicht „All lives matter“? et cetera) lässt sich ein für alle Mal beenden mit dem Verweis auf ein wunderbar brutales Meme, das momentan in den USA zirkuliert und Stalin mit einem Poster und dem Spruch „No lives matter“ zeigt. (Ich verzichte hier auf polemische Kommentare darüber, dass das Meme auf die Morde zurückgeht, die Anhänger Stalins in Australien verübten.) Das Körnchen Wahrheit, das in dieser Provokation steckt, ist die Einsicht, dass es Dinge gibt, die wichtiger als das bloße Überleben sind – ist dies nicht auch die zentrale Botschaft derjenigen, die gegen die Polizeigewalt gegenüber Schwarzen protestieren? Schwarze (und ihre Unterstützer) fordern nicht einfach nur das Recht auf Überleben, sondern wollen mit Würde behandelt werden, als freie und gleichberechtigte Bürger, und sind dafür bereit, einiges zur riskieren, mitunter sogar ihr Leben. Deshalb versammeln sie sich zu Demonstrationen, selbst wenn dies das Risiko erhöht, Covid-19 weiterzugeben oder sich damit zu infizieren.

      Hatte Giorgio Agamben also Recht, als er sich gegen den staatlich verhängten Lockdown und die Selbst-Quarantäne aussprach, da diese Maßnahmen zur Folge hätten, dass unser Leben auf die bloße Existenz reduziert wird – in dem Sinne, dass wir durch die Einhaltung der Corona-Regeln signalisieren, dass wir bereitwillig das aufgeben, was unser Leben lebenswert macht, damit wir eine Chance haben zu überleben? Müssen wir unser Leben riskieren (indem wir uns der Gefahr einer Infektion aussetzen), um unsere Menschlichkeit vollständig zu bewahren? Problematisch an dieser Haltung ist, dass sich die größten Gegner eines Lockdowns heute unter den populistischen neuen Rechten befinden: Sie sehen in allen solchen Einschränkungen – von Lockdowns bis hin zur Maskenpflicht – die Erosion unserer Freiheit und Würde. Darauf sollten wir reagieren, indem wir die folgende entscheidende Frage stellen: Welche Folgen hätte eine Aufhebung des Lockdowns und der Quarantäne für die einfachen Arbeiter? Die Folge wäre, dass sie in eine unsichere Welt hinausgehen und eine Infektion riskieren müssten, um zu überleben.

      Damit kommen wir zum entscheidenden Punkt: den paradoxen Auswirkungen, welche die Coronapandemie auf die Wirtschaft hat. Auf der einen Seite zwingt sie die Behörden zu Maßnahmen, die manchmal fast schon kommunistisch anmuten: ein Grundeinkommen, Krankenversicherung für alle et cetera. Diese unerwartete Offenheit für kommunistische Ideen ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Gleichzeitig kündigt sich mit aller Gewalt ein gegenläufiger Trend an, der unter anderem mit sich bringt, dass Unternehmen Unmengen von Reichtum anhäufen und vom Staat gerettet werden. Allmählich beginnen sich die Konturen eines Corona-Kapitalismus abzuzeichnen, einschließlich neuer Formen des Klassenkampfs – oder in den Worten von Joshua Simon, einem Autor und Kurator aus Philadelphia:

      Die US-amerikanischen Städte haben den größten Mietstreik seit Jahrzehnten erlebt, außerdem mindestens 150 Arbeiterstreiks und öffentliche Mitarbeiterproteste (vor allem von Amazon-Lagerarbeitern) sowie Hungerstreiks in Flüchtlingsunterkünften. Wie Studien zeigen, ist es US-Milliardären hingegen in den ersten Wochen des Corona-Lockdowns gelungen, ihr gesamtes Vermögen in nur 23 Tagen um 282 Milliarden Dollar zu vermehren. Wir müssen feststellen, dass eine enorme Ungleichheit seit der Pandemie und dem Lockdown um sich greift. Ich spreche hier von Menschen, die ihre Arbeit verlieren, von gigantischen Rettungsaktionen, die in erster Linie den großen Konzernen und den ohnehin schon extrem Reichen zugutekommen, und von Maßnahmen, welche die Arbeiter, die man für unverzichtbar hält, zum Weiterarbeiten zwingen.12

