Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts. Katharina Bock

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Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts - Katharina Bock Beiträge zur nordischen Philologie

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bleiben und stets selbst zu reflektieren, wer hier eigentlich tatsächlich liest, schreibt, spricht, handelt, ausgegrenzt wird, sich emanzipiert und so weiter. Mit dieser unregelmäßigen und teilweise inkonsequenten, keineswegs aber beliebigen Form des Genderns soll der Versuch unternommen werden, so weit wie möglich sprachliche Geschlechtergerechtigkeit, historische Genauigkeit und gute Lesbarkeit miteinander zu vereinen.

      In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts war Dänemark wirtschaftlich extrem geschwächt. In den Napoleonischen Kriegen hatte Dänemark auf französischer Seite gekämpft, 1807 war Kopenhagen von englischen Seestreitkräften bombardiert und in großen Teilen zerstört worden, tausende Zivilisten waren ums Leben gekommen, die dänische Flotte komplett verloren. Zu Beginn des Jahres 1813 war die finanzielle Lage Dänemark so desaströs, dass der Staat de facto als bankrott bezeichnet wurde. Der Kieler Frieden von 1814 nötigte außerdem den dänischen König Frederik VI.Frederik VI., das Gebiet Norwegen, das 400 Jahre lang der dänischen Krone unterstellt war, an Schweden abzutreten (vgl. z.B. Henningsen 2009: 127). Somit hatte das dänische Königreich innerhalb kurzer Zeit dramatisch an politischer Macht und geografischer Größe verloren. Gerade in dieser Zeit entwickelte sich ein vielfältiges Kulturleben, die Künste blühten auf, und die Literaturproduktion stieg enorm an. Für den Zeitraum zwischen 1800 und 1850 hat sich im ausgehenden 19.Jahrhundert in Dänemark der Begriff Guldalderen, also „das Goldene Zeitalter“, etabliert. Wenngleich das Verklärende dieses Begriffs unverkennbar ist,1 greife ich auf diese Epochenbezeichnung zurück, bezieht sie sich doch, mit Bernd Henningsen gesprochen, auf „ein goldenes Zeitalter in einer eisernen Zeit“ (2009: 137), das „[f]ür Dänemark […] in etwa die Bedeutung wie die ‚Weimarer Klassik‘ für Deutschland“ hat (2009: 138).

      Goldenes und Eisernes verbinden sich in Dänemark auch bei der Emanzipation der Juden und Jüdinnen. Die rechtliche Gleichstellung wurde in jenem Zeitraum nicht nur kontrovers diskutiert und schließlich mit der Verankerung der Religionsfreiheit in der Verfassung vollzogen, sondern teilweise auch gewalttätig zu verhindern versucht. Einerseits wurden dänischen Juden und Jüdinnen 1814 Bürgerrechte gewährt. Dänemark war damit nach Frankreich eines der ersten Länder in Europa, die diese Gleichstellung weitestgehend vollzogen hatten. Andererseits kam es in den folgenden Jahren und Jahrzehnten seitens der nicht-jüdischen Bevölkerung wiederholt zu verbalen und physischen Angriffen gegen Juden und Jüdinnen. Darüber hinaus wurden das Recht auf freie Religionsausübung für Juden und alle anderen religiösen Minderheiten sowie das volle passive Wahlrecht zu den Ständeversammlungen für Juden erst mit der Einführung der neuen Verfassung, des Junigrundloven [Junigrundgesetz], 1849 festgeschrieben – und auch hier gegen erhebliche Widerstände von Emanzipationsgegnern (vgl. Schwarz Lausten 2005: 320–371, 2012: 161–195).

