Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts. Katharina Bock

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Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts - Katharina Bock Beiträge zur nordischen Philologie

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Roman Kun en Spillemand [Nur ein Spielmann; 1837]. Diese Analyse nimmt aufgrund der äußerst komplexen Romankonzeption und Figurengestaltung nicht nur am meisten Raum ein, sondern steht deshalb auch (fast) am Ende der Untersuchung. Das kurze Kapitel 8 zu Andersens späterem Roman At være eller ikke være [Sein oder Nichtsein; 1857] schließt die Arbeit ab. Somit ergibt sich eine umfassende Diskussion sämtlicher dänischer Erzähltexte nicht-jüdischer Autor*innen, in denen von jüdischen Figuren erzählt wird. Ein Überblick über den jeweils relevanten Forschungsstand sowie eine historische wie biografische Kontextualisierung werden in den jeweiligen Kapiteln gegeben.

      Wer in der Reihe dänischer Autor*innen des frühen und mittleren 19.Jahrhunderts fehlt, ist Meïr Aron GoldschmidtGoldschmidt, Meïr Aron (1819–1887) mit seinem Debütroman En Jøde [Ein Jude] von 1845 (1927), schließlich fällt das Erscheinungsdatum in den hier untersuchten Zeitraum. Nicht allein die Tatsache, dass Goldschmidt literaturgeschichtlich in der Regel nicht mehr dem „Goldenen Zeitalter“ zugeordnet wird, da er wesentlich jünger ist als die anderen Autor*innen, ist für sein Fehlen in dieser Untersuchung ausschlaggebend – es ist in erster Linie sein Jüdischsein.2 Dieser Umstand fällt als extrem irritierend ins Auge, denn auf diese Weise reproduziert die Untersuchung paradoxerweise den Ausschluss dänischer Juden aus der nicht-jüdischen Gesellschaft. Dabei ist gerade dieser Ausschluss das Thema von Goldschmidts Roman En Jøde. Er erzählt aus einer jüdischen Innenperspektive vom „Lebensweg eines Juden, der aufgrund von Diskriminierungen an der Aufgabe der Akkulturation in der dänischen Gesellschaft scheitert“ (Schnurbein 2006: 118). Wäre nicht eine Einbeziehung dieser Perspektive lohnend? Ja, das wäre sie. Mit unterschiedlichen Fragestellungen sind Stefanie von Schnurbein (2004, 2006), Cecilie Speggers Schrøder Simonsen (2012a, 2012b) und Florian Brandenburg (2014) an Goldschmidt und En Jøde herangetreten. Mogens Brøndsted hat bereits 1967 mit Goldschmidts Fortællekunst [Goldschmidts Erzählkunst] eine Untersuchung von Goldschmidts Hauptwerken herausgegeben. Und 2016 erschien die Monografie Meïr Aron Goldschmidt and the Poetics of Jewish Fiction von David Gantt Gurley, der im Kapitel „Midrash and Metaphor“ En Jøde als Exegese der Hebräischen Bibel liest (2016: 60–102). Der Roman kann mir jedoch bei der Bearbeitung meiner Fragestellung nicht behilflich sein. Tatsächlich wurde GoldschmidtGoldschmidt, Meïr Aron von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde sogar dafür kritisiert, dass er, so formulierte es Georg Brandes, „serverer sin bestemor i skarp sovs [seine Großmutter mit scharfer Soße serviert]“ (zitiert nach Brøndsted 2007b: 25), also eine allzu intime Darstellung jüdischen Lebens aus der Innenperspektive vorgenommen habe. Philosemitismus ist aber ein nicht-jüdischer, in diesem Fall sogar ein dezidiert christlicher Diskurs (vgl. Kapitel 1.6), und dieser Diskurs ist Gegenstand meiner Analyse. Die jüdischen Figuren in den Romanen und Novellen, die ich hier als philosemitisch charakterisiere, sind weder zufällig oder beiläufig dort, noch sind sie Teil einer möglichst realistischen Darstellung dänischer Lebenswirklichkeiten. Sie dienen nicht einmal vornehmlich dazu, die politische Haltung der Autor*innen literarisch verarbeitet zu verbreiten. Die jüdischen Figuren haben als Außenseiter (vgl. Mayer 1981) und ‚Andere‘ (vgl. Polaschegg 2005: 41–49)3 vielmehr eine literarische Funktion für den Text selbst, die es zu erforschen gilt.

