Das Genie Wolfgang Amadé Mozart in literarischen Bildern romantischer Tradition der Kunstreligion und Musikästhetik. Gerhard vom Hofe
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Und der Beitrag über Die Konstellation der Genies: Raffael und Shakespeare in Mozart, der an die vorausgehenden, das Genieproblem behandelnden Kapitel thematisch anschließt, ist aus einem Vortrag hervorgegangen, den ich auf einer in Zusammenarbeit mit der Mozartgesellschaft Kurpfalz veranstalteten Tagung zur frühen Rezeptionsgeschichte Mozarts in Mannheim im Jahre 1992 gehalten habe. Er wurde im Sammelband Mozart. Aspekte des 19.Jahrhunderts (herausgegeben von Hermann Jung) im Palatium Verlag in der Reihe der Mannheimer Hochschulschriften im Jahre 1995 veröffentlicht und erscheint hier mit wenigen Änderungen und Ergänzungen. Neu dagegen für diesen Band konzipiert wurde das E.T.A. Hoffmanns Don Juan – Erzählung geltende 3. Kapitel unter Berücksichtigung der Grundsätze von Hoffmanns paradigmatischer romantischer Musikästhetik.
Besonders danken möchte ich meiner Frau, die mir bei der Erstellung des Textes und bei den Korrekturen eine unschätzbare Hilfe war. Ihr, der Mozartliebhaberin, ist dieser Band gewidmet.
Kapitel 1
Wolfgang Amadé Mozart:
Das Wunderkind und unbegreifliche Genie in der Optik der Mozarts sowie der Zeitgenossen und grundsätzliche Überlegungen zur Genieproblematik
Der Versuch, sich ein differenziertes Urteil über die Qualitäten des Genies Wolfgang Amadé Mozarts zu bilden und im Zusammenhang damit die Frage: „Wer war Mozart?“ wenigstens annähernd sachgerecht beantworten zu können, scheint noch immer ein herausforderndes hermeneutisches Experiment und ein durchaus aufregendes Abenteuer. Für eine korrekte Entscheidung dieser Problematik scheint der Umstand, ob man die Voraussetzung einer unlösbaren Einheit von Künstler und Person Mozarts berücksichtigt, ob man also die Frage nach dem Geheimnis des Genies mit der Frage nach dem Charakter und der individuellen Lebensweise des Komponisten unlösbar verbunden sieht, eine nicht unwesentliche Rolle zu spielen. Eine Alternative könnte darin liegen, das Genieproblem ausschließlich hinsichtlich der Produktionsweise des Künstlers und der Frage nach der Originalität seiner geschaffenen Werke zu betrachten, mithin von der Biographie des Künstlers und seinen spezifischen, historisch bedingten Lebensumständen weitgehend abzusehen. In diesem Fall müsste jedoch der besondere Zusammenhang mit der allgemeinen musikgeschichtlichen Entwicklung und mit der musikästhetischen Tradition an Bedeutung gewinnen. Beobachtet man rückblickend die literarischen Mozartdarstellungen und deren Behandlung der Geniethematik (und das gilt für die Literatur unterschiedlicher Provenienz und unterschiedlichen Ranges), so lässt sich grundsätzlich sagen, dass sie in der Regel die Vermittlung der Aspekte des schaffenden Künstlers und der mitteilsamen Person des Komponisten, der Art und Weise seiner Produktion (ob man es hier mit Modalitäten einer Mimesis oder einer originären Schöpfung zu tun hat) und deren Reflexion in den Blickpunkt ihres Interesses rücken. Dabei kommen auch und immer wieder Aspekte zur Sprache, die den Charakter des genialen Künstlers Mozart beleuchten.
Ebenso scheint folgender Tatbestand kaum zu bestreiten: Angesichts der facettenreichen Mozart-Literatur sieht sich der Mozartliebhaber mit einer Pluralität von Mozart-Bildern konfrontiert (um nicht zu sagen: umstellt), die sich aus der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte des Komponisten herleiten lassen und die der Literatur seit dem zeitgenössischen Verständnis, hauptsächlich aber aus der Tradition der romantischen Interpretationen und dem 19. Jahrhundert zugewachsen sind und die sich gelegentlich noch immer hartnäckig behaupten. Die heute bisweilen in den Medien propagierte Etikette vom „Jahrtausendgenie“ ist denn doch letztlich ein plakatives, viel zu abstraktes Klischee und entbehrt aller präzisen Bestimmungen. Sie bleibt ohne Aussagekraft und verrät nichts über die spezifischen Ausdrucks- und Erscheinungsformen des Genialen bei Mozart. Ließe sich das nicht mit demselben Recht von Bach
oder Beethoven behaupten? Die marktschreierische Etikette, auf die hier das Profil des Genies reduziert wird, kann allenfalls den Vorteil beanspruchen, nicht wahnsinnig falsch zu sein; und sie scheint als Superlativ – modisch geredet – kaum noch zu „toppen“. Auf den Punkt gebracht wäre damit immerhin eine Auszeichnung Mozarts als des schlechthin Unvergleichlichen in der neueren Musikgeschichte; es fragt sich nur, mit welchem besonderen Erkenntniswert?