      Die ersten Juden in Dänemark – zumindest die ersten, deren Aufenthalt dokumentiert ist – waren Sepharden, die zu Beginn des 17.Jahrhundert aus den Niederlanden nach Dänemark kamen. 1684 wurde in Kopenhagen die erste offizielle jüdische Gemeinde gegründet. Jüdisches Leben in Dänemark unterlag im 17. und 18.Jahrhundert zwar ähnlichen Beschränkungen, wie sie auch für die jüdische Bevölkerung in anderen Ländern Europas galten, diese waren jedoch weitaus weniger rigoros als zum Beispiel in Preußen. Ende des 18.Jahrhunderts begann der dänische Kronprinz und spätere König Frederik VI.Frederik VI., schrittweise Reformen zur Besserstellung der Juden umzusetzen. 1796 wurde unter Mitwirkung von Vertretern der jüdischen Gemeinde eine Agenda erarbeitet, deren Ziel eine grundsätzliche Erneuerung des geltenden Rechts war. Die Umsetzung dieser Agenda scheiterte zunächst am Widerstand aus der jüdischen Gemeinde selbst, da mit der rechtlichen Gleichstellung auch der Verlust der jüdischen Identität befürchtet wurde (vgl. hierzu Blüdnikow/Jørgensen 1984: 13–90 und Schwarz-Lausten 2012: 67–156). 1813, zur Zeit der Wirtschaftskrise, wurden vermehrt emanzipationskritische Stimmen dänischer Christen laut, die sich mit judenfeindlicher Rhetorik von der Idee der rechtlichen Gleichstellung distanzierten, vor allem aber wohl einen „syndebuck [Sündenbock]“ suchten, „for at afreagere al sin dumpe vrede [um all ihre dumpfen Rachegelüste abzureagieren]“ (Albertsen 1984: 30).2 Als Auslöser für den Streit, der gemeinhin als den litterære Jødefejden, „die literarische Judenfehde“, bezeichnet wird, gilt Friedrich BuchholzBuchholz, Friedrich’ Abhandlung Moses und Jesus, oder über das intellektuelle und moralische Verhältnis der Juden und Christen [1803] (1803). Buchholz wendet sich darin gegen die Kernaussagen von Christian DohmsDohm, Christian Wilhelm von vielfach rezipierter emanzipationsbefürwortender Schrift Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden [1781] (1781). Der Dichter Thomas ThaarupThaarup, Thomas übersetzte Buchholz’ Schrift 1813 aus dem Deutschen ins Dänische (1813). Dabei unternahm er nicht nur einige Modifikationen des Originals, sondern stellte der Übersetzung auch ein 60-seitiges, rhetorisch sogar deutlich schärferes Vorwort voran. Hierin behauptet er unter Berufung auf Beispiele aus dem Alten Testament und unter Anwendung etlicher judenfeindlicher Zerrbilder die moralische Unterlegenheit der Juden gegenüber den protestantischen Christen3 und also deren nachweisliche Unverbesserlichkeit. Infolge dieser Publikation entflammte in der kulturell und politisch gebildeten Öffentlichkeit eine heftige Debatte über die Frage, ob dänische Juden den Nicht-Juden rechtlich gleichgestellt werden sollten, dürften oder vielleicht gerade jetzt sogar müssten. Thaarups und Buchholz’ judenfeindliche Thesen fanden gleichermaßen Befürworter und Gegner, unter letzteren der Autor Steen Steensen BlicherBlicher, Steen Steensen, dessen Novelle Jøderne paa Hald [Die Juden auf Hald; 1828] in dieser Arbeit untersucht wird. Über Monate hinweg lieferten sich dänische Theologen, Autoren und Publizisten einen schriftlich ausgetragenen Streit für und wider die Gleichstellung der Juden. Zu Beginn des Jahres 1814 setzte Frederik VI.Frederik VI. der Diskussion ein vorläufiges Ende, indem er den dänischen Juden die Bürgerrechte erteilte und sie damit de facto in fast allen Punkten den christlichen Dänen gleichstellte.4 So war zwar die rechtliche Situation der Juden und Jüdinnen verbessert, doch die Judenfeindschaft war damit nicht überwunden. Thaarup und andere Autoren übersetzten und publizierten weiterhin judenfeindliche Schriften, und schließlich breiteten sich 1819 die sogenannten „Hep-Hep-Unruhen“ von Deutschland ausgehend bis nach Dänemark aus, wo es im Herbst und Winter 1819/1820 zu offenen Gewaltausbrüchen gegen Juden kam (vgl. Albertsen 1984; Katz 1994; Rohrbacher 2002: 23–42; Schwarz Lausten 2002: 341–374; Tudvad 2010: 17–54; Kjærgaard 2013: 74–99).5 1830 keimte in Folge der Julirevolte in Frankreich und Deutschland erneute Gewalt gegenüber der jüdischen Bevölkerung in Kopenhagen auf (vgl. Blüdnikow 1981–1983). Mit der Unterzeichnung des Danmarks Riges Grundlov [Grundgesetz des dänischen Reichs], dem sogenannten Junigrundlov , das 1849 das bis dahin geltende Kongelov [Königsgesetz] ablöste, wurden schließlich die Religionsfreiheit und das passive Wahlrecht in der Verfassung verankert. Jüdische Bürgerinnen und Bürger waren so rechtlich vollkommen den nicht-jüdischen gleichgestellt (vgl. Blüdnikow/Jørgensen 1984: 13–90; Haxen 2001: 487–494; Schwarz-Lausten 2015: 127–172).

      Die Situation im dänischen Nachbarland Norwegen konnte verschiedener kaum sein. Hier war in der jungen Verfassung von 1814 direkt festgeschrieben worden, dass Juden das Land gar nicht erst betreten, geschweige denn sich niederlassen durften. Erst 1851 wurde, nach jahrelangen öffentlichen und parlamentarischen Debatten, der entsprechende Passus gestrichen, so dass Juden und Jüdinnen einreisen, sich niederlassen, ihre Religion ausüben und die gleichen Rechte wie Nicht-Juden genießen konnten (vgl. Bock 2020: 275–278; Haxen 2001: 494–496; Mendelsohn 1969; Sagmo 2000).

      Die Situation der Juden und Jüdinnen in Schweden wiederum ähnelte der in Dänemark. Hier siedelten sich ab der zweiten Hälfte des 18.Jahrhundert Juden an und gründeten erste kleine Gemeinden. Unter strengen Auflagen war es ihnen gestattet, unternehmerisch tätig zu sein. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts führten politische Spannungen zunächst zu einer Verschärfung der bereits geltenden Beschränkungen, dann wieder zu einer Lockerung, beides begründet vor allem mit wirtschaftlichen Interessen. Nach weitestgehender, jedoch nicht vollständiger Aufhebung der gesetzlichen Benachteiligung im Jahr 1838 erhielten schwedische Juden 1870 die vollen Staatsbürgerrechte (vgl. Haxen 2001: 496–499). Als prägnantester Unterschied zur dänischen Entwicklung kann

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