      Die neue Form von Ausbeutung, mit der das Arbeiten unter Corona-Bedingungen (im Westen) einhergeht, besteht laut Simon vor allem darin, „die Kosten auf die Arbeiter abzuwälzen. Die Menschen, die nicht krankgeschrieben sind, oder die Lehrer, die mit Breitband-Internet und Laptops von zu Hause aus unterrichten, sind nur zwei Beispiele dafür, dass die Haushalte die Arbeit im Bereich der Reproduktion und Produktion völlig übernommen haben.“ Unter diesen Bedingungen ist der Kapitalist nicht mehr in der Rolle desjenigen, der über die Produktionsmittel verfügt und sie mithilfe von Lohnarbeitern betreibt: „Die Arbeiter*innen stellen die Produktionsmittel selbst. Dies sieht man unmittelbar am Amazon-Paketboten oder dem Uber-Fahrer, der seinen Job mit dem eigenen, von ihm selbst betankten Auto ausübt und die nötigen Voraussetzungen für seine Arbeit wie zum Beispiel eine Versicherung oder Fahrerlaubnis allesamt schon mitbringt.“ In seinem Essay verweist Simon auf den Spruch, mit dem die Lockdown-Gegnerin Sarah Mason ihren Protest zum Ausdruck brachte: „Soziale Distanzierung ist gleich Kommunismus.“ Wenn man die Abstandsregeln abschaffen würde, hätten wir jedoch genau den vermeintlichen Zustand von „Freiheit“, in dem Arbeiter ihre eigenen Produktionsmittel zur Verfügung stellen und sich dem Risiko einer Infektion aussetzen, indem sie Aufträge für ihre Firma erfüllen. Es ist paradox, dass die Corona-Ökonomie in ihren beiden Ausprägungen – dem Homeoffice im Lockdown und der Auslieferung von Waren wie Lebensmitteln oder Paketen – in ähnlicher Weise den Gesetzen des Kapitals unterliegt und eine verstärkte Ausbeutung bedeutet.

      Wir sollten daher Sara Mason antworten: Ja, so ist es, und genau deshalb brauchen wir soziale Distanzierung. Noch viel dringender brauchen wir jedoch eine neue Wirtschaftsordnung, die uns nicht mehr vor die ungeheuerliche Wahl stellt, entweder Unternehmen oder Leben zu retten.

      Warum es nicht radikal genug ist, Denkmäler zu stürzen

      In den Medien wurde viel darüber berichtet, wie schockiert deutsche Sicherheitsbehörden über Krawalle von „beispiellosem Ausmaß“ waren, die am 21. Juni im Zentrum Stuttgarts ausgebrochen waren: Vier- bis fünfhundert feiernde Jugendliche und junge Erwachsene fingen nachts an zu randalieren, schlugen Schaufenster ein, plünderten Geschäfte und attackierten Polizeibeamte. Die Polizei (die viereinhalb Stunden brauchte, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen) schloss politische Motive als Auslöser für diese „bürgerkriegsähnlichen Zustände“ aus und beschrieb die Gewalttäter als Menschen aus der „Party- und Feierszene.“13 Dass Klubs und Bars wegen der Coronapandemie geschlossen bleiben mussten, stellte einen Anlass für öffentliche Ausschreitungen dar. Solche Vorfälle beschränken sich nicht auf Deutschland. Am 25. Juni drängten Tausende von Menschen an Englands Strände, ohne sich um die Abstandsregeln zu kümmern. Die Region wurde laut einer Nachrichtenseite „von Strandbesuchern überrannt, die größtenteils mit dem Auto anreisten, was zahlreiche Staus verursachte. Neben zahlreichen Fällen von Alkoholmissbrauch und Schlägereien wurde auch gemeldet, dass Mitarbeiter der Müllabfuhr beschimpft und eingeschüchtert wurden, als sie auf der Strandpromenade ganze Berge von Abfall entfernen wollten.14 Man sieht schnell, dass solche Ausbrüche von Gewalt eine Reaktion auf die Bewegungseinschränkungen sind, welche die soziale Distanzierung und Quarantäne unweigerlich mit sich bringen – aus guten Gründen muss man damit rechnen, dass es auf der ganzen Welt zu ähnlichen Vorfällen wie diesen kommen wird, und man sollte nicht davor zurückschrecken, die Vermutung zu äußern, dass das plötzliche weltweite Aufbegehren gegen Rassismus einer ähnlichen Logik gehorcht (auch wenn es keine Ausbrüche von sinnloser Gewalt sind, sondern sich darin eine emanzipatorische Haltung ausdrückt): Tausende schlossen sich den anti-rassistischen Protesten von einem Tag auf den anderen an und waren gewissermaßen erleichtert, dass sie ihre Energie wieder auf etwas verwenden konnten, das mit einem dummen Virus nichts zu tun hatte, sondern „nur“ mit dem gesellschaftlichen Kampf gegen einen klaren Gegner …

      Selbstverständlich sprechen wir hier von völlig unterschiedlichen Formen von Gewalt. An den Stränden von Bournemouth wollten die Menschen an einem Sommertag einfach nur ihren gewohnten Freizeitaktivitäten nachgehen und wurden gegenüber jenen gewalttätig, die sie davon abzubringen versuchten. In Stuttgart wurde die Euphorie erst durch Plünderungen und Vandalismus, das heißt durch Gewalt erzeugt – es handelte sich um eine Gewaltorgie schlimmsten Ausmaßes, eine Explosion von blinder Wut ohne irgendein erkennbares emanzipatorisches Potenzial (auch wenn erwartungsgemäß manche Linke darin einen Protest gegen den Konsumkapitalismus und die Macht der Polizei sehen wollten). Die (weitgehend gewaltlosen) Proteste gegen Rassismus ignorierten die Anordnungen und Auflagen von staatlichen Behörden, weil sie für ein ehrenwertes emanzipatorisches Ziel kämpfen wollten. (In fortschrittlichen westlichen Gesellschaften sind diese Arten von Gewalt am verbreitetsten – wir gehen hier nicht auf die

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