Erst seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, vor allem in Wolfgang Hildesheimers Mozartstudien1, ist die kritische Frage nach dem authentischen Profil des Komponisten, nach dem widerständigen Genie und nach dem „wahren“ Mozart wieder einmal entschieden neu gestellt worden, und dies in einer bisher kaum vertretenen Radikalität. Die Resonanz schien denn auch verhalten. Hildesheimers Mozartdarstellung fand nicht die vom Autor erhoffte Zustimmung. Zuvor waren nur in Ausnahmefällen einmal unpopuläre Mozartbilder vertreten worden, die bei Kennern und Liebhabern Mozarts kaum Akzeptanz gefunden hatten. Man denke etwa nur an Auffassungen des „dämonischen Genies“, dem kein geringerer als Goethe das Wort geredet hatte. Mit Wolfgang Hildesheimers radikalen Thesen schien der Impuls zu einer Revision traditioneller, zäh fortlebender Vorstellungen vom Genie Mozart mit ihren deutlichen Tendenzen einer Mythisierung und Idealisierung gegeben. Auch das Kapitel einer entschiedeneren Kritik der immer noch reichlich sprudelnden Quellen der Mozart-Legenden und anderer fragwürdiger überlieferter Zeugnisse war damit neu aufgeschlagen. Darüber hinaus hat der moderne Mozartbiograph einen erneuten Anstoß dazu gegeben, die überkommenen Mozart – Bilder kritisch zu überdenken und die beliebten Motive der Legenden, derer sich vorzugsweise die spekulativ verfahrende Literatur bedient hat und die in der herkömmlichen Biographik dankbar genutzt worden sind, zu destruieren. Emphatisch geredet: Wieder einmal schien es an der Zeit, die Arbeit einer „Entmythisierung“ zu leisten.
Seither haben die Lebens- und Werkgeschichten Mozarts neue Wege beschritten: Ein Rekurs auf die kritisch edierten Quellen, die in sorgfältigen Ausgaben verfügbaren historischen Dokumente, auf die Briefe des Komponisten und der Familie Mozart, auf zeitgenössische und posthume Zeugnisse setzte ein. Eine Rückbesinnung auf die historisch verbürgten Lebensumstände und die Schaffensbedingungen des Genies Mozart fand in stärkerem Maße als bisher Berücksichtigung. Das Befolgen des Imperativs „ad fontes“, bewährte Tugend des wissenschaftlich arbeitenden Forschers und des Philologen, schien schließlich verlässlicher zum Ziel zu führen und einen Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Bestimmung von Mozarts wahrem Genie zu ermöglichen. Denn das ist doch immerhin ein bedeutsamer und erfreulicher Tatbestand: Die Vita Wolfgang Amadé Mozarts und seine Werkgeschichte sind (im Vergleich zu anderen Komponisten des 18. Jahrhunderts) erstaunlich gut, breit und zuverlässig dokumentiert.2
Beinahe 1500 Briefe der Familie Mozart, davon bald ein Drittel vom Komponisten selbst, datierend von 1769 bis zum 14.10.1791, also bis kurz vor seinem Tod, sind als immerhin aussagekräftiges, wenn auch natürlich interpretationsbedürftiges Material überliefert und liegen in kritischen Ausgaben vor. Das gilt nicht allein für die Dokumentation der Lebensgeschichte Mozarts. Auch seine Kompositionen sind in wissenschaftlich vorbildlicher Weise ediert. Dem Musikwissenschaftler wie dem Biographen und Historiker stehen außerdem zahlreiche und sogar ergiebige Berichte von Zeitgenossen, aber auch spätere Zeugnisse der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte zur Verfügung. Zudem liegen diese Texte wie auch die musikalischen Werke Mozarts mittlerweile in kritischen und gründlich kommentierten neueren Ausgaben vor.3 Gleichwohl hält die Auseinandersetzung um den „wahren Mozart“, halten die Bestimmungsversuche seines Genies mit kontrovers ausgetragenen Diskussionen