      1.4.3 Forschung

      Der Titel dieser Untersuchung wirft die Frage auf, ob neben den „philosemitischen Schwärmereien“ auch Texte mit „antisemitischen Verunglimpfungen“ publiziert wurden, die hier keine Erwähnung finden. Solche Texte existieren tatsächlich. Etliche von ihnen sind während der „literarischen Judenfehde“ erschienen und wurden in verschiedenen Arbeiten zusammengetragen und untersucht (vgl. z.B. Albertsen 1984: 36–57; Schwarz Lausten 2002: 205–375; Tudvad 2010: 17–54). Und auch in Søren KierkegaardsKierkegaard, Søren Schriften finden sich zahlreiche Anfeindungen gegenüber Juden und eine ausdrückliche Kritik am Judentum. Den zunehmenden Antisemitismus in Kierkegaards Denken hat Peter Tudvad 2010 in seiner umfangreichen Studie Stadier på antisemitismens vej. Søren Kierkegaard og jøderne [Stationen auf dem Weg des Antisemitismus. Søren Kierkegaard und die Juden] untersucht und erstmals in dieser Konsequenz benannt. Doch bei allen diesen Schriften handelt es sich um politische, philosophische und theologische, nicht um literarische Texte. Befasst man sich nur mit der Literatur im engeren Sinne, also mit Erzählliteratur, Lyrik und Dramatik, ist die Darstellung jüdischer Figuren zwar stets ambivalent, aber nicht ausschließlich oder überwiegend negativ oder diskreditierend, sondern im weitesten Sinne positiv angelegt. Auf einige lyrische Werke nehme ich im Verlauf der Arbeit am Rande Bezug. Eine Untersuchung norwegischer Lyrik aus den 1840er-Jahren habe ich bereits 2011 mit meiner Masterarbeit Blühende Dornenzweige. Henrik WergelandsWergeland, Henrik Gedichte und der „Judenparagraf“ in der norwegischen Verfassung vorgelegt und die Ergebnisse 2020 als Aufsatz mit dem Titel „Der Jude. Neun blühende Dornenzweige. Henrik Wergelands politische Dichtung gegen den ›Judenparagrafen‹ in der norwegischen Verfassung von 1814“ veröffentlicht. Auf die Studie von Räthel (2016) zu jüdischen Figuren im skandinavischen Theater habe ich in Kapitel 1.4.1 bereits hingewiesen. Ein gattungs- und epochenübergreifender Überblick über jüdische Figuren und Judentum in der dänischen Literatur findet sich bei Niels Birger Wamberg (1984) in seinem Beitrag über Dansk-jødisk digtning og dansk digtning om jødisk skæbne [Dänisch-jüdische Dichtung und dänische Dichtung über jüdisches Schicksal]. Tine Bach hat mit Exodus. Om den hjemløse erfaring i jødisk litteratur [Exodus: Über die Erfahrung von Heimatlosigkeit in jüdischer Literatur] 2004 eine Untersuchung von Erzählliteratur jüdischer Autoren vorgelegt. Bach setzt darin eine stabile, eindeutige und internationale jüdische Identität und mit ihr eine „jødiske identitetsproblematik [jüdische Identitätsproblematik]“ (2004: 12–13) als gegeben voraus, die sie mithilfe einer autobiografischen Lesart zu analysieren versucht. Mit diesen normativen Setzungen verkennt sie jedoch, dass Identität ein gesellschaftliches und wandelbares, durchlässiges Konstrukt ist und somit auch stets ein Produkt von Fremdzuschreibungen, um die es in meiner Arbeit gehen soll. 2007 hat Mogens Brøndsted mit seinem Buch Ahasverus. Jødiske elementer i dansk litteratur [Ahasverus. Jüdische Elemente in der dänischen Literatur] (2007a) eine Sammlung ausgewählter literarischer Texte über jüdische Figuren herausgegeben und so überhaupt erst einem breiteren Publikum die Möglichkeit gegeben, auf sie aufmerksam zu werden. Diese Sammlung umfasst Texte jüdischer und nicht-jüdischer Autor*innen vom späten 18. bis zum 20.Jahrhundert. Vorangestellt ist ihr eine umfangreiche und auf Vollständigkeit angelegte literaturhistorische Einführung in die Geschichte jüdischer Figuren in der dänischen Literatur. Sofern die von mir untersuchten Texte in dieser Sammlung enthalten sind, zitiere ich aus dieser Ausgabe. Nicht nur halte ich dieses Vorgehen für leserfreundlich, es stellt darüber hinaus auch eine Würdigung von Brøndsteds literaturwissenschaftlicher Editionsleistung dar. Zuletzt erschien der Sammelband Figurationen des Jüdischen. Spurensuchen in der skandinavischen Literatur (Räthel/Schnurbein 2020a), hervorgegangen aus dem Arbeitskreis „Juden in Skandinavien“ am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, in den neben erstmalig publizierten Aufsätzen auch bereits zuvor erschienene Beiträge noch einmal aufgenommen wurden.1

      Richtet man den Blick auf entsprechende Forschung zur Literatur der dänischen Nachbarländer Norwegen und Schweden, fällt das Ergebnis bescheiden aus. Für Norwegen ist vor allem die als Übersichtsarbeit angelegte Dissertation Vom Schtetl zum Polarkreis. Juden und Judentum in der norwegischen Literatur von Gertraud Rothlauf (2009) zu nennen. Von Madelen Marie Brovold, die sich in ihrer Masterarbeit mit jüdischen Figuren auf der Theaterbühne beschäftigt hat (2016, 2019), ist derzeit eine weitere Dissertation zu jüdischen Figuren in der norwegischen Literatur im Entstehen. Diese überschaubare Forschungssituation mag damit zu begründen sein, dass die literarische Auseinandersetzung mit Juden und Judentum in Norwegen im 19.Jahrhundert fast ausschließlich in lyrischer und dramatischer Form sowie in Reiseberichten und politischen Schriften vor allem eines Autors stattfand, nämlich Henrik WergelandWergeland, Henrik, sowie in deutlich geringerem Maße bei Andreas MunchMunch, Andreas, Adolph RosenkildeRosenkilde, Adolph und Christian Rasmus Hansson (vgl. hierzu Bock 2011, 2020; Brovold 2019;

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